Politisches

Freitag, 20. Juni 2008

Damit es nicht völlig untergeht: Sexualstrafrecht verschäft

Heute beschloss der Deutsche Bundestag, weitgehend abseits der medialen Aufmerksamkeit, die Konsolidierte Neufassung §§ 176,182,184b bis 184g des Strafgesetzbuches.
Auch wenn das Gesetz "gut gemeint" wirkt Bundestag verschärft Sexualstrafrecht - geht es nach dem Wortlaut des Gesetzes, könnten auch Sexualkundebücher nun durchaus als "Kinderpornographie" eingestuft werden. Auch der neu geschaffene Begriff der "Jugendpornographie" sieht mir sehr nach einem "Gummiparagraphen" aus.

Ob das Gesetz gegen sexuelle Kindesmisshandlungen - ich halte nichts vom Begriff "sexuellen Missbrauch von Kindern", da er für mich immer so klingt, als gäbe es einen korrekten "Gebrauch" von Kindern - wirkt, darf bezweifelt werden. Was auf alle Fälle geschehen wird: die Anzahl der Sexualstraftaten wird steigen - auf dem Papier.
Hierzu auch Gedanken zu einer verspäteten Empörung

Mittwoch, 18. Juni 2008

Unbequeme Wahrheiten: Studie zur Ursachen rechtsextremer Einstellungen

Die Uni Leipzig veröffentlichte eine neue Studie über die Ursachen rechtsextremer Einstellungen in Deutschland.
Wenn auch die Ergebnisse alles andere als unerwartet sind, sind die möglichen Konsequenzen erschreckend.
Es zeigte sich, dass es mehr Fremdenfeinde als bislang angenommen gibt. Selbst Befragte, die in der ersten Studie nicht durch rechtsextreme Einstellungen aufgefallen waren, äußerten der Gruppendiskussion mit großer Selbstverständlichkeit ausländerfeindliche Ressentiments.

Die Teilnehmer der Diskussionen empfinden offenbar einen hohen gesellschaftlichen Anpassungsdruck. Gleichzeitig werden aber Sanktionen gegenüber abweichendem Verhalten akzeptiert, die diesen Druck noch verstärken. Diese scheinbar paradoxe Haltung kann man im Alltag oft beobachten: Zum Beispiel den Arbeitslosen, der über die "unverschämte Neugier" der Arbeitsagentur stöhnt - aber es gleichzeitig völlig in Ordnung findet, dass ALG II - Empfängern, die nicht "sputen", die Bezüge gekürzt werden. Oder den Steuerzahler, der über das "kleinliche" Finanzamt meckert, aber dafür ist, dass "Steuertrickser" mit aller Härte des Gesetzes bestraft gehören. Ein für autoritäre Persönlichkeiten typisches Verhaltensschema.

Hinzu kommt ein offenbar großes Unwissen und Unverständnis über die Möglichkeiten der Mitwirkung in einer Demokratie, verbunden mit einer Geringschätzung des demokratischen Systems an sich. Es sieht so aus, als ob es nur insofern akzeptiert wird, wie es individuellen Wohlstand garantiert. Eine keineswegs neue Erkenntnis - für die Alt-BRD war das schon in den 1960er bekannt, unter dem Schlagwort "Schönwetterdemokratie".
Erschreckend war für uns, wie gern die Befragten auch die bescheidenste Demokratie gegen autoritäre Strukturen eintauschen würden, in denen vermeintlich Ordnung, Ruhe und Chancengleichheit herrscht",
sagt Dr. Oliver Decker, einer der Autoren der Studie.
Viele der jungen Leute hofften auf "irgend einen Führer", weil es so nicht mehr weitergehen könne, die Teilnehmer mittleren Alters resignierten und meinten sarkastisch, Politik sei ohnehin nur Lug und Trug, während die Älteren die klaren Regeln ihrer Jugend - im Osten die Umstände in der DDR und im Westen zuweilen sogar die Nazizeit - als Vorbild heranzögen und glorifizierten.
Eine keineswegs überraschende Erkenntnis.

Die Studie zeigt aber auch, dass sich etwas gegen den "Rechtsextremismus" in der Mitte der Gesellschaft tuen lässt:
Autoritäre Denkstrukturen und Gewalterfahrungen haben eine große Bedeutung, wenn sich rechtsextremer Einstellungen herausbilden.
Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineindenken und hineinfühlen zu können, zur Empathie, und die Erfahrung, anerkannt zu werden, schützen vor rechtsextremen Ressentiments.

Ein weiterer zentraler Punkt ist der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands: Weigern "man" (Politik, Medien, Schule, Elternhaus usw.) sich, mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen, fördert das rechtsextreme Einstellungen.
Rechtsextreme Einstellungen werden durch inhaltliche und emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema gebremst.
Eigentlich sollte das eine Binsenwahrheit sein!

Dass rechtextremes Gedankengut selbst nach über einem halben Jahrhundert noch weit verbreitet sei, erklären Decker und Brähler, die Autoren der Studie, mit der "narzisstischen Plombe": Der mit dem so genannten Wirtschaftswunder in Westdeutschland relativ schnell einsetzende Wohlstand habe weder für Nachdenklichkeit noch für Scham Raum und Zeit gelassen. Was m. E. die Erkenntnisse des Ehepaars Mitscherlich aus den 1960er Jahren ("Die Unfähigkeit zu trauern") auch für die heutige Zeit bestätigt.
Eine ähnliche Entwicklung - ein "Wirtschaftswunder" (und wahrscheinlich auch einen "Schlussstrich" unter die unerfreulichen Seiten der DDR) - erhofften Ostdeutsche nach der Wende und antworteten, als diese Erwartung enttäuscht wurde, mit Politik- und Demokratieverdrossenheit.
"Immer dann, wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf",
sagt Decker.

Studie der Untersuchung zum Download (pfd)

Einige Bemerkungen:
Die Studie zeigt wieder einmal, dass der geläufige und auch von mir verwendete Ausdruck "rechtsextrem" im Grunde falsch ist - der "klassische" Nationalsozialismus ist, wie seine modernisierten Varianten (z. B. die Ideologie der "Neuen Rechten") ein Extremismus der Mitte. Die Weltsicht, die dem "Rechtextremismus" zugrunde liegt, ist in der "Mitte der Gesellschaft", bis weit in "konservative" aber auch "traditionslinke" Kreise hinnein, weit verbreitet. Was z. B. Neonazis von den Antidemokraten am Stammtisch und am Küchentisch unterscheidet, ist, dass sie Worten auch Taten folgen lassen.

