Überwachungsgesellschaft

Donnerstag, 6. November 2008

Überwachungsgesellschaft: Schlimmer gehts immer!

Es hat sich hoffentlich schon herumgesprochen: BKA-Gesetz soll nächste Woche durch den Bundestag gepeitscht werden (netzpolitik) - und zwar ohne dass der genaue Text des Koalitions-Kompromisses zu den neuen Befugnissen des Bundeskriminalamts öffentlich bekannt wäre!

Wichtig ist jetzt, dass bis nächste Woche die Abgeordneten von SPD und Union massiv zu hören kriegen, dass dieses Überwachungsmonster von der breiten Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.

Werdet also bitte schnellstens aktiv! Ruft eure Wahlkreisabgeordneten an, besucht sie möglichst morgen noch im Wahlkreisbüro, bloggt darüber, macht Mahnwachen vor dem Bundestag, und tut alles andere was euch einfällt, um diesen gefährlichen Unsinn noch zu verhindern!

Dabei geht es weniger um die so im Vordergrund der Berichterstattung stehende "Online-Überwachung" - denn von der weis niemand so genau, wie sie eigentlich technisch gehen soll, Burks spricht sogar von einer "Ente" - es geht um einen generellen Abbau rechtsstaatlicher Bremsen der Überwachungs- und Sicherheitsbehörden.

Eine erfreulichere Nachricht kommt vom Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe bremst Vorratsdatenspeicherung aus (SpOn). Sie ist damit aber keineswegs völlig vom Tisch, sondern nur eingeschränkt.

Keineswegs eingeschränkt ist die Phantasie der Überwachungs-Fans, wenn es darum geht, sich neue Möglichkeiten der Überwachung auszudenken: Bericht: Britische Regierung will E-Mail-Verkehr und Webzugriffe in Black Boxes aufzeichnen (heise).

Freitag, 31. Oktober 2008

Auslaufmodell Privatsphäre

Auf Einladung der "Humanistischen Union" (HU) referierte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte, Hartmut Lubomierski, am Mittwochabend (29.10.) zum Thema „Steuernummer für alle - Ende der Privatheit?" Seine Prognose war pessimistisch.

Sofern die Steuer-ID tatsächlich nur für Steuerregister erlaubt sei, wäre sie kein allgemeines Personenkennzeichen, das zum Kernelement eines allgemeinen Personenprofils werden könnte - wenn, und das sei das Entscheidende, im Gesetz keinerlei "Öffnungsklauseln" durch Rechtsvorschriften vorgesehen seien.
Aber politisch ist dieser Spielraum gegeben und die Parlamente hätten den Datenschutz in den vergangenen Jahren eifrig durchlöchert.
Statt es zu schützen, verstoßen die Parlamente ständig gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie denken nicht mehr vom Bürger aus, sondern vom Staat her. Beispielsweise definiert das deutsche Datenschutzgesetz die Durchgriffslöcher für die Wirtschaft, so dass immer mehr das Prinzip um sich greift: "Ware gegen (persönliche) Daten".
Nicht der Staat ist der große Datensammler, sondern es sind die Wirtschaftsunternehmen.
Dabei ist diese Datenerfassung, die von der Wirtschaft ausging, um einen "gläsernen Kunden" zu bekommen, zur rein wirtschaftlichen Leistungserbringung eigentlich nicht erforderlich. Aber die Industrie erstellt mit den Daten der Kundenkarten, Einkäufe, Zahlungen, etc. Infrastrukturen, auf die der Staat zugreift.
Wahrscheinlich ist ‚Privatsphäre' ein Auslaufmodell. Und: Um die Privatheit zu verlieren, bedarf es nicht mehr der Steuer-ID, jeder ist bereits detailliert erfasst.
Der Aufschrei der Öffentlichkeit würde unterbleiben, weil die Technik so bequem sei und jeder Bürger meint, er habe nichts zu verbergen. Es sei kaum zu fassen, was jeder von uns schon freiwillig an Daten preisgegeben hätte. Wir erleben diese Datenspeicherungen ja auch nicht, sie laufen unmerklich "im Hintergrund", ohne dass wir etwas davon merken.

hpd.de: Steuer-ID : Ende der Privatheit?

Eine persönliche Anmerkung: ich teile den Pessimismus Lobomierskis, aber warne dringend vor der Paranoia, die solche Berichte auslösen können. Denn sooo hilflos und ausgeliefert, wie es scheint (und wie man uns gerne hätte) sind wir nicht.

Es geht auch nicht an, wenn ich, aus Angst, deswegen irgendwo "Ärger" zu bekommen, mit meiner Meinung im Internet grundsätzlich hintern Berg zu halten. Was ist das Recht auf freie Meinungsäußerung wert, wenn ich es, aus Angst vor "Datamining" oder auch nur einem schnell mal googlenden Personalchef nicht mehr benutze?
Es gilt, bei aller gebotenen Datensparsamkeit, auch das Prinzip, dass Offenheit und Öffentlichkeit schützt. (Praktisches Beispiel: ein Schwuler, der dazu öffentlich steht, ist, z. B. im Falle beruflicher Diskriminierung in einer erheblich besseren Position, als jemand, der seine sexuelle Neigung angstvoll verbirgt.)

Mal ganz praktisch, um es den privatwirtschaftlichen und staatlichen
Datenkraken nicht zu leicht zu machen: 10 Gebote zum Datenschutz und zur Datensicherheit
Leider fehlt unter diesen Geboten der Hinweis auf kostenlose und wirksame (!) Verschlüsselungssoftware und auf die Möglichkeit, anonym zu surfen. (Ich empfehle Kai Ravens Homepage mit Anleitungen und Einführungen für Verschlüsselungen und anonymes Surfen und die Website der Privacy Foundation.)

