Sonntag, 11. September 2011

11. September

Über den, ich möchte sagen "Gedenkrummel" zum Jahrestag der Terroranschläge am 11.September 2011 sollte ein anderer 11.September nicht vergessen werden:

Der Jahrestag des vom CIA unterstützten Miltärputsches gegen den demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973.
Wikipedia: Putsch in Chile 1973.
Emmemm: NICHT VERGESSEN - Der faschistische Putsch in Chile 1973
Sozialismus von unten: Chile 1973: Eine Illusion begraben

Donnerstag, 8. September 2011

"9/11" - und ich ..?

Gestern, am 7. September 2011, bat ZEIT-online um Leserartikel zum Thema:
Wie hat sich Ihre Sicht der Welt durch 9/11 verändert?
Obwohl ich ein Zeit-online-Account habe, werde ich meinen "Senf" zu diesem Thema lieber auf meinem Blog dazugeben.

Denn meine "Sicht auf die Welt" hat sich durch diesen Anschlag wenig verändert. Sie hat sich eher durch das verändert, was seitdem unter dem Vorwand (so sehe ich es) des "Kriegs gegen den Terror" gemacht wurde.

In gewisser Hinsicht bin ich sogar persönlich mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 verbunden. Einmal dadurch, dass ausgerechnet jenes Unternehmen, für das ich Mitte der 90er Jahre für einige Zeit in die USA gehen wollten, eine Niederlassung im Südturm des WTC hatte. Daher war einer meiner ersten Gedanken, nachdem ich die Aufnahmen von einstürzenden Südturm im Fernsehen gesehen hatte: "Wenn ich damals mehr 'Glück' in meiner beruflichen Karriere gehabt hätte, hätte ich vielleicht in genau diesem New Yorker Büro gesessen."
Bei Licht besehen ist das zwar eine unwahrscheinliche Möglichkeit, wenn auch wahrscheinlicher als ein Lottogewinn. Immerhin erkundigte ich mich danach, ob ein ehemaliger Kollege, den ich dem Name nach kannte, und von dem ich irgendwie mitgekommen hatte, dass er in New York arbeitete, überlebt hätte. Er hatte - als "typischer" ITler war er Spätaufsteher und beim Anschlag noch nicht am Arbeitsplatz.
Ich habe auch noch eine weitere quasi persönliche Verbindung zu "9/11":
Bei einer Bekannten, die in Hamburg-Harburg, Marienstrasse 54, zweiter Stock, wohnte, hatte ich mal ein paar meiner Bilder, die ich zuvor ausgestellt hatte, für so lange abgestellt, bis ich eine Transportgelegenheit gefunden hätte. Sie erzählte mir von ihrem "komischen Nachbarn". Mit dem stimmte was nicht. Ständig wären dort tagsüber die Vorhänge zugezogen, ihr Nachbar, Ägypter oder so war, würde auch immer so "komische Typen" mitbringen, und er sei auch so "scheiße freundlich", wie ein schlechter Schauspieler. Der hätte bestimmt was Kriminelles am Laufen, bestimmt Drogenhandel. Zu diesem "geheimnisvollen Nachbarn" ein Artikel aus dem Jahr 2001, aus dem "Stern"-Onlinearchiv: Killer im Cockpit.
Dieser alte Artikel ist auch ein schönes Beispiel, wie Erwartungen bzw. Vorurteile die Wahrnehmung beeinflussen. Im "Stern"-Artikel steht, die "komischen Leute" hätten bis in die späte Nacht "laut gebetet und gesungen" und auffällige orientalische Kleidung getragen. Davon hatte meine Bekannte nichts erzählt. Sicher war es abends mal laut nebenan, aber eben nicht wirklich auffällig. Auch nichts von auffälligen orientalischen Gewandungen, jedenfalls keinen, die in einem Stadtteil, in den zahlreiche Türken und nicht wenige Araber leben, auffallen würden. Die "komischen Leute" fielen ihr vor allem durch ihre Zurückgezogenheit und ihr sichtbares Misstrauen auf. Oder, anders gesagt, dadurch, dass sie sich auffällig unauffällig verhielten.