Andererseits: Auch wenn es erschreckend viele "Rechtsextremisten" und noch mehr stille Beifallklatscher gibt - sie sind eine Minderheit! Unser Problem ist, dass Minderheiten, die die "kulturelle Hegemonie" im Sinne Gramscis erobern, auch bestimmen können, wo es "politisch längsgeht" - ein Beispiel war die de facto Abschaffung des Asylrechtes 1993 - ein fremdenfeindliches Ressentiment hatte nicht nur die "Lufthoheit über den Biertischen" erobert, sondern auch "bürgerliche" Medien. Angesichts der Eskalationen stimmten FDP und SPD nach höchst kontroversen innenpolitischen Diskussionen einer von der CDU-Regierung Kohl vorgeschlagenen Einschränkung des Grundrechts auf Asyl zu - mir dem Ziel, den "sozialen Frieden" zu bewahren.

Und noch etwas: "Moraltheologie", immer gleiche Textbausteine der "Empörung", Lichterkettenwerfen, symbolische Symbolverbote und eine Strategie, die auf Verbote, Überwachung und Sanktionen setzt, bringen gegen einen "Extremismus der Mitte" wenig. Hysterie und unüberlegter Aktionismus spielen unseren "braunen Kameraden" eher in die Hände - und Verbote schaden der Demokratie mehr, als sie sie schützen.

Dienstag, 17. Juni 2008

Klare Absage an Dualismen

Ich habe schon einige Male in diesem Blog erwähnt, dass viele unserer Probleme auf das Denken in einfachen Alternativen (alias duale entweder-oder Logik, aka Schwarz-Weiß-Denke) zurückgeführt werden können.

Antje Schrupp schreibt von "falschen Dualismen" im Feld "Arbeit und Wirtschaft": Entweder es geht unserer Wirtschaft gut oder den Menschen; Entweder wir produzieren genug oder wir schützen die Umwelt; Entweder wir profitieren oder die dritte Welt; Entweder ich ruiniere meine Gesundheit oder das Unternehmen geht pleite. Sie schlägt u. A. vor, Arbeit und Einkommen getrennt denken - eine Trennung, die es in der Realität ja längst gibt. Was ist Arbeit? - nicht in falsche Dualismen geraten. Ihre Überlegung ist das Fazit aus einem Vortrag, den sie bei einer Tagung des Bayerischen Historikerinnen-Netzwerkes im April hielt - hier der vollständige Text: Was ist Arbeit?

Samstag, 14. Juni 2008

Nicht die Neinsager stürzen die EU in eine "Krise"

Das "Nein" der Iren zum Lissabon-Vertrag macht lediglich eine Krise deutlich, in der die EU schon längst steckt: eine Legitimationskrise.
Gregor Keuschnig bringt es auf den Punkt
Tatsache ist, dass es in Deutschland weder in den Medien noch in der politischen Klasse bisher eine irgendwie geartete relevante Diskussion über den Vertrag von Lissabon gegeben hat.
Soweit ich es beurteilen kann, ist das auch in anderen "großen" EU-Ländern nicht wirklich anders.
Seinen ganzen Kommentar zum "Nein" der Iren, dem ich von ganzem Herzen zustimme: "Voted No. Not enough information." - Irlands Absage an den Lissabon-Vertrag

Mittwoch, 21. Mai 2008

Antifaschistische Gedanken, angeregt von einem Wikingerschiff

Vor gut fünf Monaten schrieb ich am Ende meines Blog-Beitrags: Ich bin nun stolzer Besitzer eines Wikingerschiffs:
Mehr zu meinem Wikingerschiff, wenn das Modell fertiggestellt ist. Womit ich es nicht eilig habe, denn als "Malvorlage" taugt es schon im halbfertigen Zustand.
wikingerschiff-02

Ich löse dieses Versprechen hiermit ein. Allerdings soll hier nicht vom Bau meines Modells die Rede sein - wen das interessiert, den Verweise ich auf meinen ipernity-Account Wikingerschiff, wo auch einige Fotos mit Erläuterungen zu finden sind.

An und für sich sollten die Wikinger und das, was mit ihnen zusammenhängt, unproblematisch sein. Es gibt zahlreiche Wikingermärkte. Fernseh-Dokumentationen und neuere populäre Sachbücher stellen sowohl das Klischee vom plündernden Barbaren wie das Klischee von den freudig in den Tod gehenden stahlharten "Edelkriegern" richtig. "Wikingerschiffe" von Playmobil oder Lego finden sich in zahllosen Kinderzimmern. "Hägar der Schreckliche" und der gar nicht schreckliche schlaue Wikingerjunge "Wickie" und der klassische, kein Klischee auslassende, Monumentalfilm "Die Wikinger" (mit dem herrlich pathetischen Kirk Douglas in der Hauptrolle) bestimmen das popkulturelle Image der Wikinger weitaus mehr als der düstere Wikingerkult der Nazis.

Sollte man meinen. Allerdings hindert das die modernen Nacheiferer der alten Nazis nicht daran, sich gern und im großen Umfang der Wikingersymbolik zu bedienen: Wikinger sind so schön "nordisch", "reinrassige Nordgermanen", herrlich barbarisch, verkörpern "Opferbereitschaft" und "Faustrecht" und waren angeblich so, wie Nazischläger gerne wären. Tatsächlich beziehen sich manche Neonazis positiv auf das (negativ gemeinte) Klischee von den saufenden und raufenden barbarischen Plünderern und kombinieren es mit dem hochglanzpoliertem "Edelkriegerklischee" und den "Wagneropergermanen" der alten Nazis. Gern wird in diesen Kreisen die Heldenfigur "Wikinger" mit einer rassistischen Komponente angereichert, die den historischen Wikingern völlig fremd gewesen sein dürfte. Dass das hinten und vorne nicht zusammenpasst und mit der historischen Realität etwa so viel zu tun hat wie "Conan der Barbar" scheint den Neonazi der Normalausführung nicht zu stören. (Es gibt allerdings auch Neonazis und vor allem "Neurechte", deren Wikingerbild nicht so grob zusammengezimmert ist - ihre genaue Kenntnis der historischen Gegebenheiten hindert sie nicht daran, einer braunen Weltanschauung anzuhängen.)
Aber auch für den kühl kalkulierenden rechtsextremen Polit-Strategen ist die Wikingersymbolik für Propagandazwecke schlechthin ideal. Sie erlaubt es einerseits an die populäre internationale Ästhetik von Fantasy- und Abenteuer-Comics, -Filmen, -Computerspielen und -Buchcovern anzuknüpfen, dabei aber zugleich auch "traditionsbewußt", "germanisch", "ahnenstolz" und "völkisch" zu sein. Man kann mit Wikingersymbolik bequem im kulturellen Mainstream mitschwimmen und trotzdem "bei Bedarf" sehr provokativ wirken. Der Slogan "Odin statt Jesus" ist rechtsaußen nicht etwa so beliebt, weil es dort so schrecklich viele Neuheiden gäbe, sondern weil er zuverlässig provoziert, zudem gut in ein Weltbild passt, in dem alles Üble "irgendwie" jüdisch und alles "Jüdische" (einschließlich Christentum) irgendwie übel ist - und der dennoch nicht verboten werden kann.