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Technikgläubige Überwacher (immerhin gut gemeint)

"Frauen schreiben anders" als Männer, und mit etwas Übung lässt sich meistens ziemlich schnell herausfinden, ob ein Mann sich im Chat als Frau ausgibt (im umgekehrten Fall ist's übrigens schwieriger).

Allerdings trugen solche Erfahrungswerts im Einzelfall wenig. Es gibt weibliche Schriftsteller, die, vom Publikum unentdeckt, unter männlichem, und männliche Schriftsteller, die unter weiblichem Pseudonym schreiben. Gegen eine Bekannte gewann ich vor Jahren die Wette, dass selbst bei erotischen Texten ein geschickter Autor / eine geschickte Autorin das eigene Geschlecht verbergen könne. Es gibt erstaunlich viele Frauen, deren Gesprächsstil die Aussagen
Senta Trömel-Plötz' über "Frauengespräche" lügen straft. (Der kooperative Aspekt der Unterhaltung dominiert. Rollen- und Statusunterschiede werden abgebaut und gemeinsame Erfahrungen und Gefühle betont. Der Grundkonsens bei Frauengesprächen ist gegenseitige Akzeptanz und eine offene und aggressionslose Atmosphäre.)
So "Pi mal Daumen" schätze ich, dass es, für einen kommunikationserfahrenen Menschen in etwa zwei Dritteln aller Fälle möglich ist, das Geschlecht eines Schreibers zu "entlaven". Die Trefferquote von Geschlechtserkennungssoftware ist auch nicht besser.

Noch schwieriger ist es, sicher zu erkennen, ob z. B. ein Beitrag in einem Web-Forum von einem Erwachsenen oder einer / einem "frühreifen" 12-Jährigen stammt. Eine Binsenwahrheit? Offensichtlich nicht, wenn es darum geht, Pädophile aufzuspüren:
Eine Forschergruppe der britischen Universität von Lancaster hat ein Computerprogramm entwickelt, das Online-Übergriffe gegen Minderjährige verhindern soll. Wie der britische Telegraph berichtete, nutzt das so genannte «Projekt Isis» eine Technologie, die die im Chatroom verwendete Schreibweise des Verdächtigen analysiert. So lässt sich leichter herausfinden, ob sich ein Erwachsener dahinter verbirgt.
nz: Software entlarvt Pädophile im Web.
Die Autoren der Software sind sich offensichtlich sicher, mit Techniken aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz und mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Algorithmen, anhand online abgegebenen Wortmeldungen sehr genau auseinanderhalten zu können, ob ein Erwachsener oder ein Kind an der Tastatur sitzt.

Wenn das Kind eine Achtjährige ist, und der Erwachsene nicht weiß, wie Kinder schreiben, dann bin ich geneigt, diese vollmundige Aussage zu glauben. Aber der Versuch, einen Erwachsenen zu entlarven, der in einem Chatroom für Teenager die Rolle eines Gleichaltrigen angenommen hat, um Kontakt zu einem potenziellen Opfer aufzunehmen, dürfte schwierig sein - und zu vielen "positiv falschen" Treffern führen.

Neben dem Problem der mangelnden Zuverlässigkeit im Einzelfall und dem auch von den Entwicklern eingeräumten Datenschutzprobleme halte ich diese Software auch für ein klassisches Beispiel für falsch gesetzte Prioritäten.

Wenn Triz Heider, Sozialpädagogin beim Beratungsportal "Kids-Hotline.de" in der nz meint: "Bevor man sich mit der Verfolgung von Pädophilen beschäftigt, solle man sich um eine ausreichende Gefahrenaufklärung der Kinder und Jugendlichen bemühen", oder Karin Kaufmann vom Verein für Betroffene von sexuellem Missbrauch anmerkt: "Je mehr die Gesellschaft das Thema tabuisiert, desto größer sind die Chancen des Täters, sein Ziel zu erreichen", dann kann ich dem nur zustimmen!

Dienstag, 14. Oktober 2008

Wie Schäuble wirklich denkt ...

... wird aus diesem Interview, das er der "taz" gab, erschreckend deutlich: Innenminister Schäuble über Grundrechte
"Ich schütze, ich gefährde sie nicht"
.

Besonders bemerkenswert erscheinen mir folgende Aussagen:
Ihren Kritikern macht Sorgen, dass die technischen Möglichkeiten der heutigen Sicherheitsorgane weit über die der Stasi hinausgehen...

Das ist doch Unsinn. Die Stasi hatte mehrere hunderttausend Mitarbeiter. Sie hat Menschen dazu gebracht, sich gegenseitig zu bespitzeln. Nicht einmal Ehegatten konnten einander trauen. Eltern mussten am Küchentisch darauf achten, was sie erzählen, damit ihre Kinder das nicht in der Schule ausplaudern. Das war eine Atmosphäre der Angst. Wer das mit der Bundesrepublik vergleicht, der diffamiert unsere Freiheitsordnung in einem Maße, wie wir es nicht zulassen dürfen. Wir haben nämlich in Deutschland schon einmal eine Freiheitsordnung durch verantwortungsloses und bösartiges Gerede derart diffamiert, dass am Ende die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft an die Macht kommen konnte.
Kommentar: Ich bestreite nicht, dass die heutigen Zustände in Deutschland noch weit von denen in der Stasi-überwachten DDR entfernt sind. Die Betonung liegt aber auf "noch" - denn das Misstrauen zwischen den Menschen, das Gefühl, darauf achten zu müssen, wer wem was sagen kann, hat eindeutig zugenommen.
Zum Geschichtsbild: die Weimarer Republik wurde in der Tat durch "bösartiges Gerede" diffamiert - vor allem seitens konservativer und reaktionärer Kreise. Sie ging allerdings nicht an der Kritik jener, der "Weimar" einfach nicht rechtstaatlich, demokratisch, offen genug war, zugrunde, nicht an den Tucholskys, Kästners, Ossietzkys!
Aber große Datensammlungen führen nun mal schnell zu Pannen bei sensiblen Informationen. Oder sehen sie das anders?