Ein Narrativ, eine "Erzählung" ist ja die von den "fanatischen fundamentalistischen Moslems", die in der Hoffnung auf eine Belohnung im Paradies den "Märtyrertod" gesucht hätten. Dieser moderne Mythos entspricht nicht den bekannten Tatsachen.
Andreas von Bülow wies 2002 in einem Interview für den "Tagesspiegel" darauf hin, dass er nicht stimmen kann:
(...)
Der amerikanische Journalist Seymour M. Hersh hat im "New Yorker" geschrieben, auch einige Leute von CIA und Regierung gingen davon aus, dass manche Spuren wohl gelegt wurden, um zu verwirren. Wer, bitte, Herr von Bülow, soll das alles gemacht haben?

Ich weiß das auch nicht, woher auch? Ich nutze nur meinen gesunden Menschenverstand und stelle fest: Die Terroristen haben sich so auffällig verhalten, wie es nur geht. Und als gläubige Muslime waren sie auch noch in einer Striptease-Bar und haben betrunken der Tänzerin Scheine ins Höschen gesteckt.

Selbst so etwas soll es geben.

Mag ja sein. Ich kann als Einzelkämpfer nichts beweisen, das übersteigt meine Möglichkeiten. Ich habe aber wirklich Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass das alles ein einzelner böser Mann in seiner Höhle ausgeheckt hat.
Nein, ein "militanter Islamist", ein fanatischer Anhänger eines politisch verstandenen Islam, muss nicht automatisch ein frommer Moslem sein. Und ein zum Töten und Sterben entschlossener Terrorist kann völlig andere Motive haben, als irgendwelche Jungfrauen im Jenseits.

Ich rechne von Bülow zwar zu den Verschwörungstheoretikern, und halte z. B. seine Vermutungen, die Flugzeuge seien ferngesteuert gewesen und das World Trade Center sei von innen heraus gesprengt worden, für absurd.
Es gibt Fakten, die im Prinzip jeder nachprüfen kann.
Ja, es ist möglich, dass ein Hochhaus durch den Aufprall eines Flugzeuges und den anschließenden Kerosinbrand zum Einsturz gebracht wird. Man unterhalte sich nur einmal darüber mit Feuerwehrleuten oder Bauingenieuren. (Ich habe es getan.)

