Politisches

Samstag, 8. November 2008

Broder über "60 Jahre Progromnacht" - wo er recht hat, hat er recht

Meine Wertschätzung für Henryk M.Broder nahm zwar in den letzten Jahren deutlich ab, aber wenn es um das Thema "Antisemitismus in Deutschland" geht, schätze ich ihn als nach wie vor ein ebenso scharfsinnigen wie scharfzüngigen Analysten.

Morgen jähren sich zum 70. Mal die Novemberpogrome der Nazis von 1938. Wozu Broder Einiges zu sagen hat - im Gegensatz zu vielen phrasendreschenden Gedenktagsabhakern. Broder kritisiert "Soße der Betroffenheit" (D-Radio Kultur).
Broder fordert, auf Betroffenheitsrituale, die wie Kammermusikveranstaltungen in kalendarischer Reihenfolge abgefeiert werden, zu verzichten.
(...) Und ich finde es im Prinzip auch gut, dass die Vergangenheit langsam in der Vergangenheit versinkt. Und es stimmt nicht, dass die Deutschen mit der Vergangenheit nicht klarkommen. Sie kommen mit der Vergangenheit sehr gut klar. Womit sie nicht klarkommen, ist die Gegenwart. Und das betrübt mich immer mehr. Es gibt, wenn Sie sich angucken, was heute passiert, Dafur, im Kongo fängt wieder der alte Völkermord an, der nie zu Ende war. Das beansprucht einen Hauch der Aufmerksamkeit, den wir auf die Vergangenheit richten. Und diese Besessenheit in der Vergangenheit hat, glaube ich, inzwischen Alibicharakter. Und es kommt auch daher, dass in der Tat so gut wie alle Täter ausgestorben sind. Man kann keinem mehr wehtun.
Broder meint, man könnte, z. B. im Geschichtsunterricht, vielleicht einfach faktisch-historisch berichten, ohne die "Soße der Betroffenheit", die über diese Geschichte ausgebreitet würde, denn die Leute seien nicht wirklich betroffen.
Sie wären nicht wirklich betroffen, sonst würden sie sich nicht dermaßen in die Vergangenheit stürzen und dabei die Gegenwart leugnen. Es ist laut Broder ein Skandal, dass heute die Existenz Israels zur Disposition stünde.
Sie steht zwar in Deutschland meines Erachtens nicht ernsthaft zur Disposition; ich beobachte aber auch, dass viele Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels sich sehr nach Lippenbekenntnis anhören - oder, bei "Antizionisten", nach Heuchelei. In dieser Beziehung sind mir die Antisemiten in der NPD und noch weiter rechtsaußen beinahe lieber - bei ihnen besteht wenigstens kein Zweifel an ihrem Hass auf alles Jüdische und das, was sie dafür halten.

Broder meint, wir seien sozusagen dabei, die Machtübernahme von '33 heute zu verhindern. Ihn wundert und empört, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit so einflusslos und folgenlos für die Beschäftigung mit der Gegenwart bliebe.
Wenn zum Beispiel in Köln ein paar Tausend Demonstranten den Aufmarsch von ein, zwei Dutzend Rechten verhindern, dann hat man wirklich den Eindruck, die Leute holen etwas nach, was die Eltern und Großeltern 33, 38 versäumt haben. Und das sind nur noch Aktionen, um sich ein gutes Gewissen zu verschaffen, ein retrospektiv gutes Gewissen.
Ich halte die Aktion gegen die Antiislamisten von "Pro Köln" für insofern gelungen halte, als das sie sich in der wirklichen, heutigen Welt mit Rechtsextremisten, die überwiegend keine Neonazis sind, auseinandersetzte. Allerdings gebe ich Broder insofern recht, dass die Frage der "historische Schuld" und der Gewissensentlastung eine nicht unwichtige Rolle bei dieser Protestaktion spielten. Als Deutscher hat "man" die "historische Pflicht" gefälligst tolerant gegenüber anderen Religionen und Kulturen zu sein. Allerdings ist "Toleranz" aus Gehorsam und schlechtem Gewissen keine wirkliche Toleranz - und, wenn es hart auf hart kommt, keinen Schuss Pulver wer.