Einer der Gründe, weshalb es den Braunhäutige hassenden inwändig Braunen so leicht fällt, die Wikingersymbolik für sich "kulturell zu besetzen" ist meines Erachtens in der Art der "Auseinandersetzung mit Neonazis" zu suchen, wie sie die meisten Massenmedien hierzulande praktizieren. (Siehe: "Noch ein" Internetprojekt "gegen Nazis".)
Die (fast immer falsche) Grundannahme ist, dass Nazis "vom Rand der Gesellschaft" stammen, Aussenseiter seien und folglich erfolgreich ausgegrenzt werden könnten. Die Misserfolge der Anti-Nazi-Programme sind nicht zuletzt auf diese falsche Prämisse zurückzuführen. Hier sei nur kurz erwähnt, dass der Radikalismus alten wie der neuen Nazis ein "Radikalismus der Mitte" ist, der populäre Vorurteile, Klischees, Ideologiebruchstücke, Ängste, Sündenböcke und "Patentlösungen" konsequent bis zum Äußersten treibt. Aber diese Möglichkeiten - "Nazis kommen aus der Mitte der Gesellschaft" bzw. "Nazidenke beruht auf Mainstream-Denke" - sind unangenehm - und ziehen unangenehme Fragen wie z. B. die nach der deutschen Einwanderungspolitik, der "Festung Europa" und der Asylpraxis nach sich - in weiterer Konsequenz auch Fragen nach bürgerrechtsfeindlicher Gesetzgebung und Abbau demokratischer Rechte und nach autoritären Strukturen.
Wenn man aber "die Nazis" fälschlicherweise bizarren Subkulturen zuordnet, sich andererseits vor Nazis ängstigt, dann rücken die Merkmale, an der man die Angehörigen dieser Subkulturen identifizieren kann, stärker in den Vordergrund, als es von der Sache her angebracht wäre. Aus diesem Denken erklärt sich z. B. die lange Zeit vorherrschende Tendenz, Skinheads pauschal "ins rechte Eck" zu stellen.
Zuverlässig erkennt man einen Nazi dann, wen er den Mund aufmacht und über Politik spricht. Wenn ich besorgten Eltern, die fürchten, ihre Kinder würden "im braunen Sumpf" stecken, einen Tipp geben kann, denn den, sich mal mit ihren Sprösslingen ganz locker und ohne schnelle Vorwürfe und bohrende Fragen über Politik, Zeitgeschichte und Demokratieverständnis zu unterhalten. Das klappt allerdings nur dann, wenn die Eltern nicht, wie so oft, viele der tendenziell rassistischen, nationalistischen, völkischen, autoritären usw. Ansichten teilen - und überhaupt die Bereitschaft vorhanden ist, sich ganz ruhig mit den eigenen Teenager-Kindern über heikle Themen zu unterhalten.

Da ist es doch einfacher und bequemer, nach T-Shirts mit Runen und Wikingermotiven Ausschau zu halten. Das selbe Prinzip, nach dem Eltern "prüfen" können, ob ihre Kinder etwa in die Fänge einer Sekte geraten sind oder Drogen nehmen würden - Prinzip "heimliche Überwachung". Aber da selbst Bundesminister so denken, oder auch Arbeitgeber, ist es nicht erstaunlich, dass die Suche nach "verdächtigen Gegenständen" und "auffälligen Verhaltensweisen" auch bei Eltern und Erziehern populär ist.

Bemerkung zum Schiffsmodell: Als ich diesen Bausatz kaufte, da machte der Verkäufer mir gegenüber den schlechten Scherz: "Aber nur gegen Ariernachweis". Inzwischen bin ich mir sicher, dass es wirklich nur ein gar nicht witziger Witz war.
Was mir aber auffiel, war, dass Kunden, die sich z. B. für Bausätze für Modelle von deutschen Panzern aus dem 2. Weltkrieg interessierten, nicht mit ähnlichen Witzeleien bedacht wurden.

Dienstag, 20. Mai 2008

"Noch ein" Internetprojekt "gegen Nazis"

Die meisten werden es schon mitbekommen haben: es gibt (wieder mal) ein neues Internetprojekt gegen unsere inwändig braunen "Freunde", dieses Mal von der "Zeit": netz-gegen-nazis.com

Burkhard Schröder (ja, schon wieder der) stellt dazu in der "Jungle World" einiges klar und einige notwendige Fragen:
Wer über und »gegen Rechts« etwas publiziert, kann nicht einfach alle vorhandenen Meinungen unkommentiert aneinanderreihen und wie einen Gemischtwarenladen aufbereiten. Das genau macht netz-gegen-nazis.com. Fragen, die den politischen Mainstream irritieren könnten, werden weggelassen: Sind die deutsche Einwanderungspolitik, die Abschottung der »Festung Europa« und das über Jahrzehnte völkische Staats­bürgerschaftsrecht die Basis für rassistische Vorurteile und den unsäglichen Diskurs über »Ausländer« und »Ausländerfeindlichkeit«? Ist die Praxis der Asylgesetzgebung menschenverachtend, und hat sie ähnlich viele Menschenleben gekostet wie rassistische Angriffe von Neonazis? Wie viele anerkannte nationale Minderheiten gibt es in Deutschland – und was ist eine Nation? Warum haben die bisherigen Internet-Projekte »gegen Rechts« keinen messbaren politischen Erfolg, sind sie gar gescheitert?
Den ganzen Text gibt es hier: Nutzlos gegen Rechts - lesenswert!