Dennoch haben von Bülows Angaben, die Angaben eines ehemaligen Mitglieds der parlamentarischen Kontrollkommission der Nachrichtendienste und SPD-Obmanns im Schalck-Golodkowski- Untersuchungsausschuss, ein ganz anderes Kaliber als z. B. die von "Weltverschwörungs-Gerd" Gerhard Wisnewski, der inzwischen passenderweise bei KOPP, Fachverlag für "braune Esoterik" und abenteuerliche Verschwörungstheorien, schreibt.
Normalerweise gilt: Funktionieren schon die technischen Details einer Hypothese nicht, stellen sich politische, soziologische und ökonomische Fragen erst gar nicht.
In diesem Fall sind angebliche Fernsteuerungen, angeblich fehlende Wracks, angebliche Sprengsätze usw. aber eher Nebensächlichkeiten bzw. "Nebenkriegsschauplätze", auf denen sich die Verschwörungstheoretiker austoben, deren Behauptungen dann nahezu nach Belieben demontiert werden können. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass Bülow sich, indem er so etwa aufgriff, unglaubwürdig machte. Denn andere Angaben von ihm halte ich nach wie vor für glaubwürdig.
Besonders zu denken geben sollten Bülows Hinweise auf die Feindbildkonstruktion und die Herren Huntington und Brzezinsky.
Beide gehörten zu dem Autorenpool, der, noch zur Zeit Präsident Reagans, die für das Pentagon verfasste Denkschrift "Differenzierte Abschreckung" verfasst hat, wo es unter anderem um das Feindbild für die Zukunft ging. Die Bedrohungszenarien und Einsatzpläne von damals sind eher von historischen Interesse, die Ideen einer "Freibildproduktion" gibt aber gerade im Hinblick auf die Entwicklung nach 2001 zu denken.
Mir ist aufgefallen, wie genau Huntington sein meist zitiertes Buch
Clash of Civilsations plottete – ich hatte beim Lesen das Gefühl, da schriebe jemand ein Exposé für einen Polit-SF-Roman, so "gewollt" ist es, so offenkundig an den Haaren herbeigezogen, aber dabei fein auf weit verbreitet Klischees, Vorurteile und Weltbilder (wie die vom "Christlichen Abendland") abgestimmt.
Mir sind die Thesen Huntingtons zu – sagen wir mal: konstruiert, um sie für bare Münze nehmen zu können. Diese sauber unterschiedenen Zivilisatonskreise, die schon bei zweiten Blick verraten, dass sie auch ganz anders hätten konstruiert werden können, und die so in den Vordergrund geschobenen, angeblich die jeweiligen Zivilisationen tief prägenden Religionen, die allenfalls kulturelle Faktoren unter vielen sind. Warum sind "Lateinamerika" und "der Westen" bei Huntington zivilisatorisch verschieden, obwohl sie beide zum "christlichen Abendland" gehören? Doch wohl, wie er selbst einräumte, aus ökonomischen Gründen und aus der unterschiedlichen historischen Erfahrung.
Huntington kommt mir so vor wie die "Stammtischstrategen", damals, Anfang der 90er, die den Jugoslawischen Bürgerkrieg (wie er damals noch genannt wurde) allein durch den Unterschied zwischen römische-katholischer (Kroaten, Slowenen), orthodoxer (Serben) und islamischer (Albaner) Kultur erklären wollten. Ein arg unterkomplexes Weltbild, dass aber so schön "funktioniert" und scheinbar vieles erklärt.
Und das ist es auch, was mich auch an der offiziösen Darstellung der 9/11-Attentate stört. Sie haben eines mit den Behauptungen der meisten Verschwörungstheoretikern gemeinsam: sie sind unterkomplex. So simpel ist die Wirklichkeit nicht, die Idee einer von einer Höhle irgendwo in den Bergen Afghanistan kommandierte Geheimarmee riecht eher nach einem James-Bond-Szenario.
Huntington lieferte wichtige Plotelemente zu diesem globalen Polit-Thriller, ohne den die "Story" nicht funktionieren würde. Das wichtigste ist die Behauptung, dass wir in einer Art unerklärtem Religionskrieg "the West" vs. "the Rest" stehen würden.
"The Rest" und nicht "nur" der Islam. Das ist ja das Praktische an Huntingtons Werkzeugkasten: mit ihm können Feindbilder so "hergeleitet" werden, wie es gerade passt. Probleme mit Russland? Klar, die orthodoxe Prägung, der Russe ist eben so! Spannungen mit China? Der Chinese als Konfuzianer denkt eben völlig anders als wir Abendländer! Außerdem passt das prima zur Selbstwahrnehmung der einflussreichen "religiösen Rechten" in den USA – und auch zu der konservativer Christen in Europa.
Eine spannende, plausibel wirkende, aber unterkomplexe Erzählung. Ein Politthriller in Form einer politwissenschaftlichen Theorie.

Fest steht jedenfalls: "9/11" passt erstaunlich gut in das Weltbild und zu den Plänen der US-Regierung unter Präsident Bush jr..
Was es doch ein "Inside Job"?

Ich denke: Nein.

Warum konnten die Anschläge am 11. September 2001 dann gelingen? Und das, obwohl einige der Attentäter schon lange (dem FBI bis zu zwei Jahre) vor den Anschlägen bekannt waren und zeitweise überwacht wurden?

Eine Faustregel, an die ich mich gern halte, ist nichts durch eine Verschwörung erklären zu wollen, was nicht einfacher durch Unfähigkeit und Chaos erklärt werden könnte. (Ein Abwandlung von "Occams Razor".)

Im Falle "9/11" herrschte ein geradezu unglaubliches Gegeneinander und Nebeneinander der Dienste (vor allem CIA und FBI) - geradezu ein Kleinkrieg, mit groben Fehleinschätzungen, Vorurteilen, Scheuklappendenken.