Bei vielen anderen "Aktionen gegen Nazis" fehlt die realweltliche Auseinandersetzung mit heutigem Rassismus und Antisemitismus, heutigen Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie, und meist sogar mit heutigen Nazis. Sie sind reine "Moraltheologie", mit dem einzigen Sinn und Zweck, symbolisch "ein Zeichen zu setzen" - eben eines, dass man nicht mit den deutschen Nazis von 1933 - 1945 identisch ist und dass man der Pflicht, Nazis von Herzen zu verabscheuen, nachkommt. Wobei regelmäßig vergessen oder verdrängt wird, dass "Rechtsextreme" streng genommen keine "Extremisten am rechten Rand" der Gesellschaft sind, also irgendwie böse Exoten, sondern das der "Rechtextremismus" ein Extremismus der Mitte ist, und das junge Schlägernazis nicht selten genau das in die Tat umsetzen, was sie tagtäglich am Küchentisch, am Kantinentisch oder am Kneipentisch von "ganz normalen" Menschen zu hören bekommen.

Von daher ist es kein Wunder, dass der "Kampf gegen rechts" gescheitert ist. Kein Wunder, da er vor allem aus heiße Luft und besorgte Attitüde, flankiert durch die dazu passenden hysterischen Berichte, besteht. Und aus Verbots- und Kontrollforderungen, die ab und an auch tatsächlich umgesetzt werden. Ohne dass es die realen Nazis sonderlich jucken würde. Hingegen gefährden Verbote, Überwachungsmaßnahmen und "hartes Durchgreifen" (nicht mit "Null Toleranz" zu verwechseln) genau die Demokratie, die angeblich dadurch geschützt werden soll.

Dienstag, 4. November 2008

... und wieder mal tritt ein "handwerklich schlechtes" Gesetz in Kraft

Ab dem 5. November 2008 ist der Besitz von “Jugendpornografie” strafbar. Hierbei handelt es sich um "Jugendpornographische Schriften" (auch Bilder, Videos und Computerspiele gehören auf Jura-Deutsch zu den "Schriften"), die sexuelle Handlungen 14- bis 18-Jähriger zeigen, oder zumindest diesen Eindruck erwecken. (Das heißt: es braucht nicht wirklich eine sexuelle Handlung sein - und die Akteure könnten auch älter sein.) Bisher war lediglich Kinderpornografie (bis 14 Jahre) verboten. Meldung bei heise: Strafgesetzbuch kennt ab morgen den Begriff "Jugendpornographie"

"Gut gemeint" ist manchmal das Gegenteil von "gut gemacht" - auch wenn einige Kinken des Gesetzentwurfs beseitigt sind. Bei pingeliger Auslegung des sehr subjektiven Gesetztextes (was ist "wirklichkeitsnahes Geschehen?") könnte auch ein Bild wie dieses darunter fallen:
Michelangelo Caravaggio - Amor Vincit Omnia, 1602/3
Michelangelo Caravaggio - Amor Vincit Omnia, 1602/3

Weiteres auf Udos Law Blog: Jugendpornographie ab morgen strafbar (vor allem die Kommentare!) und Neuer Schub für die Hexenjagd

Nachtrag: ... und Burks schreibt auch etwas sehr Treffendes zum novellierten Gesetz: Jugendschutz jetzt noch klostertauglicher.