Das ist wahr. Es gibt diese Risiken. Alles in der Menschheitsgeschichte ist eben nicht nur Fortschritt, sondern birgt immer auch eine Gefahr. Wir haben das Telefonbuch bis vor kurzem noch als Alltagshilfe empfunden. Heute gilt es manchen wohl als riesige Datensammlung. Wollen wir deswegen auf die Vorzüge eines Telefonbuches verzichten? Das ist doch Maschinenstürmerei. Ich nehme den Datenschutz ernst, und damit er wirksamer realisiert werden kann, legt die Bundesregierung jetzt auch ein neues Gesetz vor.

Ein Telefonbuch lässt sich doch schwer mit Millionen Verbindungsdaten vergleichen. Die Frage ist doch, ob die Speicherung derart vieler Angaben nicht ein höheres Risiko darstellt als die Gefahren, vor denen Sie schützen wollen.

Das heißt, Sie wollen die Informationstechnologie ganz abschaffen?

Sie argumentieren sehr schwarz-weiß.

Ich bleibe nur in der Logik Ihrer Frage. Und wenn ich die weiterdenke, kann man nur zu diesem Schluss kommen.
Genau das ist es, was mir an Schäuble - und anderen, die so denken wir er - so unheimlich ist. Das dualistische Weltbild, in dem klar zwischen "gut" und "böse" geschieden wird. Wenn unser Staat "gut" ist - und ich bestreite gar nicht, dass er ein für seine Bürger besserer Staat ist, als die meisten Staaten dieser Erde, von früheren deutschen Staaten gar nicht zu reden - dann heißt das nicht, dass jeder, der diesen Staat kritisiert, damit "böse" ist, oder auch "nur" ein Gegner der bestehenden Gesellschaftsordnung wäre.

Umgekehrt wurde ich keine Sekunde lang bestreiten, dass Terrorismus "böse" ist, egal, von wem und zu welchen Zwecken. Kein Zweck "heiligt" dieses Mittel, der Mittel des Terrors verrät den Zweck!
Aber ich stimme Richard Rorty zu, wenn er im gedruckten Spiegel sagt schon 2004 in der "Zeit" (der "Spiegel" zitiert diesen Artikel) sagte :
"Der Verdacht, dass der Krieg gegen den Terrorismus gefährlicher ist als der Terrorismus selbst, erscheint mir völlig gerechtfertigt."
Schäuble hält es für logisch, dass aus dem Streben nach Datenschutz und Datensicherheit folgt, dass wir dann eben auf die "Informationstechnologie" ganz verzichten müssten. Das ist eben so "logisch", wie aus dem Streben nach mehr Sicherheit im Straßenverkehr folgt, dass man dann eben die Autos abschaffen müsste, oder aus der Vorstellung, Umweltschutz sei nur durch Verzicht auf industrielle Produktion möglich.

Da Schäuble im Interview versucht, die Bürgerrechtler in die linke Spinner-Ecke zu stecken, stellt sich die Frage, wie sich das mit seiner Vorliebe mit einer CDU-FDP-Koalition verträgt - jedenfalls, wenn man bei der dualistischen Logik bleibt.

Montag, 13. Oktober 2008

S-Bahn, Lügen und Videos

Ab diesem Monat sollen Aufnahmen von Videoüberwachungskameras der S-Bahn Hamburg permanent gespeichert werden. Jedenfalls steht das so in einer Pressemitteilung der Hamburger S-Bahn hervor. Auch wenn jetzt angesichts der Tatsache, dass das eindeutig gegen das Bundesdatenschutzgesetz, das Bundespolizeigesetz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstößt, die S-Bahn Hamburg zurückrudert, bleiben Fragen offen.

Susanne Härpfer rätselt in ihrem Beitrag auf
telepolis: 400.000 Augen zudrücken, wozu die intensivierte Video-Überwachung gut sein soll. Zumal das mündliche Dementi der Bahn-Security nur halbherzig klang: Michael Dominidiato, der Leiter des ServiceCenter Security, sagte zwar, dass alle Bilder, die in den S-Bahnen aufgezeichnet würden, nach 72 Stunden überschrieben würden, aber er sagte auch, dass man schon gern eine permanente Echtzeit-Beobachtung einführen, doch das werde zur Zeit "noch geprüft."

Videoüberwachung darf nur an sogenannten "gefährlichen Orten" erfolgen. Die S-Bahn aber betont ausdrücklich, dass die S-Bahn kein gefährlicher Ort sei. Dominidiato behauptete sogar: "Sie müssten eine Million mal mit der S-Bahn fahren, um einmal mit Gewalt in Berührung zu kommen".

Als S-Bahn-Benutzer halte ich diese vollmundige Aussage Dominidiatos für stark übertrieben. Sicher ist die S-Bahn zur Hauptverkehrszeit sicher, aber es ist gar nicht so lange her, dass ich, als ich bemerkte, dass am anderen Ende des Wagons jemand geschlagen wurde, mit feuchten Fingern den Notruf ins Handy tippte - feuchte Finger, weil ich verdammt Schiss hatte, dass ich das nächste Opfer sein würde.
Ich erinnere mich auch noch, und zwar ungern, an eine auf einem Polizeirevier verbrachte Nacht, wegen eines S-Bahn-Suizides, den ich zufällig mitbekommen hatte. Die Vernehmung deshalb, weil die Polizei davon ausging, dass der Mann, der vor der anfahrenden S-Bahn gelandet und zerquetscht worden war, eventuell gestoßen worden sein könnte - das Video der Überwachungskamera würde das naheliegen. Die Polizisten reagierten übrigens ausgesprochen sauer auf meine - wahrheitsgemäße - Aussage, ich hätte, als ich den Mann springen sah und ich nichts tun konnte, einfach weggesehen. Ich bin kein Held.
Übrigens sind Vorfälle, bei denen Menschen vor fahrende Züge gestoßen werden, keine Seltenheit - gerade eine Woche vorher hatte es in der S-Bahn Station Reeperbahn einen spektakulären, aber glücklicherweise glimpflich abgelaufenen Fall dieser Art gegeben.