Ich habe auch so meinen Erfahrungen mit Websites "Gegen Rechts" und diversen Aufklärungsbroschüren. Nicht alle sind erfreulich. Ein beinahe durchgängiges Merkmal ist, dass sie der Symbolik viel Raum geben. Damit meine ich nicht die tabellarischen Übersichten über von Rechtsextremisten verwendete Symbole und Codes - auch wenn auch hier manches fragwürdig ist. Sondern den Hang zu symbolischen Handlungen, zum "Zeichen setzen", zu Lichterketten und zu sicher ehrlichen, aber im Grunde nichtssagenden persönlichen Bekenntnissen - und allzu oft zu politisch sinnlosen Verbotsforderungen.

Manchmal gehen Symbole und symbolische Handlungen Hand in Hand -und an der Realität am "rechten Rand" meilenweit vorbei.
Zur Erläuterung mal ein Ausschnitt aus einem Interview, dass Annika Eckel von der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" Welt Online gab: Wie Nazis sich schick machen. (Der Fairness halber sei gesagt: Vieles, was Frau Eckel in diesem Interview anspricht, ist im Sinne der Aufklärung über "pseudo-linke" Neo-Nazi-Dresscodes nützlich und richtig.)
Im zitierte Absatz geht es übrigens um die Modemarke "Thor Steinar":
Eckel: Auf Pullis sind etwa Runen oder Wikingerschiffe abgebildet. Die Marke spielt aber auch direkt auf nationalsozialistische Symbolwelten an. Es wird etwa eine Kollektion namens Nordmark verkauft. Das war der Name eines SS-Arbeitserziehungslagers in der Nähe von Kiel. Es gibt T-Shirts mit dem Aufdruck "Heia Safari", dem Marschlied des deutschen Afrikacorps während des Zweiten Weltkriegs. Thor Steinar produziert auch Mützen und T-Shirts, auf denen "Ultima Thule" steht. Das ist der Name einer rechtsextremen Band, spielt aber auch auf den Untergang eines nordischen Reiches an. Dem Mythos zufolge sind die Überlebenden die Gründer der germanischen Rasse.
Ungeachtet dessen, dass ich wegen der zynischen Geschäftsidee und den mutmaßlichen Verbindungen zwischen "Thor Steinar" / Mediatex und der rechtsextremen Szene vom Kauf dieser nicht ganz billigen Klamotten abrate: Frau Eckel geht (tatsächlicher oder vermuteter) BÖSER Symbolik auf TS-Textilien nach; wobei ihre Interpretationen wie selbstverständlich davon ausgehen, dass diese Symbole nur den "Eingeweihten" verständliche "Nazi-Codes" seien.
Mal im Detail: Trotz des Faibles mancher Nazis für alles "Nordische" sind Runen an sich keine Nazissymbole, Wikingerschiffe erst recht nicht. Dass "Nordmark" auch der Name eines Arbeitserziehungslagers bei Kiel war, dürfte den meisten heutigen Nazis unbekannt sein, für den Symbolwert ist es außerdem unerheblich. Wenn ein moderner Nazi darauf anspringt, dann, weil der Begriff "Nordmark" zwar keine Nazi-Wortschöpfung ist, aber dem "typischen" Nazi-Jargon entspricht. "Heia Safari" wurde bestimmt auch im Afrika-Corps gesungen, stammt aber aus der deutschen Kolonialzeit. Der Begriff selbst wird noch heute gern in der Afrika-Touristik verwendet. (Als erheblich zynischer empfinde ich übrigens ein "TS"-Shirt mit der Aufschrift "Südseekreuzfahrt" und einer Graphik mit einen Schiff hinter Palmen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich das Schiff als waffenstarrender Kreuzer der Kaiserlich Deutschen Marine.) "Ultima Thule" ist u. A. der Name einer schwedischen Vikingrock-Band, die zwar wegen ihrer (ehemaligen) Geschäftsbeziehungen zu Bert Karlsson, einem rechtsgerichteten Politiker und Eigentümer eines Musiklabels vielen schwedischen Antifaschisten suspekt ist, aber von den Texten und der Symbolik her nicht als "Neonazi-Band" bezeichnet werden kann. "Ultima Thule" , das "äußerste Thule", ist eine Allegorie für den "hohen Norden", ein Bezug zur rechtsextremen "Thule-Gesellschaft" oder dem "neurechten" "Thule-Seminar" ist keineswegs zwingend. Auf den "Untergang eines nordischen Reiches" spielt es es nicht an.

Alles in allem taugen Runen, Wikingerschiff, "Heia Safari" oder "Ultima-Thule" noch nicht einmal als Indizien für eine "rechtsextreme Gesinnung". ("Nordmark" eventuell schon, aber aus anderem Grunde als dem, den Frau Eckel nennt.)

Ach, noch etwas:
WELT ONLINE: Auf einer Protestversammlung gegen den Thor-Steinar-Laden in Mitte kam der Vorschlag auf, es den Rechten nachzumachen. Normale Leute sollten einfach Nazi-Kleider kaufen, dann machten die Symbole keinen Sinn mehr. Was halten Sie davon?

Eckel: Das hilft leider nicht. Man muss unbedingt verhindern, dass so ein Laden wie Tønsberg Teil des Mainstreams wird. Also die Anwohner haben Recht mit ihrem Aufruf: "Keine Geschäfte mit Nazis".
Die Nazi-Kultur ist "Teil des Mainstreams" und zwar von Anfang an, oder wir Burks es ausdrückt: Neonazis sind ein Symptom für den Zustand der gesellschaftlichen Mitte, mehr nicht. Trotzdem ist die Aktion der Anwohner sehr zu begrüßen, weil sie sich "realweltlich" und nicht nur "symbolisch" gegen Nazis richtet.
Von der Idee, Klamotten eines "Nazilabels" zu kaufen, halte ich wenig, sehr viel aber davon, Symbole nicht einfach "den Nazis" zu überlassen.