Freitag, 10. Oktober 2008

Symbolverbot gegen (uraltes) Anti-Nazi-Plakat

Im sächsischen Geithain hat die Polizei ein Plakat der "Linken" abhängen lassen. Das Plakat zeigt einen Neonazi mit in den Haaren rasierten SS-Runen. Nach Protesten habe die Polizei auf den restlichen Plakaten die Runen überkleben lassen. "Linken"-Landesgeschäftsführer Gebhardt sagte, dass laut Polizei der Verdacht bestehe, auf den Plakaten seien Kennzeichen "Verfassungsfeindlicher Organisationen" abgebildet.
lvz-online:Linke wehren sich gegen Plakat-Verbot "Nazis raus aus den Köpfen!"
sz-online:Sachsens Polizei verbietet Anti-Nazi-Plakat

Der Vorfall erinnert sehr an das juristische Possenspiel um durchgestrichene Hakenkreuze. - Offensichtlich hat es sich bei der sächsischen Polizei noch nicht herumgesprochen, dass 86 a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) einige Ausnahmen hat, z. B. "Staatsbürgerliche Aufklärung" oder "Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen", und dass nach höchstrichterlichem Urteil gilt: Werden Nazi-Kennzeichen in "erkennbar distanzierender Absicht" gebraucht, ist das straffrei!

Nach Angaben der Berliner Agentur Trialon wurde das Plakat seit 1993 (!) bislang in 600.000 Exemplaren aufgelegt und bundesweit genutzt. Zudem seien etwa eine Millionen entsprechende Aufkleber gedruckt worden - bisher offensichtlich unbeanstandet.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

... ich hatte mir vorgenommen, nichts zur "Finanzkrise" zu schreiben

Weil ich zu wenig Durchblick habe (etwa so wenig wie so manche "Wirtschaftsjournalisten", die jetzt alles vorher gewusst haben wollen), und weil schon alles gesagt ist (wenn auch noch nicht von jedem).

Aber eines nervt mich an der Finanzkrise wirklich: dass in ihrem Windschatten die "große Koalition" den Einsatz der Bundeswehr im Innern durchwinkte, ohne dass die Regierung die "schlechte Presse" und den "Gegenwind" bekommen würde, den sie verdient.

Immerhin gibt es bei "Freitag" einen Artikel des Diplom-Pädagogen und Oberstleutnant bei der Bundeswehr, Jürgen Rose, der kurz und präzise erklärt, was diese Entscheidung bedeutet: Amtshilfe per Schützenpanzer.

Dienstag, 30. September 2008

Naja, habe mich halt verwählt ...

Welt.de: Grüne Senatorin genehmigt Kraftwerk Moorburg.
Monatelang wurde geprüft und diskutiert. Jetzt hat Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) das Kohlekraftwerk in Moorburg genehmigt – entgegen der Ankündigungen im Wahlkampf.

Wahrscheinlich habe ich mich aus nostalgischen Gründen (ich war mal bei der GAL) dazu hinreißen lassen, Wahlkampfaussagen nicht von vornherein als taktische Lügen zu betrachten ...

Donnerstag, 25. September 2008

IAB: Kosten der Arbeitslosigkeit seit 2004 um 27 Prozent gesunken

Eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) klingt auf den ersten Blick durchaus erfreulich:
Im Jahr 2004 betrugen die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit noch 92 Milliarden Euro. In den Jahren 2005 bis 2007 reduzierten sie sich um rund 25 Milliarden auf 68 Milliarden Euro.

Das liegt einmal daran, dass die Zahl der Arbeitslosen um rund 21 Prozent zurückging. Fast ausschließlich aus konjunkturellen Gründen - das heißt: nach Lage der Dinge vorübergehend. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die "atypischen" Beschäftigungsverhältnisse z. B. Teilzeit, Zeitarbeit und befristete Stellen, stark zugenommen haben: Der feste Vollzeitjob ist längst nicht mehr die Regel ("Die Welt"-online)

Die Kosten je Arbeitslosen sanken um rund 7 Prozent - unter anderem durch die Hartz-IV-Reform. (Was ja auch ein - eingestandener - Grund für diese Reform war!)

Das IAB ist übrigens kein unabhängiges Institut, sondern gehört zur Bundesanstalt für Arbeit. Von daher ist es auch nicht überraschend, dass das Institut vor einer Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung warnt.