Wenn man sich die Polizeiberichte in den Hamburger Zeitungen ansieht, dann ist die S-Bahn zwar kein extrem gefährlicher Ort, aber man muss nicht "eine Million mal fahren", um Gewalttaten zu erleben.
Trotzdem - eine permanente Speicherung der Videos, selbst wenn darüber nur "laut nachgedacht" wird, ist unverhältnismäßig.

Warum also?
Für kritische Datenschützer ist klar, wozu die Überwachungskameras eingeführt werden: "Das dient der präventiven Terrorismusbekämpfung. In einer der wichtigsten Großstädte Deutschlands werden so alle erfasst, die mit dem öffentlichen Verkehrsmittel unterwegs sind. Da entsteht ein gewaltiges Bild-Potential, das nach dem Debakel des Biometrie-Versuchs in Mainz neuen Analysen dienen kann."
Ich teile diese Auffassung nicht ganz - und zwar, weil es, um die biometrische Gesichtserkennung weiterzuentwickeln, dieses "gewaltigen Bild-Potenzials" gar nicht bedarf. Ich vermute, dass es nur ganz am Rande um Terrorismus geht.
Welche Gründe führt die S-Bahn für die Überwachung an?
Neben dem "subjektives Sicherheitsgefühl", dass die Überwachungskameras angeblich den Fahrgästen vermitteln sollen, steht in der Pressemitteilung "Sie dienen der Ermittlung von Straftätern bei Gewalttaten und Fällen von Vandalismus."

Die Schäden durch mutwillige oder grob fahrlässige Beschädigungen der Wageneinrichtungen sind für den aufmerksamen Bahnfahrer kaum zu übersehen. Die Ü-Kameras sollen offensichtlich davor abschrecken. Wenn bei der Bahn-Security jemand psychologisch ein kleines Stück weiter denkt (was immerhin möglich wäre), fällt ihm sicherlich ein, dass Menschen, die sich beobachtet fühlen, anders, und zwar disziplinierter, verhalten, als solche, die sich nicht beobachtet fühlen. Dank Überwachungskamera keine Rangeleien, Schmierereien oder auch nur hochgelegte Füße in der S-Bahn! Auch wenn es fraglich ist, ob sich die 3 Millionen Euro für die Videoüberwachung so je amortisieren werden.

Da aber so ein Schuss mit Kanonen (vom Kaliber einer Panzerhaubitze) auf Spatzen / Spatzendreck nicht zu rechtfertigen ist, kommt das Argument "Terrorismus" sicher zum Zuge. Immerhin wagt es kaum noch jemand, einen Koffer einfach in den Gang zu stellen. Die Gefahr, für den anschließend erfolgten Polizeieinsatz, die Sperrung der Bahnstrecke, die Evakuierung der Fahrgäste und den Einsatz der Bombenentschärfer zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist einfach zu groß. (Strafrechtlich gibt es den Tatbestand der "fahrlässigen Vortäuschung einer Straftat" zum Glück noch nicht. Aber es gibt schon "Sicherheitsexperten", die laut über solche Gesetze nachdenken.)

Auch ist die Rechtslage der Kooperation zwischen S-Bahn und Bundespolizei unklar. Es sieht ganz so aus, als ob hier polizeiliche Aufgaben "privatisiert" werden.
Auf der Pressekonferenz der S-Bahn Hamburg fragen wir vor diesem Hintergrund nach der Rechtsgrundlage für Kooperation von S-Bahn und Bundespolizei. Da werden die Pressesprecher der Bahn rabiat, verbieten ihrem Security-Mann Michael Dominidiato weiterzureden und fordern: "Brechen Sie das Interview sofort ab, Fragen nach der Bundespolizei haben nichts mit der S-Bahn zu tun." In der Pressekonferenz hatten sie noch das Gegenteil präsentiert.
Es wird gelogen, dass sich die Bahnschwellen biegen. Und zwar schlecht!

Sonntag, 12. Oktober 2008

Immerhin ist "Datenschutz" kein Nischenthema mehr

Wir sind das Volk - ihr seid nur gewählt!

Der Bericht auf "netzpolitik.org" über die "Freiheit statt Angst"-Demo in Berlin klingt fast schon ein wenig euphorisch:
Größte Demonstration für Datenschutz in Deutschland.

Allerdings ist das Medienecho nach wie vor verhalten, und das liegt sicher nicht nur daran, dass am selben Tag ein Fußballländerspiel mit deutscher Beteiligung stattfand und in Österreich der Kärtner Landeshauptmann Jörg Haider so starb wie er lebte: mit hoher Geschwindigkeit nach rechts abgekommen.

Dass das Medienecho so moderat ist, ist meiner Ansicht nach kein Zufall. Die Angaben zur Zahl der Teilnehmer differierten stark: Die Veranstalter sprachen von bis zu 100.000 Teilnehmern. Die Polizei zählte hingegen "in der Spitze maximal 15.000". tagesschau.de: Tausende protestieren gegen Überwachung. Auch wenn die Zahlenangaben der Veranstalter sehr optimistisch angesetzt sind, geht die Diskrepanz weit über das Übliche hinaus. Viele Teilnehmer haben sich, wahrscheinlich oft spontan, unterwegs dem Zug angeschlossen, deshalb ist jede Zahlenangabe mit Vorsicht zu genießen. Da es aber gerade "Unter den Linden" schön öfter Großveranstaltungen mit einigermaßen bekannter Teilnehmerzahl gab, lässt sich abschätzen, dass "maximal 15.000 Teilnehmer" tief gegriffen ist. Ansonsten lässt sich zur Berichterstattung nur sagen, dass es die üblichen Routine-Pressemeldungen sind - irgend so 'ne Demo über irgend so ein unspannendes Thema.
Immerhin: im Unterschied zum letzten Mal wurde keine Rangelei am Rande medial zu "massiven Ausschreitungen" aufgebläht.