Gern übersehen wird, dass es vorher noch nie Flugzeugentführungen mit dem Ziel, die voll besetzten Passagiermaschinen absichtlich in Gebäude zu fliegen, gegeben hatte. Deshalb waren die Sicherheitsorgane, die sich auf bereits gemachten Erfahrungen stützen, nicht auf diesen Fall vorbereitet. Sechs der Attentäter wurden für eine extra gründliche Prüfung ausgewählt, woraufhin das Gepäck zusätzlich auf Sprengstoffe und versteckte Waffen geprüft wurde. Nach der Überprüfung gingen alle Entführer an Bord. Flache, am Körper getragene Teppichmesser hatte niemand auf der Rechnung.

Meine persönliche "Theorie" (eher: Vermutung) ist, dass die Geheimdienste einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Ressourcen darauf verwenden, ihre eigene Unfähigkeit zu verschleiern.

John Le Carré behauptet, dass in Geheimdiensten beinahe notwendigerweise Menschen Karriere machen, die in anderen Berufen wegen ihrer latenten Paranoia und ihrem Hang, die Welt stets durch den Filter ihrer jeweiligen Ideologie zu sehen, schwerlich über einfache Sachbearbeiterjobs hinaus gekommen wären. Ähnlich einzuschätzen ist die oft kolportierte, aber plausible Behauptung, dass der Polizeidienst (bzw. allgemein: Sicherheitsdienste, einschließlich Geheimdienste) Soziopathen geradezu magisch anziehen würde.
Rechnet man die Bürokratie in den Diensten, und ihre naturgemäß nur mangelhafte Kontrolle hinzu, dann ergibt sich ein Szenario, gegen das jenes von mächtigen Verschwörern im Hintergrund beinahe gemütlich anmutet.
Einer Welt, die nach völlig anderen moralischen Grundsätzen und Werten funktioniert, als die "Normalwelt", und in der die Aufrechterhaltung des "schönen Scheins" der demokratischen Legitimation fast so wichtig ist wie in der PR-Branche. (Überschneidungen sind im Bereich "Politikberatung" ja vorhanden.)
Hinter diesem schönen Schein verbergen sich interne Machtkämpfe, Inkompetenz, Größenwahn und völliges Fehlen von Skrupeln.
Eine Welt, in der Geheimdienste, die im Falle des CIA nur dem Präsidenten unterstehen und die (wenn nötig) geltende Gesetze brechen können, solche nette Sachen wie Gladio und andere Stay-behind-Organisationen, die nachweislich in mehrere Terroranschläge verwickelt waren, schaffen können. So bizarr anmutende Konstruktionen wie sie in der Iran-Contra-Affäre ans Licht kamen, lassen nur den Schluss zu, dass an der "verschwörungstheoretisch" amutenden Idee, Geheimdienste wären eine Art "Schattenregierung", die ihre eigene Politik machen, etwas ist.

Aber es war wahrscheinlich gar nicht nötig, einen "Inside Job", in dem es viel zu viele Mitwisser gegeben hätte, zu inszenieren.

Vor einigen Jahren bin ich in diesem Blog der Frage nachgegangen, ob an der Verschwörungstheorie, "Pearl Habor" wäre eine Inszenierung gewesen, mit der die Regierung Rosevelt die kriegsunwilligen USA-Bevölkerung kriegsbereit machte, etwas dran sei.
Mein Ergebnis damals: Inszenierung? – Nein! Ein "Let it happen"-Szenario, etwa eines, in dem Funksprüche der japanischen Flotte, die von US-Stellen mitgehört und sofort entschlüsselt wurden, absichtlich verzögert weitergegeben wurden? Ich weiß zu wenig, um die Frage beantworten zu können.
Klar ist, dass "Let it happen" nur wenige Mitwisser erfordert hätte.

Genau so geht es mir mit 9/11. Wobei, wie im Falle Pearl Habor, schon "von allein" so viel schief gegangen ist, dass eine eventuelle "absichtliche Nachlässigkeit" nicht leicht zu entdecken sein dürfte.
Keine „große Verschwörung“, sondern eine miese, fiese, aber entscheidende Kleinigkeit. Den "Rest" hätten die Terroristen im unbeabsichtigter Zusammenarbeit mit den nur begrenzt kompetenten Staatsorganen quasi von selbst erledigt.