Nachtrag: Auf diesen "Tipp gegen Tricks" vom mdr hat mich ein Freund aufmerksam gemacht (danke Klaus!):
Wikinger und Runen
Im Gegensatz dazu dürften T-Shirts mit Wikingern oder Runen ein relativ sicheres Zeichen für Sympathien mit rechtem Gedankengut darstellen. Diese T-Shirts sind nicht einfach im Laden erhältlich. Man muss sie bei Versandfirmen bestellen, die nicht im Telefonbuch stehen, sondern ihre Werbung in Zeitschriften der rechten Szene schalten, ihre Produkte einzig im Internet anbieten oder die Kleidung auf Konzerten verkaufen.
Mein Kind im braunen Sumpf…was tun???

Donnerstag, 8. Mai 2008

Albanische Horrorshow

Zugegeben, die - zeitweilig von deutschen Politikern als "Befreiungsbewegung" hofierte - UÇK war mir nie sonderlich sympathisch. Allzu sehr verschwimmt bei ihr die Grenze zwischen politischer und krimineller Sphäre - dass die Hälfte der UÇK-Gelder aus Drogenhandel stammen könnte, halte ich für zumindest nicht ausgeschlossen.

Da passt dieser Artikel auf "telepolis" gut ins unvorteilhafte Image: Es steht ein Haus in Albanien.
Human Rights Watch fordert die Untersuchung von Entführungsfällen. Die Menschenrechtsorganisation sieht den Verdacht erhärtet, dass die UCK Handel mit Organen von Verschleppten betrieb.
Die Geschichte, dass nach dem Einmarsch der NATO 100 bis 300 Menschen aus dem Kosovo nach Albanien verschleppt wurden, halte ich für einigermaßen plausibel. Ihren besonderen "Thrill" bekommt die Story allerdings durch die Behauptung:
Die jüngeren und gesünderen Opfer seien aussortiert und in die Nähe der albanischen Kleinstadt Burrel gebracht worden. Dort seien ihnen Organe entnommen worden, die anschließend ins Ausland geflogen wurden. Laut Del Ponte wurden die Ermittler in einem "gelben Haus" fündig: Mittels eines chemischen Sprays konnten an den Wänden und am Boden gewaltige Blutflecke als Beweismittel sichergestellt werden. Zusätzlich habe man in der Nähe des Hauses Gerätschaften und Utensilien gefunden, die für Operationen gebraucht werden, u.a. Spritzen, Verbandsmull, Infusionsbeutel und Ampullen für Muskelentspannungsmittel.
Ein ungeheuerlicher Verdacht. Allerdings macht mich die Aussage, mittels eines "chemischen Sprays" konnten "gewaltige Blutflecken" als Beweismittel gesichert werden, stutzig.
Sicherlich gibt es einen Schwarzmarkt für Transplantationsorgane. Die meisten in Indien verpflanzten Nieren stammen von Lebenden, die nicht selten aus Armut zu "Spendern" wurden. Da liegt der gedankliche Sprung von "ethisch fragwürdigen" zu "verbrecherischen" Methoden nahe - wenn nur die Profite hoch genug sind.
Allerdings ist die fachgerechte Extraktion eines inneren Organs eine komplizierte Sache, auch wenn der "Spender" nicht überleben braucht. Das Organ muss fachgerecht entnommen werden, sonst ist es für Transplantationszwecke unbrauchbar. Zum Beispiel muss unter völlig sterilen Bedingungen gearbeitet werden.
Da passen "größere Blutflecke" ("gewaltig" steht nicht im Bericht auf der HPW-Website) einfach nicht ins Bild. Es passt auch nicht ins Bild, wenn ein einfacher Schnelltest mit einem "chemischen Spray" (Luminol) als "Beweis" herhalten soll. Dass die Dinge bei Blutflecken nicht so einfach sind, dürfte dank Krimiserien wie C.S.I. selbst blutigen Laien klar sein. So ist es ohne serologische Untersuchung praktisch unmöglich, zwischen menschlichem Blut und dem z. B. eines schwarz geschlachteten Schweines zu unterscheiden. Selbst wenn das Blut von Menschen stammen sollte, ist ein "simpler" Mord weitaus wahrscheinlicher als eine noch so hastig ausgeführte operative Organentnahme.
Was die "Operationsutensilien" angeht - Spritzen, Verbandsmull, Infusionsbeutel und Ampullen für Muskelentspannungsmittel finden sich in jedem Rettungswagen, in jeder Apotheke und in den meisten Arztpraxen. Da die UÇK-Kämpfer damals noch jederzeit mit bewaffneten Auseinandersetzungen rechnen mussten, ist es mehr als nur plausibel, wenn sie ordentliches Sanitätsmaterial in Bereitschaft hatten. Nebenbei würden große Blutflecken an den Wänden und am Boden, wenn man schon einmal davon ausgeht, dass das Material auch benutzt wurde, besser zur Notversorgung schwer verletzter Kämpfer als zu einer Organentnahme passen. Außerdem mag die Frage erlaubt sein, wozu ein "ausgeschlachteter" Leichnam noch Verbandsmull braucht.

Ich traue der UÇK Einiges zu, und zwar wenig Gutes. Allerdings halte ich die "Organräuber-Story", wenn nicht erheblich bessere Indizien auftauchen, bis auf Weiteres für eine Horrorgeschichte aus den Balkankriegen.

Sonntag, 4. Mai 2008

"Runen sind BÖSE!" - Sind Runen böse?

Bekanntlich haben Nazis (Original- und Neo-) und "Deutsch-Völkische" ein Faible für Runen.
rune-08-02
"Tiwaz"-Rune an einem Wohnhaus aus den 1930er Jahren.