Die Pressemeldung: Kosten der Arbeitslosigkeit seit 2004 um 27 Prozent gesunken.
Kurzbericht über die Studie des IAB: Kosten der Arbeitslosigkeit sind gesunken (pdf)

Mittwoch, 24. September 2008

Wahlkampf auf bayerisch - Halloween-Parties nur bis Mitternacht

Als "Nordlicht" kann ich mich über die Eigenarten des CSU-Wahlkampfes nur wundern. Ministerpräsident Beckstein scheint z. B. tatsächlich gelaubt zu haben, mit seiner launigen Äußerung, ein "bayrisches Mannsbild" sei nach 2 Maß Bier noch fahrtüchtig, Punkte (aber keine in "Flensburg") bei der Stammwählerschaft (genauer wohl: Stammtischwählerschaft) sammeln zu können.

Vermutlich zielt auch dieser auffällige Anfall bayrischer Härte auf die (angeblich) fromme CSU-Wählerschaft ab:
Um Mitternacht ist auf bayrischen Halloween-Parties Schluss!

Der Grund: Der 1. November, Allerheiligen, ist ein so genannter "stiller Feiertag". Öffentliche Unterhaltungs-Veranstaltungen mit Musik und Tanz sind ebenso wie private Parties über eine gewisse Lautstärke an diesem Tag streng verboten. Das bedeutet, dass sämtliche Halloween-Veranstaltungen um Punkt Mitternacht beendet werden müssen.
Das Gesetz trat zwar bereits am 1. Januar 2005 in Bayern in Kraft, wurde aber bislang nahezu überall relativ freizügig ausgelegt, die Sperrzeit wurde mit behördlichem Segen bis maximal 5 Uhr morgens gedehnt, öffentliche Halloween-Parties wurden meistens genehmigt.

Aber dieses Jahr ist "Schluss mit Lustig". Das bayrische Innenministerium verfügte: Partyverbot an Halloween nach 0 Uhr, keine Ausnahmegenehmigungen mehr!
Am 15. September wies die Bezirksregierung Oberbayern im Auftrag des Innenministeriums den zuständigen und bisher recht großzügigen Münchner Referenten Wilfried Blume-Beyerle an, das Feier-Verbot strikt durchzusetzen und bereits erteilte Genehmigungen wieder aufzuheben: "Der Schutz des Feiertages muss garantiert werden". Halloween-Verbot: Bayern dreht durch.

Ich bin mal gespannt, wie die bayrischen Jung- und Erstwähler auf diesen Anfall verschärfter Nulltoleranz reagieren ...

Montag, 15. September 2008

Nachträglicher (?) Schrecken

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit der großen Friedensdemonstrationen Anfang der 80er Jahre. Was uns auf die Straßen brachte, war einerseits der NATO-Doppelbeschluss, andererseits die Tatsache, dass mit Ronald Reagan ein außenpolitischer "Falke" mit einfach gestricktem Gut-Böse Weltbild (er bezeichnete die UdSSR und den Warschauer Pakt gern als "Evil Empire) Präsident der USA war.
Der NATO-Doppelbeschluss war sozusagen ein "Verhandeln mit vorgehaltener Pistole" - für den Fall, dass die Verhandlungen über eine beidseitige Begrenzung sowjetischer und US-amerikanischer nuklearer Mittelstreckenwaffen scheitern, war eine automatische Stationierung neuer us-amerikanischer Mittelstreckenwaffen vorgesehen. Was dann auch so kam: nach dem Scheitern der Verhandlungen wurden 1983 Marschflugkörper und neue, sehr zielgenaue Mittelstreckeraketen von Typ Pershing II in der Bundesrepublik stationiert.

Dass der Anlass - oder, wie das kleine, aber lautstarke Häufchen moskautreuer Kommunisten, die scheinbar auf keiner noch so kleinen Demo fehlten, sagte: der Vorwand - für den NATO-Beschluss, die mobilen und zielgenauen sowjetischen nuklear bestückten Mittelstreckenraketen vom Typ RT-21M "Pioner" (Nato-Codebezeichnung: SS-20) auch auf uns gerichtet waren, trug nicht unbedingt zur Beruhigung bei.
Denn bis auf eine Handvoll hartnäckiger DKPler waren wir uns darüber im Klaren, dass die sowjetischen Kriegsplanungen aller Wahrscheinlichkeit nach genau so den Einsatz von "eurostrategischen" Waffen vorsah, wie die der USA.