Auf einen sehr wichtigen Punkt machte Sven Lüders, als Bundesgeschäftsführer der Humanistischen Union einer der Organisatoren, in einem Interview auf tagesschau.de aufmerksam:
tagesschau.de: Teile von FDP, Grünen und die Linkspartei stehen auch auf der Liste der Demo-Unterstützer. Sind das aus Ihrer Sicht die Guten?

Lüders: In vielen Datenschutzfragen fühlen wir uns natürlich den Oppositionsparteien näher. Aber natürlich wissen wir auch, dass es in der Politik immer einfacher ist, aus der Opposition zu agieren. Ich erinnere nur daran, dass viele Anti-Terror-Gesetze und die einheitliche Steuernummer unter Rot-Grün verabschiedet wurden.
Es geht beim Thema "Datenschutz" nicht um "Gut und Böse", es geht um Interessen. Und Interessen können sich, gerade in der Politik, sehr schnell ändern. Solange die FDP, die "Grünen" und "die Linke" mit Bürgerrechtsthemen punkten können, werden sie gegenüber der "großen Koalition der Verfassungsfeinde" harte Opposition sein. Das kann sich aber ändern, denn keine der Parteien der Opposition ist (noch) eine echte Bürgerrechtspartei.
Eine Regierung ist nicht automatisch an einem denkendem und politisch aktivem Volk interessiert. Im Gegenteil - ein denkendes und politisch aktives Volk ist für die Regierenden unbequem und für viele "Entscheider", egal, ob in offiziellen Ämtern oder nicht, sogar gefährlich.
Was bedeutet, dass der Schwerpunkt der Bürgerrechtsbewegung außerparlamentarisch sein muss.

Der Hauptgrund, weshalb "Datenschutz" kein "Nischenthema" mehr ist, ist wahrscheinlich der, dass die einzelnen Bürger allmählich merken, dass weder die staatliche noch die privatwirtschaftliche Datensammelwut in ihrem Interesse liegt - und dass die Sicherheitsgesetze ihre Bürgerrechte einschränken.

Datenschutz und Bürgerrechte sind auch moralische Themen. Dennoch halte ich auch in diesem Fall die anscheinend typisch deutsche Neigung, politisch-ethische Fragen "moraltheologisch", in Begriffen von "Sünde", "Schuld" und "Sühne" usw. abzuhandeln, für falsch.
"Moraltheologische" (Schein-)Argumente in Sachen Datenschutz kommen meistens von Seiten der politisch Verantwortlichen. Zum Beispiel kontern Befürworter der Vorratsdatenspeicherung (oder der Online-Überwachung, oder des zentralen Melderegisters usw. usw.) Vorwürfe, die geplante Regelung würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschränken, gern mit dem Hinweis, dass "die Bürger" doch sehr viel mehr intime Daten freiwillig "im Internet" preisgeben würden. Motto: "Datensünder dürfen sich nicht beklagen".
Das entscheidende Wort ist "freiwillig". Was ich z. B. auf diesem Blog von mir preisgebe, das entscheide allein ich. Und ob ich etwa per "Twitter" freiwillig eine Art kommentiertes Bewegungsprofil von mir veröffentliche, hängt allein von mir ab - niemand zwing mich dazu, niemand überredet mich dazu. (Ich sehe von der traurigen Tatsache ab, dass "private" Datensammlungen von den Fahrlässigkeit und der Unkenntnis vieler Bürger profitieren.)

Weil die "Gegenseite" gern mit bloßer Moraltheologie argumentiert, halte ich es für politisch unsinnig und wenig effektiv, es bei moralischen Verurteilungen zu belassen, oder ein "Gut-Böse"-Schema aufzustellen. Wenn unsere Bürgerrechte eingeschränkt werden, dann nicht, weil da ein paar finstere Typen eine Diktatur ermöglichen wollen, sondern aus klar erkennbaren Interessen heraus. Kundendaten werden schließlich auch nicht aus Schikane gesammelt sondern z. B. um gezielt zu werben, aber auch aus Angst vor nicht einschätzbaren Kreditrisiken. Hinter der behördlichen "Datensammelwut" steckt meistens nur das Streben nach mehr Effizienz - und die Angst davor, dass der Bürger jede Gelegenheit zum Missbrauch eiskalt ausnützt. Hinter dem Interesse an "mehr Sicherheit" steht immer Angst - und nicht immer ist diese Angst berechtigt.
Ich gehe davon aus, dass selbst unser Bundesinnenminister Schäuble es "gut meint" - sogar beim Einsatz der Bundeswehr im Inneren z. B. gegen Aufständische. (Aufständische gegen was?) Ihm mit moralischen Bedenken zu kommen oder an sein Gewissen zu appellieren ist daher zwecklos - sein Gewissen ist rein, er zählt sich zu "den Guten" (was er sogar ausdrücklich sagt).

Eine Demo kann nicht die Welt verändern - im besten Fall erzeugt sie Aufmerksamkeit. Moralische Appelle, wie sie auch auf dieser Demo zu hören waren, sind allenfalls gut für unsere Moral - politisch bewirken sie nichts!