Daraus ergeben sich für alle, die Runen (z. B. künstlerisch) öffentlich verwenden, (zumindest in Deutschland) einige Probleme. Damit meine ich jetzt nicht Runen und runenähnliche Symbole, die wegen ihrer Verwendung als Symbole verbotener Organisationen ebenfalls verboten sind (z. B. die "SS-Runen").
Der Legende nach wurde alles was König Midas berührte zu Gold. Leider keine Legende ist der Fluch des "Braunen König Midas". Was die Nazis und ihre allzu zahlreichen (un)geistigen Erben anrührten, wurde zu ekelhafter brauner Scheiße, die kein aufrechter Demokrat aufgreifen - und schon gar nicht in den Mund nehmen! - wird. Allerdings ist unter den Gegner der Nazis und ihrer gefährlichen Erben höchst umstritten, was denn nun von Anfang an braune Scheiße war, was durch die Berührung der Nazis unrettbar zu brauner Scheiße geworden ist, und was vielleicht nur beschmutzt wurde, aber durch Reinigung wieder gut, harmlos und nützlich werden kann. In den Augen vieler gutmeinender, von brauner Scheiße zurecht angeekelter, Deutscher ist alles, was mit den Germanen und vieles, was mit den Kelten zu tun hat, unrettbar verseucht. Runen zum Beispiel. Allenfalls Fachwissenschaftler dürfen sich, sozusagen im Hochsicherheits-Labor, damit beschäftigen. Es sind bei weitem nicht nur betriebsblinde Antifas, die so denken. Verbotene und suspekte heidnische Symbole.

Natürlich sind Runen keine Erfindung der Nazis - was sie wirklich sind, steht u. A. beim Runenprojekt der Uni Kiel - etwas auch in der Wikipedia.
Tatsächlich bedeutet das, dass man bei jeder Verwendung von Runen differenzieren muss, wer diese Schriftzeichen warum in welchem Kontextverwendet. Ich schrieb neulich, dass ich ich Anregungen der Art, man möge, im Zuge der "Null-Toleranz" und einer Politik der Nadelstiche, einige von Nazis und Neonazis verwendete Runen "verbieten" (auf welcher Grundlage?) für abwegig und sinnlos halte - aber anderseits das Unbehagen gegenüber vorgeblich "naiver" Verwendung von Runen, bei der ein NS-nostalgischer oder "völkischer" Hintergrund zumindest nahe liegt, teile.

Nun schriebt Burkhard Schröder für die "taz" einen Kommentar zur Modemarke "Thor Steinar", der am 3. Mai 2008 unter der Überschrift “Blümchenshorts des Bösen” erschien. Da das ursprüngliche Manuskript verschlimmbessert und ein wenig “entschärft” wurde, verlinke ich das Original: "Kauft nicht bei Kopelke!".
Zugegeben: Diejenigen, die sich an den Kampagnen gegen Thor Steinar beteiligen, meinen es gut. Das ist aber keine Ausrede: Die Zeugen Jehovas meinen es auch gut. In Wahrheit schlummert hinter der Attitude, eine clevere und politisch zynische Geschäftsidee mit Mitteln des Strafrechts oder gar mit Gewalt bekämpfen zu wollen, der typisch deutsche Obrigkeitsstaat, den auch die Linken und Lichterkettenträger allzugern immer wieder herbeiwünschen: Der Staat muss doch gegen das Böse, hier: Thor Steinar, hart durchgreifen?! Melde gehorsamst: Nazi-Kleidung und gefährliche ultrabraune Symbole entdeckt! Bitte Verbot durchführen!
Da kann ich Burks nur beipflichten. Auch wenn ich Einiges ein klein wenig anders sehe als er - z. B. hat meines Wissens "Mediatex" Verbindungen zur "braunen Szene", so dass jeder, der die (nicht ganz billigen) Thor Steinar-Klamotten kauft, gewollt oder ungewollt rechtsextreme Strukturen mitfinanziert. (Die Wirkung von Symbolen wäre ein Thema für sich.)

Nun ist es leider so: wenn Runen und andere von unseren "braunen Freunden" geschätzte, aber nicht erfundene Dinge, vom Thorshammer bis zur Wagner-Oper, um ein "Zeichen zu setzen", "Nadelstiche anzubringen", "im Zuge der Null-Toleranz" oder "um Missverständnisse durch Ausländer auszuschließen" geächtet werden, dann überlässt man diese Dingen genau jenen, die sie missbrauchen.
Bei Dingen, die direkt der Nazi-Ideologie oder ihren Vorläufern entsprangen liegt der Fall allerdings anders. Das gilt sogar für ein "Runenalphabet", das "Armanen-Furthark".

Der Ausweg liegt darin, erst einmal die deutsche Neigung zu symbolischen Ersatzhandlungen zu vergessen - und bestimmte oberflächliche Formen der "Political Correctness" gleich dazu. Also z. B. Runen in einem Kontext zu verwenden, wo klar ist: hier hinterlassen keine Neonazis oder "Völkische" ihre Duftmarken.

Die zur Zeit meist verwendete "echte" Rune ist übrigens eine "Binderune" aus Hagalas (in der Sternform des jüngeren Futhark, Lautwert "H") und "Berkano" (Lautwert) "B" - die Initialen Harald Blåtands als Symbol für "Bluetooth". Niemand (außer vielleicht einigen Verschwörungstheoretikern der besonders abgedrehten Sorte) vermutet deshalb, dass Sony-Ericson ein rechtsextrem unterwandertes Unternehmen wäre.
Es ist auch nicht so, dass jeder Laden für z. B. Mode, der Runen verwendet, von "irgendwie rechten" Leuten betrieben würde - hier ein Beispiel für einen garantiert nicht "braunstichigen" Online-Shop dieser Art: Trollmode.

Man kann den Spieß spaßeshalber auch umdrehen:
Runenpulli
(Die Runen auf dem Pulli bedeuten: ""NAZIS VERPISST EUCH", wobei ich als kleinen orthographischen Kompromiss statt des im älteren Futhark nicht vorhandenen "Vs" ein "Fehu" verwendet habe.)

Aber bitte nicht vergessen: Die Runen können zwar nichts durch ihre Verwendung durch Nazis, aber es wäre fatal, zu vergessen, dass Runen auch "beliebte" Nazi-Symbole sind!

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Freitag, 2. Mai 2008

"Die Aggression und nackte Gewalt ging von rechter Seite aus" - Nachlese zur Demo

"Die Aggression und nackte Gewalt ging von rechter Seite aus",
sagte Polizei-Einsatzleiter Peter Born am Freitag vor Journalisten.
Hamburg: Schuldsuche Schuldsuche nach den Mai-Krawallen - Viele Verletzte, viele Festnahmen und viele Fragen Wobei: die Suche nach "Schuldigen" - abgesehen von den Neonazis, ohne die der Krawall nie stattgefunden hätte - ist keine gute Idee, jedenfalls nicht, solange es dringendere Probleme gibt.