Der springende Punkt dabei war, dass auch den hartnäckigsten Militaristen klar war, dass ein "strategisch-nuklearer Schlagabtausch", also ein atomarer Weltkrieg, zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nicht beherrschbar wäre. Tatsächlich beruhte das "Gleichgewicht des Schreckens" die gegenseitige Abschreckung, auf dem Prinzip "wer zuerst schießt, stirbt als zweiter" - oder anders ausgedrückt: alle Menschen der Erde, egal wo sie lebten oder was sie taten und dachten, waren Geiseln dafür, dass sich die Großmächte nicht gegenseitig an die Gurgeln gingen.

Anders sah es mit den Konzept eines "begrenzten Atomwaffeneinsatz" aus. Der erschien offensichtlich nicht wenigen Militärs "beherrschbar" zu sein. Zumindest von der NATO wussten wir, dass sie sich die "Option des atomaren Erstschlags" im Falle eines konventionellen (nicht nuklearen) Angriffs der Warschauer Pakts vorbehielt.

Nach 1983 kippe die Stimmung. Sarkastische Lieder wie "Besuchen Sie Europa, solange es noch steht" von Geier Sturzflug oder "Alles, alles geht vorbei, durch die Pershing II" von Ludwig Hirsch lösten auf Demos oft die "klassischen" Protestsongs ab und waren regelrechte Hits, sogar im Radio.

Was ich in Erinnerung habe, war ein Klima der unterschwelligen Hoffnungslosigkeit, in der "Alternative" immer häufiger "alte Naive" genannt wurden, in der sich ein Teil der damals jungen Leute in einen hedonistischen und egoistischen Lebenstil flüchtete (ich halte die "Popper" und später auch die "Yuppies" auch für ein indirektes Produkt der Atomkriegsangst), ein andere Teil ins apokalyptische Denken unterschiedlichen Ausprägung kippte.

Was wir damals allenfalls ahnten, wurde nun aufs Schrecklichste bestätigt - dass nämlich der rücksichtslose, menschenverachtende, bedenkenlos Millionen Menschenleben zugunsten des Siegs des eigenen "Systems" opfernde und deutlich paranoide Kriegsdoktrin der NATO eine ebenso rücksichtslose, menschenverachtende, bedenkenlos Millionen Menschenleben zugunsten des Siegs des eigenen "Systems" opfernde und möglicherweise noch paranoidere Kriegsdoktrin des Warschauer Paktes gegenüber stand.

Sie war anscheinend noch paranoider, als wir damals fürchteten. Jedenfalls weist darauf ein Artikel in NZZ hin, in dem neuere Forschungsergebnisse zur Militärstrategie des Ostblocks präsentiert werden. Warschaupakt plante nuklearen Überfall auf Westeuropa. (Gefunden beim A-Team.
Während Russland jede Einsicht in einschlägige Dokumente immer noch verweigert, haben andere osteuropäische Staaten Unterlagen freigegeben, aus denen sich die Kriegsplanungen des Warschauer Pakts, erschließen lassen. Zusammen mit der bereits aus Dokumenten aus dem "Nachlass" des DDR-Verteidigungsministeriums bekannten operativen Planung ergibt sich ein ebenso erschreckendes, wie leider glaubwürdiges, Bild der sowjetischen Kriegsplanung.