Es kommt darauf an, jeden Tag gegen den Abbau unsere Rechte zu arbeiten, dem gegen staatlichen und privatwirtschaftlichen Druck, unsere Rechte aufzugeben, unsere Interessen entgegensetzen.

Nachtrag: Manches ändert sich nie. Die Berliner Morgenpost z. B. unterbietet nicht nur die Zahlenangaben der Polizei ("Mehr als 10.000 Menschen demonstrierten (...)" - nach Polizeiangaben (siehe oben) waren es 15.000) und der Veranstalter ("die Veranstalter spachen von 50.000 Teilnehmern" - Sie sprachen von 100.000!), sondern stellt auch die Vorratsdatenspeicherung falsch dar. Die Bildunterschriften unter der Klickstrecke haben es in sich: "Die Aggression der Demonstranten fokussierte sich auf Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble" - "Auch vor Geschmacklosigkeiten wurde nicht zurück geschreckt" - "Einige Poster zielten auch auf den US-Präsidenten George W. Bush, der offenbar auch für den "deutschen Überwachungsstaat" verantwortlich sein soll." ("Offenbar" wird den Demonstranten etwas in den Mund gelegt, was niemand behauptet hat.) "Freiheit ist für die Demonstranten wichtiger als Sicherheit." Der Bericht der "Mopo" beruht offensichtlich, wie auch die Berichte zahlreicher anderer Zeitungen, auf dieser Meldung von AFP, in der auch die fehlerhaften Zahlenangaben zu finden sind: Zehntausende demonstrieren in Berlin für mehr Datenschutz.

Allerdings berichteten andere Medien deutlich fairer. Hervorheben möchte ich die Berichte des Deutschlandfunks, von SpOn und (beinahe selbstverständlich) von Heise.
Trotzdem ist das Medienecho, gemessen an der Relevanz des Themas, enttäuschend.

Freitag, 10. Oktober 2008

Bundeswehr als "Hilfspolizei"?

Die Idee, die Bundeswehr bewaffnet "im Inneren" einzusetzen, ist nicht neu.

Ein kleiner historischer Überblick:
1962 - der Hamburger Innensenator Helmut Schmidt fordert bei einer schweren Sturmflut Bundeswehreinheiten an und überschritt damit nicht nur seine Kompetenzen, sondern brach auch die Verfassung. 40.000 Soldaten wurden als Katastrophenhelfer eingesetzt und retteten über Tausend Hamburgern das Leben. Der Verfassungsbruch wurde vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, einem lebenslangem politischen "Intimfeind" Schmidts, gedeckt.
Dieser humanitär sinnvolle Einsatz der Streitkräfte im Rahmen des Katastrophenschutzes war in den Folgejahren ein wichtiges (Schein-)Argument in der Debatte um die Notstandsgesetze.

Die Notstandsgesetze waren eine Bedingung der West-Alliierten vor der Übergabe der vollständigen Souveränität an die Bundesrepublik Deutschland, da sie ihre in Deutschland stationierten Truppen geschützt wissen wollten. Entsprechend waren die Notstandsgesetze unpopulär - tatsächlich war es nur in einer "großen Koalition" möglich, entsprechende Mehrheiten für die erforderlichen Grundgesetzänderungen zu beschaffen.

Die Notstandsgesetze enthalten Regelungen für den Verteidigungsfall, den Spannungsfall, den inneren Notstand und den Katastrophenfall. In diesen Fällen werden die Grundrechte eingeschränkt. Der Katastropheneinsatz der Bundeswehr war nur ein winziger Bestandteil dieses Paketes - und bislang der einzige, der in der Praxis relevant war.
Die Große Koalition 1966–69 verfügte über die notwendige Zweidrittelmehrheit und sah - mehr oder weniger - die Schaffung von Notstandsgesetzen als notwendige Regelung (bwz. aus Sicht mancher damaliger Politiker als "notwendiges Übel") an.

Abgeordnete der CDU / CSU, darunter Strauß, forderten damals bereits eine Regelung, die den Einsatz der Bundeswehr im Inneren auch gegen Demonstranten und Streikende erlaubt hätte. Allerdings war das damals gegen die SPD nicht durchsetzbar. Artikel 35 des Grundgesetzes schränkt seitdem den Einsatz der Bundeswehr im Inneren auf den unbewaffneten Einsatz im Katastrophenfall ein.

Trotz heftigen Proteste von Bürgerrechtlern, der einzigen Oppositionspartei FDP und der (linken) Außerparlamentarischen Opposition wurden die Notstandsgesetze am 30. Mai vom Bundestag beschlossen. Dabei votierten neben den Abgeordneten der FDP auch 53 Abgeordnete der SPD gegen die Gesetze.

Interessanterweise wurde der Einsatz der Bundeswehr gegen die Terroristen der RAF in den 1970er Jahren nicht ernsthaft diskutiert. Zu offensichtlich war, dass militärische Mittel gegen den Kleingruppenterrorismus unsinnig waren.

In die innenpolitische Diskussion wurde der Einsatz der Bundeswehr im Inneren erst wieder in der 1980er Jahren, unter einer CDU-FDP-Koalition, eingebracht. Besonders hervor tat sich dabei ein gewisser Wolfgang Schäuble damals als Chef des Bundeskanzleramts auch Minister für besondere Aufgaben. Er überlegte 1985 laut, wie er den Bonner Weltwirtschaftsgipfel gegen mögliche Anschläge aus der Luft schützen könnte.