Interessanter ist schon die Suche nach den Ursachen. Und die liegen m. E. ziemlich deutlich zu Tage:
Dass die Nazis brutal und auf Krawall aus sind, war bekannt. Neu waren der sogenannte autonomen nationalistischen Block - man kann auch sagen: organisierte Schlägertrupps, die hauptsächlich in den neuen Bundesländern regelrecht rekrutiert wurden. Sie machte zwar "nur" 200 der rund 1.500 in Hamburg versammelten Rechtsextremisten aus, rissen aber sicherlich viele "Nazi-Deppen" durch ihr Beispiel mit.
Zur Eskalation beigetragen haben leider auch "Randalekids", nach eigenem Verständnis auf Seiten der Gegendemonstranten, und jene "Testosteronbolzen" (distelfliege) die "revolutionäre" Gewalt romantisieren bzw. Selbstbestätigung im Kampf suchen. Diese dürfen auf keine Fall mit den (überwiegend schon ein paar Jahre älteren) "klassischen Autonomen" verwechselt werden, die zwar vor der gewaltsamen Auseinandersetzung nicht zurückschrecken, aber erst denken und dann zuschlagen. Im Grund spielten die Randalekids den Nazi-Schlägern in die Hände bzw. Fäuste. Allerdings: ohne die Nazidemo wäre auch die Randale der Randale-Kids nicht eskaliert. Die Blockade der Bahnstrecke kann z. B. auch als verzweifelte Abwehrmaßnahme gesehen werden.

Die Planung der Gegendemonstration war gut, und gegen einen "herkömmlichen" Naziaufmarsch wäre die Taktik, öffentliche Räume buchstäblich zu "besetzen" auch aufgegangen. Die Kritik an der OLG-Entscheidung ist m. E. überzogen - und nach der ursprünglichen Planung hätten Schlägertrupps unter Umständen in Barmbek-Nord (einem dicht bewohnten Stadtteil mit hohem Einwanderanteil, der allerdings kein "verarmtes Ghetto" ist) freie Bahn gehabt.

Bemerkenswert erscheint mir, dass in der Nähe vom Barmbeker Bahnhof (einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt) schon lange vor der Nazi-Demo und der Gegenveranstaltung mehr als 100 Nazis sich mit eine etwa gleich großen Gruppe teils linker Autonomer, teils wohl auch kampfgeiler Randalekids heftig prügelten. "Wenn sich die Polizei nicht dazwischengeworfen hätte, dann hätte es Tote gegeben", sagte Einsatzleiter Born, und damit hat er wohl leider recht. (Auch wenn die Polizeitaktik nach Angaben von Leuten, die näher dran waren als ich, nicht ganz "ohne" war. Die typischen Gummiknüppel-Kopfplatzwunden haben sich verletzte Demonstranten kaum selbst zugefügt.) Subjektiv mag es ja ehrenwert sein, den Nazis eine Tracht Prügel verpassen zu wollen, aber: klug handeln geht anders. Und ich fürchte, die Toten hätte es nicht auf Seiten der Nazis gegeben.
Eigentlich hätte schon dann die Nazi-Kundgebung mit dem Hinweis auf die nicht zu gewährleistende öffentliche Sicherheit abgesagt werden müssen.

Obwohl ich schon ein paar "heftige" Demos mitgemacht habe, habe ich so etwas noch nicht erlebt - brennende Autos schon, aber regelrechte brennende Barrikaden noch nicht. Sinnlose Aktionen, wie das Anzünden des Reifenlagers (damit im Hintergrund auch was brennt, wie man es aus Action-Filmen kennt?) oder das Anzünden von Autos "aus Verdacht" (wenn das einzige Indiz, es mit einem Nazi-Auto zu tun zu haben, eine Autonummer mit "1488" ist, dann sind "Fehlgriffe" unvermeidlich) zeugen eher von Hysterie und purer Lust auf Gewalt, als von politischem Bewusstsein.

Auch, dass große Helikopter zusätzliche Polizeihundertschaften z. B. aus Berlin einflogen und dass die Feuerwehr, um nicht selbst in Gefahr zu geraten, nicht zum Löschen durchkam (und sogar von Nazis direkt angegriffen wurde!) habe ich noch nicht erlebt.

Was mich selbst angeht: ich war nicht "mittendrin", sondern "nur dabei" und wollte eigentlich nur an einer friedlichen Gegendemo teilnehmen. In unmittelbarer Gefahr befand ich mich nicht. Trotzdem war ich froh, als ich weg war.

Zur Berichterstattung in den Medien: mir ist aufgefallen, dass bei im großen und ganzen friedlichen Demos gern von "Randale" berichtet wird, sprich dramatisiert wird. (Den einsamen Spitzenplatz erreichte in dieser Beziehung das "Bocholt-Borkener Volksblatt", das nach einer völlig friedlichen Anti-Nazi-Demo titelte: "Nach der Demo die Randale" - wobei grade mal ein Ei geflogen war.)

Dieser Dramatisierung steht im Falle der Straßenschlachten am 1. Mai eine gewisse Zurückhaltung bzw. ein in vielen Medien sichtbares Bestreben, die Sache niedrig zu hängen, gegenüber.

Sehr gut, wie immer, wenn es um Nazideppen geht - Pantoffelpunk: Randalekiddies.
Besonders schön - Peltos Kommentar:
Ach, hin oder her, das war schon ein schöner Tag. Die ganzen Poster in den Barmbeker Fenstern! Die sich über die Nazispacken empörenden Kleingärtner! 10.000 gegen 700, na, wenn die Blizbirnen immer noch glauben, das Volk zu sein: Nazis - mehr Haare als Verstand.
Ich fand zwar, der Tag hätte schön sein können - aber Pelto hat recht: die Unterstützung der Barmbeker gegen den Nazi-Aufmarsch war schon erfrischend. (Mehr als 700 Nazideppen waren es dann leider doch.)