Einige Überlegungen waren mir aus Diskussionen während der 80er noch vertraut - zumindest einige Friedensforscher waren, in Kenntnis der stark ideologisch geprägten "Betonkopf"-Denkens der UdSSR-Führung, und der - historisch bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbaren - Invasions-Paranoia, schon zu ähnlichen Schlüssen gekommen. Schlüsse, die sie, militärisch gesprochen, gegen die Illusion vor allem der Bundeswehrführung, man könne sich gegen einen konventionellen Angriff des Ostblocks durchaus konventionell verteidigen, die NATO-Erstschlagsoption sei also nur eine "allerletzte Möglichkeit", in Stellung brachten. Denn ihnen war klar, dass die sowjetische Führung der NATO das niemals glauben würde.
Warum also sollte der Warschaupakt in einem Krieg bis zum nuklearen Ersteinsatz der Nato warten, wenn doch die Möglichkeit bestand, durch den frühzeitigen eigenen nuklearen Ersteinsatz die Nato zumindest teilweise nuklear zu entwaffnen? Warum sollte der Warschaupakt trotz konventioneller Überlegenheit überhaupt einen konventionellen Beginn des Krieges planen, wenn durch einen in jedem Falle notwendigen Kernwaffeneinsatz der Nato der Krieg ohnehin ein nuklearer werden würde?
Was der NZZ-Artikel nun anspricht, wagte damals kaum jemand zu denken - auch wenn es völlig logisch ist:
Der Präventivkrieg bereitete keine Rechtfertigungsprobleme. Auch er war per definitionem ein Verteidigungskrieg. Natürlich würde der massive Einsatz von Nuklearwaffen Teile Westeuropas verwüsten. Doch der Sowjetunion ging es ohnehin nicht in erster Linie um die Besetzung möglichst unversehrten Territoriums, sondern zuerst und vor allem um die Zerschlagung des militärischen und politischen Gegners. Diese ideologisch geprägte Sicht erklärt zugleich, weshalb politische Entwicklungen wie die Entspannung keinen Einfluss auf die Kriegsplanung hatten. Nicht wenige hielten sie ohnehin für eine Finte des Westens.
Ich ahnte, dass die wachsende technische waffentechnische Überlegenheit des "Westens" vom "Osten" als Provokation gesehen würde und die Paranoia eine überalterten Sowjetführung anheizen würde, deren Mitglieder noch den Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die UdSSR miterlebt hatten.
Später, nach dem Ende des Ostblocks, wurde mir, auch durch Gespräche mit einem ehemaligen NVA-Offizier klar, dass die Sowjetunion jeden denkbaren Konflikt - und erst recht jeden denkbaren Krieg - mit dem "kapitalistischen Mächten" durch die Brille (oder die Scheuklappen) des Systemantagonismus sah. Es war offensichtlich: Man ging davon aus, dass die USA das sowjetische System in jedem Fall zu zerstören beabsichtigten. Interessanterweise hielt der ehemalige Hauptmann der NVA-Raketentruppen eisern daran fest, dass die Militärdoktrin des Warschauer Paktes rein defensiv gewesen wäre. Das kannte ich, bezogen auf die NATO, auch von Bundeswehroffizieren. Der Unterschied: die Überzeugung, die Gegenseite sei das "Reich des Bösen", war im "Westen" auf einige Scharfmacher beschränkt.

Das hier raubt mir noch nachträglich der Schlaf:
Mehr noch. Zwischen 1975 und 1988 häuften sich die Forderungen der sowjetischen Militärführung, einer technologischen Überlegenheit des Westens militärisch zuvorzukommen. Im September 1982 verglich Marschall Ogarkow anlässlich des Treffens der Generalstabschefs des Warschaupakts die politische Situation mit der Zeit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In Wirklichkeit hätten die USA der Sowjetunion und deren Verbündeten den Krieg bereits erklärt. Allen Anwesenden war klar, was gemeint war und was möglicherweise bevorstand
Und die NATO? Der NZZ-Artikel geht davon aus, dass die NATO-Planer schon frühzeitig erkennt hätte, dass es wahrscheinlich zu einem nuklearen Ersteinsatz durch den Warschaupakt kommen würde.
Laut NZZ hatte die NATO keine Alternative: Eine Eskalation hätte die Perspektive eines unkalkulierbaren nuklearen Schlagabtausches in Mitteleuropa bedeutet. Dieses Szenario wäre in den Nato-Staaten zu keiner Zeit vermittelbar gewesen.