In der 1990er Jahren etablierte sich auf dem Weg der Amtshilfe eine begrenzte Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und anderen Sicherheitsorganen. Schon bei Demonstrationen wie in Wackersdorf stellte die Bundeswehr Hubschrauber, Sanitätsfahrzeuge und Kasernenquartiere zur Verfügung. 1993 erhielt der Bundesgrenzschutz (BGS) von der Bundeswehr nicht nur 34 Wärmebildgeräte zum Aufspüren illegaler Grenzgänger, sondern auch das zur Bedienung notwendige Personal. Das geschah hinter dem Rückens des Parlamentes, erst als im Oktober 1993 Abgeordnete im Haushaltsausschuss auffiel, dass das Innenministerium 1994 zusätzlich 4,3 Mio. DM für den BGS erhalten sollte, um 465 Bundeswehrsoldaten im Grenzdienst zu besolden, wurde diese verfassungsrechtlich bedenkliche Zusammenarbeit öffentlich thematisiert.

Es war wieder Wolfgang Schäuble, nun Fraktionsvorsitzenden der Union, der hoffte, nachdem die Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch das Bundesverfassungsgericht legitimiert worden war, den Inlandseinsatz der Bundeswehr gleich anschließend mit der SPD durchsetzen zu können. Unterstützt wurde er von Bundesinnenminister Manfred Kanther, Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers und Fraktionsvize Johannes Gerster.
Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sind jedenfalls nicht mehr so eindeutig zu definieren. Deshalb muss es möglich sein, auf die Bundeswehr als eine Art Sicherheitsreserve zurückzugreifen.
Schäuble in "Der Spiegel" 1994, Heft 1.

Es zeigte sich, dass die Position Schäubles und Kanthers sogar innerhalb der CDU nicht mehrheitsfähig war, dafür aber erheblichen Unmut in der Bevölkerung erregte. Die Kontroverse kam Kanzler Kohl im Wahljahr 1994 ungelegen, der Bundeswehr-Inneneinsatz war erst einmal von Tisch.
Nur einzelne "Hardliner" wie Rupert Scholz oder der CDU-Wehrexperte Jürgen Augustinowitz, der im August 1996 der hannoverschen Polizei Bundeswehrhubschrauber und Soldaten zwecks Bekämpfung der "Chaostage" anbot, besetzten in den Jahren bis 2001 das heikle Thema.
Nach "9-11" wurde das Thema wieder von der CDU aufgegriffen. Allerdings nahm die damalige SPD-Grüne Koalition diese Anregung nicht auf, sicher auch aus wahltaktischen Gründen.
Nach der Bildung der 2. großen Koalition 2005 änderte sich das rapide. Anlässlich des G-8-Gipfels wurde das Maß der verfassungsrechtlich zulässigen Amtshilfe durch die Bundeswehr deutlich überschritten. Wolfgang Schäuble sprach sich, um einen Einsatz der Bundeswehr für Sicherheitsaufgaben zu ermöglichen (u. a. zum Abschuss von Zivilflugzeugen (Luftsicherheitsgesetz) für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes aus. Bisher scheiterte er jedoch immer am Widerstand der SPD, die für eine verfassungsändernde 2/3 Mehrheit mit ins Boot geholt werden musste.
Nun aber hat die SPD ihre alten Vorbehalte aufgegeben bzw. dem Koalitionspartner nachgegeben, und einigte sich mit CDU auf eine Novellierung des Absatzes 35.

Burkhard Hirsch zum geplanten Einsatz der Bundeswehr auch gegen "innere Feinde”: Nothelfer Bundeswehr?. Via: netzpolitik.

Nachtrag: die SPD macht (vorerst) nicht mit- SpOn: Bundeswehr-Einsatz im Innern steht vor dem Aus

Montag, 6. Oktober 2008

Wie der Frosch im Wasser ...

Darum sollten wir ab und zu einen Blick aufs Thermometer werfen, um um zu sehen, wie heiß das Wasser für uns schon ist.


(Gefunden beim Antibürokratieteam.)

Dienstag, 30. September 2008

Hexenjagd

"Twister" (Bettina Winsemann) weist auf "telepolis" auf einen beunruhigenden politisch-psychologischen Mechanismus hin: Paranoia, Folter und die Unmöglichkeit der Unschuld.

Ein Gedanke "Twisters" zur paranoiden Reaktion auf die "terroristische Bedrohung" kommt mir, als "Amateur-Hexenforscher", unangenehm bekannt vor:
(...) Bedenkt man nämlich, dass Folter letzten Endes nur die erwünschten Ergebnisse bringen kann (zynisch betrachtet: sind sie zu stark, sind wir zu schwach), so gäbe es bei demjenigen, der den Spuckbeutel hinterließ, bei dem Pärchen, das auf dem Parkplatz weiße Pfeile anbrachte usw. nur zwei Möglichkeiten:
  • entweder sie brechen unter der Folter zusammen und bekennen sich schuldig
  • oder sie sind zu stark, so dass die Methoden der "Verhöre" intensiviert werden müssen.
Denn wie sollte jemand seine Unschuld beweisen können? Das ist auch das Wesen der paranoiden Überlegungen und der Folterdebatte: Es gibt keine Unschuld, man muss nur lang genug nach der Schuld fischen, um sie zu fangen. Notfalls erfindet der Delinquent sie, um einfach seinem Martyrium ein Ende zu machen.(...)
(Hervorhebung von mir, MM.)