Nachtrag: Darauf, dass die Krawalle wenig mit den Autonomen, aber sehr viel mit Randalekids und Krawallniks mit Testosteronüberschuss zu tun hat, deutet auch dieser Bericht in der taz hin: 1. Mai-Krawalle in Hamburg
Auch die nächtliche Randale im Szenestadtteil Schanzenviertel im Verlauf eines Antifa-Konzerts im autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora unter dem Motto "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" hatte nichts mit autonomer Politik zu tun. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei flogen Steine auf die Einsatzkräfte, und bei einem anschließenden Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei gingen 20 Müllcontainer und zwei Autos in Flammen auf. "Die Leute von der Roten Flora haben noch versucht, beruhigend einzuwirken", so Einsatzleiter Born. "Das Konzert war auch völlig friedlich." Ein Rotflorist bestätigt: "Wir hatten auf den Scheiß keinen Bock."
Noch ein Nachtrag: Burkhard Schröder Betrachtungen (wie immer lesenswert) auf telepolis: Die Lehre aus den Krawallen in Hamburg.
Ein Absatz gibt mir zu Denken:
Der voyeuristische Unterhaltungswert aber für Leute, die Gewalt und Straßenkampf nur aus Filmen kennen, ist hoch, weil die Authentizität mehr interessiert als die Medienberichte, deren Bilder und Filmsequenzen nur das wiederholen, was ohnehin schon oft und genau so vorgekommen ist. "Die schlimmsten Krawalle seit 30 Jahren": Wer dabei war, kann und will etwas davon erzählen.
Was die Teilnehmer der Gegendemo angeht, hatte ich nicht den Eindruck, dass unter uns viele darauf scharf waren, Straßenschlachten und brennende Autos "live" zu sehen. Was die "Randalekids" angeht, hat Burks wohl Recht. Endlich mit den alten Knackern, die so von Brokdorf ´77 oder Hafenstraße ´82 so erzählen, wie Opa von der Ardennen-Offensive, gleichziehen! Und was werden die Kumpels in Buxtehude, Wismar oder Gütersloh staunen!
Straßenkampf als Adoleszenzritual und Abenteuerurlaub. Distel, Du hast ja so recht!
Und Burks hat wohl auch recht, wenn er meint: Die Krawalle sind jedoch langfristig politisch bedeutungslos.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Das war mir doch zu heiß ...

Im nüchternen Nachrichten-Deutsch heißt es:
Am Rande der Demonstration gegen einen Aufmarsch von rund 1.000 Neonazis in Hamburg ist es (...) zu schweren Ausschreitungen gekommen. Die Polizei sprach von einer "zeitweise recht unübersichtlichen Lage". Ein Streifenwagen und sechs andere Autos standen in Flammen. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Linken und Rechten sowie linken Demonstranten und der Polizei.
NDR Online: Ausschreitungen bei Protest gegen rechten Aufmarsch

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, was man vielleicht daran ersehen kann, dass heute Nachmittag sämtliche S-Bahn-, U-Bahn- und Buslinien um Barmbek herum unterbrochen waren. Schon am Vormittag brannte ein Reifenlager auf dem Gelände einer Tankstelle an der Habichtstraße. Feuer auf der Bahnstrecke brachten den Verkehr der S-Bahn-Linie zwischen Hauptbahnhof und Ohlsdorf zum Erliegen. Die Polizei war offensichtlich unterbesetzt und überfordert: sie hatte zu wenig Kräfte, um Barmbek in der Fläche zu kontrollieren, es gab viele Kleinbrände in Seitenstraßen. Es wird auch von Übergriffen seitens der Polizei gegen offensichtlich friedliche Demonstranten berichtet; ich vermute, die Polizei griff einfach da zu, wo sie noch Zugriff hatte.

Ich muss gestehen, dass ich mich kurz nach zwei auf "Schleichwegen" (ich kenne die Gegend recht gut) verkrümelt habe. Mag sein, dass das feige war, aber die Sache wurde mir zu unübersichtlich und buchstäblich zu heiß - brennende Barrikaden kannte ich der Form nur aus dem Fernsehen. Und schließlich bin ich nicht mehr der Jüngste ...

Ein paar (ungefilterte und sicherlich nicht immer "wasserdichte") Eindrücke von der Situation in Hamburg-Barmbek: de.indymedia.org: 1 mai 08 hamburg - aktuell

Und das Allerletzte: Hamburgs Noch-Innensenator Udo Nagel (parteilos) gab dem Oberverwaltungsgericht eine Mitschuld an den Ausschreitungen. Es hatte einige Demonstrationsauflagen gelockert und die Fuhlsbütteler Straße für die Gegendemonstration freigegeben. M. E. hätten strengere Auflagen und eine andere Route an den Auseinandersetzungen nichts, aber gar nichts geändert, wer brennende Barrikaden errichtet, der hustet auf Auflagen und Ordnungsdienst!
Abgesehen davon wären Anwohnerinnen und Anwohner nach der von der vom Innensenator vorgeschlagenen Route des Neonaziaufmarsches regelrecht "umschlungen" worden. Eine Taktik, die den Verdacht nahe legt, als würden die Gegendemonstranten als die eigentliche Unruhestifter gelten. (Wobei ich die gewalttätigen Krawallniks und Randalekids auf "Antifa"-Seite keine Sekunde in Schutz nehmen will. Randalierende Nazis und jede Menge friedlicher Gegendemonstranten - das wäre deutlich gewesen! *Sarkasmus* Aber eine richtige Straßenschlacht macht sich auch toll in den Nachrichten. Danke, Jungs, habt Ihr prima hingekriegt!*/Sarkasmus*)

Und noch was zum bitteren Lachen: "Polizeisprecher Ralf Meyer sagte, auf beiden Seiten seien Demonstranten schon lange nicht mehr so aggressiv vorgegangen. Es sei aber gelungen, Rechte und Linke weitgehend auseinanderzuhalten, so Meyer."
Da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken, Herr Meyer, das war eine ausgewachsene Straßenschlacht, Polizei und Feuerwehr waren total überfordert.

Guter Bericht auf dem NPD-Watchblog: Überforderte Polizei bei Nazi-Aufmarsch in Hamburg. Interessant übrigens, dass so was nicht im Radio (NDR!) kommt:
“Autonome Nationalisten” attackierten zudem ein NDR-Kamerateam, traten eine Journalistin und einen Kameramann mehrmals, zudem griffen sie andere Reporter an und schlugen offenbar einen Fotografen zusammen. Die Polizei griff nicht ein.
Immerhin, NDR online berichtet über den Übergriff auf das NDR-Team aber ohne zu erwähnen, dass die Polizei passiv blieb!

Nachtrag: aufschlussreich, was der "Störungsmelder" schreibt (auch die Kommentare beachten!): Chaos in Hamburg - Autonome Nationalisten verprügeln Polizisten und Journalisten.

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