Was zweifellos stimmt. So, wie die sowjetischen Kriegspläne der Bevölkerung der Ostblock-Staaten nie vermittelbar gewesen wären, weshalb sie denn auch geheim waren.

Es kam anders: Der Atomkrieg fand nicht statt. Einerseits durch der Generationswechsel in der Sowjetführung - Gorbatschow hatte weder hinsichtlich der Möglichkeit eines "gewinnbaren Atomkriegs" noch der Leistungsfähigkeit der sowjetischen Industrie irgendwelche Illusionen - und er war nicht mit dem Alptraum eines brutalen Vernichtungskriegs und dem alptraumhaften, bis in die Familien hinein von krankhaftem Misstrauen durchdrungenen, stalinschen System aufgewachsen.
Nicht zuletzt unter dem Druck ihrer Verbündeten - die wiederum nicht zuletzt vom "Druck der Straße" motiviert wurde - wurde die Politik der USA gegenüber der UdSSR pragmatischer, realistischer.

Letztes Ende hat der Umstand, dass "der Westen" wenigstens ansatzweise eine "offene Gesellschaft" war, entscheidend dazu beigetragen, dass der "heiße Krieg" in über 40 Jahren "Kaltem Krieg" nur Planspiel blieb. Hätte sich zwei autoritäre, ideologisch ausgerichtete, Blöcke gegenübergestanden, dann wäre es sehr wahrscheinlich zum Atomkrieg gekommen. (Auch so haben wir ein buchstäblich unwahrscheinliches Glück, dass wir die Jahrzehnte des "Kalten Krieges" überlebt haben.)

Ich fürchte aber, dass der Schrecken nicht wirklich zu ende ist. Ein Grund liegt darin, dass es nicht nur Veteranen des Kalten Krieges gibt, sondern auch Invaliden - geistige.
Machen wir uns nichts vor: die Generation von Politikern, die heute in den USA und in Russland regieren, die Generäle fast allen wichtigen militärischer Mächte (zu denen auch das wiedervereinigte Deutschland gehört) sind "Cold War Kids", im Kalten Krieg aufgewachsen, mit dem Weltbild des Kalten Krieges indoktriniert.
Menschen, die sozusagen automatisch in den Maßstäben militärischer Drohgebärden und militärischer Vergeltung denken. Nicht nur in der viel gescholtenen US-Regierung unter Bush jr. .

Es gibt daneben eine unangenehm große Anzahl Staaten, die sich die "Supermächte" im Kalten Krieg als Vorbild für ihre eigene Machtpolitik nehmen - "hasto Bombe, bistu Supermacht".
Der Alptraum eines politische völlig instabilen Staates mit Atomwaffen ist jedenfalls in Pakistan traurige Realität.

Montag, 18. August 2008

Demenz bei der Bundesagentur

Es gibt Ideen, die zwar irgendwie für irgendwelchen Menschen plausibel klingen, es aber nicht sind: Langzeitarbeitslose sollen Demenzkranke betreuen. Wie die Konsequenzen für die Demenzkranken aussehen würden, hat Hockey auf den bitteren Punkt gebracht.

Was steckt hinter so einer Kelleridee?
Unstrittig ist, dass es zu wenige Pfleger gibt. Wenn es nur um die Demenzkranken und die Langzeitarbeitslosen ginge, wäre es am sinnvollsten, geeignete Langzeitarbeitslose gleich zum "richtigen" Altenpfleger / Krankenpfleger umzuschulen. Allerdings ist leider kein Geld da, um die nötigen Planstellen dafür in den Heimen und Stationen zu finanzieren.
Die Pflegeassistenten sind weitaus billiger zu haben als die ohnehin schon schlecht bezahlten Pfleger. Und das "Schöne" ist: als Langzeitarbeitslose sind sie nicht in der Position, einen entsprechenden "Vorschlag" ablehnen zu können. So gesehen: eine zynisch-schlaue Idee, gleichzeitig im Gesundheitswesen "Kosten zu dämpfen" und dabei "Abeitslosigkeit zu bekämpfen" - zwar auf Kosten der Kranken und der nicht ganz freiwilligen Pflegeassistenten, aber das ist ja nicht weiter wichtig ...