Auf genau diese Art und Weise wurden im 16. und 17. Jahrhundert tausende "Hexen" des "Teufelspaktes" "überführt". Man solle sich hüten, die Hexenverfolgung für die Reaktion einer noch "primitiven" Gesellschaft zu halten. Es wurden damals differenzierte Methoden entwickelt, um Hexerei nachzuweisen und spezielle juristische Leitfäden für die "ordnungsgemäße Durchführung" von Hexenprozessen ausgearbeitet, nicht etwa nur die berüchtigte "Inquisition", sondern auch die theologischen und juristischen Fakultäten der meisten Universitäten, egal ob katholisch oder protestantisch, waren aktiv mit der "Bekämpfung des Hexenwesens" befasst. Es gab nicht nur einschlägige Gesetze und Verordnungen, und zahlreiche Experten aus Kirche, Wissenschaft und Politik, die fest davon überzeugt waren, dass die Hexerei eine konkrete Gefahr für die Gesellschaft bedeutete, es gab vor allem eine durch zahlreiche Krisen - Klimaverschlechterung und damit verbundene Ernteausfälle, die zu Hungersnöten führten, politische Instabilität, Kriege, Wirtschaftskrisen - verunsicherte Bevölkerung, die "dankbar" die "offizielle Erlaubnis" zum Hass auf vermeintlich "Schuldige" an ihrer Misere annahm. Der psychologische Mechanismus war dem der Judenverfolgung nicht unähnlich, allerdings wohl erheblich angstbesetzter - man hatte es schließlich mit einem "Superverbrechen", dem Teufelspakt, zu tun! Jedes, aber auch jedes Mittel zur Bekämpfung dieses unendlich bösen Superverbrechens war legitim, der Zweck heiligte jedes Mittel.

Was es in dieser Zeit allerdings nicht gab, das waren Hexen! (Hexen im "Sinne der Anklage" natürlich - ich bezeichne mich manchmal selbst, sogar im Fernsehen, als "Hexe, männlich", und zwar nicht nur zum Spaß.) Mehr zur "historischen Hexenverfolgung" und ihren Hintergründen hier -> Die Erfindung des Hexereidelikts

Terroristen gibt es wirklich, allerdings habe ich nicht selten den Eindruck, dass die meisten "Terrornetzwerke" und "abstrakten Gefährdungen" etwa den Realitätsgehalt eines Teufelspaktes samt Besenflug zum Hexensabbat auf dem Blocksberg haben.

Meines Erachtens weist der "Hexenwahn" mit der "terroristischen Bedrohung" eine weitere Parallelen auf:
Es gibt keine "Zentralsteuerung", etwa im Sinne einer "Weltverschwörung" - die Hexenverfolgung war keine Machenschaft der "Inquisition" (tatsächlich wirkte ausgerechnet die spanische Inquisition einer Hexenverfolgung entgegen), genauso wenig wie der Terrorismus vom CIA, NSA oder Mossad "ferngesteuert" wird. Allerdings war die Inquisition durchaus in die Hexenverfolgung verwickelt, so wie die Geheimdienste durchaus Teil des Problems "Terrorismus" sind.

Es zeigt sich auch heute, dass Hexenverfolgung und Krise Hand in Hand gehen - siehe die heutigen Hexenverfolgungen, z. B. in Afrika.

Ich rechne damit, dass im Fall einer - leider nicht unwahrscheinlichen - Weltwirtschaftskrise die hysterische "Sündenbocksuche" genau so um sich greifen wird, wie eine blühende "Sicherheitsindustrie" - beides zu Lasten der bürgerlichen Freiheiten. Hinzu kommt, dass die Neigung der Politiker und wirtschaftlich Mächtigen, ihre Macht durch das publikumswirksame an die Wand malen von Bedrohungen und durch das Ausbauen des Sicherheitsapparates (mit der Begründung, damit "Superverbrechen" abzuwehren) zu stabilisieren, ebenfalls Gift für die offene Gesellschaft und in der Folge für jede mehr als formale Demokratie sind.

Samstag, 27. September 2008

Rechnungshof kritisiert Schäubles Abbhörpläne

Vorabmeldung des "Spiegels".
Die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplante gemeinsame Abhörzentrale wichtiger deutscher Sicherheitsbehörden steht grundsätzlich in Frage. (...) Die Rechnungsprüfer monieren in ihrem Bericht vom 18. September, das BVA habe "im Auftrage des Bundesinnenministeriums" bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die Parameter "so lange geändert, bis sich das gewünschte Ergebnis zugunsten des Bündelungsmodells errechnen ließ". Die Prüfer kommen für den Zeitraum bis 2015 auf Ausgaben von insgesamt 132,4 Millionen Euro gegenüber 126,2 Millionen bei der bisherigen, dezentralen Organisation der Abhörtechnik.
Siehe auch Heise: Schönrechnung bei Schäubles Abhörzentrum beklagt.

Warum hält das Bundesinnenministerium so hartnäckig und mit so fragwürdigen Methoden an der Bündelung der TK-Überwachung fest? Eine nahe liegende Antwort wäre sicherlich: Die Staatsmacht wird ins Bundesinnenministerium verlagert bzw. Kompetenzen sollen auf das Bundesverwaltungsamt (BVA) übertragen werden, wo eine Art "übergeordnete Denkfabrik" für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) etabliert werden soll.

Noch vor einigen Monaten erschien mir der Ausdruck "Stasi 2.0" unangemessen, weil er die Praktiken des "Ministeriums für Staatssicherheit" der DDR verharmlost. Allerdings ist die Zentralisierung der Telekommunikations-Überwachung (unter dem Vorwand der "Effitivitätssteigerung" - der nun wohl tatsächlich als Vorwand entlarvt ist) tatsächlich ein deutlicher Schritt zu MfS-ähnlichen Strukturen.

Derweil drischt Schäuble leere Sprüche: Schäuble will Nutzung des Internets durch Islamisten erschweren - leer, weil der der Minister völlig offen lies, wie er sich das vorstellt.
Ich erwarte von einem Minister nicht, dass er Fachmann für Internetfragen ist - aber wenigstens, dass er einfach mal den Mund hält, wenn er keine Ahnung hat. Ebensogut hätte er fordern könne, die Nutzung der Briefpost für Islamisten zu erschweren - oder die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Schäuble ist meiner Ansicht nach kein machthungriger "kalter Putschist" - er ist ein angstgetriebener Minister mit z. T. irrealen Vorstellungen über eine ihm unheimliche Technik, die er nicht versteht.
Ein weiteres Beispiel für die Gefährdung der Demokratie durch Inkompetenz.

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