Der Haken an der "tollen" Idee: die potenziellen Pflegeassistenten müssen geeignet sein. Ich bezweifele, nicht erst seit dem Erntehelfer-Fiasko, dass die nach Maßstäben der Fallmanager der Agentur "geeigneten" Kandidaten dann auch wirklich für diese harte und nervenbelastende Arbeit geeignet sind. Selbst junge und an sich belastbare Zivis halten die Arbeit im Pflegeheim oft psychisch nicht durch. Also wird es oft darauf hinauslaufen, dass der nicht ganz freiwillige Patientenpfleger nach einigen Monaten selbst zum Patienten wird - in der Psychiatrie.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Iranische Atomenergiebehörde verbietet Solarien

Die kleine Meldung ist zwar einige Tage alt und mag nicht so recht in die sonnige Jahreszeit passen - sie ist aber einfach zu absurd, als dass ich sie ignorieren könnte: Iran verbietet Solarien (Die Presse).
Der Iran verbietet die Nutzung, Aufstellung und den Import von Sonnenbänken. Der offizielle Grund: Strahlenschutz am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit.
Offensichtlich einer dieser offiziellen Gründe, die immer dann erfunden werden, wenn Politiker irgendeinen offiziellen Grund brauchen - und der so absurd ist, dass jedem klar ist, dass es um etwas ganz anderes geht. Denn dass allein die Bräunungswilligen und nicht etwa das Personal oder vorbeigehende Passanten die UV-Strahlung des Solariums abbekommen, dürfte auch im Iran weithin bekannt sein.
Federführend ist interessanterweise die Atomenergiebehörde - (na klar, es geht ja um Strahlung!) -in Absprache mit dem Handelsministerium.
Über den Rundfunk werden die Iraner aufgefordert, Sonnenstudio-Betreiber anzuzeigen. Wer eine Sonnenbank nutzt oder betreibt, muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Solarien in in Hotels, Fitnessstudios oder Schönheitssalons sind vor allem bei den Iranerinnen sehr populär geworden. Wegen der strengen islamischen Kleidungsvorschriften bietet sich ihnen nur an wenigen Orten die Gelegenheit zum Sonnenbad im Freien.
Es ist ja eine beruhigende Nachricht, für alle, die sich von einer "iranischen Bombe" fürchten: endlich wissen wir, womit sich die iranische Atomenergiebehörde wirklich beschäftigt.
Meiner Ansicht nach geht es bei diesem Verbot um das, was auf Polit-Deutsch: "Zeichen setzen" genannt wird. Der strenge Sittenkodex der islamischen Republik wird bekanntlich von vielen Iran nach Kräften umgangen - und meistens so, dass die Regierung dagegen machtlos ist. Im Falle der Solarien kann sie etwas unternehmen, zeigen, dass man den Grundsätzen der islamischen Revolution nicht auf der Nase herumtanzen kann - und sie tut es auch. Bezeichnenderweise nicht mit einer plausiblen Begründung, etwa, dass die Benutzung von Sonnenbänken ungesund sei.
Das Prinzip: "Da wo wir es können, hart durchgreifen" kennt man ja auch in westliche Demokratien. Ich denke da an bestimmte Erscheinungen im "Krieg gegen Drogen" - und auch an Politiker, die gerne "Killerspiele" verbieten wollen. Egal, ob es was nützt.
Vielleicht gilt die Benützung eines Elektrostrandes ja auch als Abfall vom Islam, als heimlich ausgeübter Sonnenkult. Vom Islam zum Christentum Konvertierten soll angeblich ja bald lebenslange Haft oder gar der Tod drohen: Eine Religion für Huren und Junkies (Kölner Stadtanzeiger).

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