Im Pearl-Habor-Fall lassen sich fast alle Argumente der "Verschwörungstheoretiker" widerlegen: nein, es lagen nicht nur alte Pötte auf Hawaii, Schlachtschiffe waren noch nicht so veraltetet, dass man sie ohne weiteres "geopfert" hätte, usw. usw..
Darüber übersieht man dann rasch, dass eben einige wenige Szenarien nicht widerlegt wurden, im Gegenteil, dass sogar Einiges dafür spricht, dass wirklich schon entzifferte und übersetzte japanische Befehle absichtlich einige Tage verzögert wurden.

Tatsächlich betreiben Verschwörungstheoretiker, vor allem die mit den besonders wilden "Theorien", Desinformation, die Durchaus im Sinne der Propagandisten der These vom schier allgegenwärtigen und allmächtigen Terrornetzwerk sind - und der Totalüberwachungs-Fans, die überall potenzielle Terroristen sehen und solche Sachen wie Demokratie und Menschenrechte für "überbewertet" halten. Und sie entwerten - siehe von Bülow - damit andere, vielleicht wichtigere, Teile ihrer Darlegungen.

Die endlosen Debatten, ob ein Hochhaus durch ein Flugzeug zum Einsturz gebracht werden könnte usw. usw. lenken von den wirklich interessanten Fragen ab.

Freitag, 2. September 2011

Wer "nichts zu verbergen" hat ...

... hat entweder ein verdammt langweiliges Leben - oder ist verdammt naiv.

Am 10. September 2011 findet in Berlin wieder die jährliche Großdemonstration für (digitale) Bürgerrechte und gegen die ausufernde Überwachung “Freiheit statt Angst” statt. Wie immer getragen von einem breiten Bündnis aus vielen Organisationen, Verbänden und Parteien, sowie vielen Helfern und Einzelunterstützern.

Nettes Mobilisierungsvideo von www.wortfeld.de für die Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die läuft noch bis zum 6.10.2011 und hier gehts -> zum Mitzeichnen.

Samstag, 27. August 2011

Die "7 Todsünden ineffektiver Manager" und die Meuterei auf der Bounty

Sie ist ziemlich oben bei Rivva, und das sicher nicht von ungefähr: Lass das! – Sieben Todsünden ineffektiver Manager (Infografik).
Versprechen brechen, Kontrollsucht, öffentliche Demütigungen, Herrschaftswissen, nicht zuhören können, kein Feedback geben, aber auch nie konsequent sein – das sind Verhaltensweisen, die sich Manager tunlichst abgewöhnen sollten – jedenfalls, wenn sie effektive Manager sein wollen.
Aus meiner Sicht ist das Schlimmste daran nicht, dass solche Manager ineffektiv sind - das Schlimmste ist, dass sie unerträgliche Chefs und absolutes Gift für das Betriebsklima sind. Das gilt sogar dann, wenn diese Chefs eigentlich ganz umgängliche, freundliche und für ihre Untergebenen engagierte Menschen sind. Eigentlich.

Ein sehr eindringliches Beispiel, wohin diese sieben Fehler führen können, ist die wohl berühmteste Meuterei der Seefahrtsgeschichte, die Meuterei auf der "Bounty".

Entgegen der Darstellung in zahlreichen Romanen und Filmen war der Kommandant der "HMAV Bounty", Lieutenant (auf der "Bounty" war er noch nicht "Captain") William Bligh, ein äußerst fähiger Seemann. Dass er aus der Reihe der Unteroffiziere zum Offizier befördert wurde, war damals selten, und noch seltener schaffte es jemand, der einmal "vor dem Mast" gesegelt war, bis zum Admiralsrang. Kein Geringerer als Lord Nelson lobte Blighs Schiffsführung in der Schlacht vor Kopenhagen.

Er war auch kein "Schiffstyrann": er hielt Auspeitschungen und Skorbut für Kennzeichen eines schlecht geführten Schiffes. Seeleute unter seinem Kommando wurden erheblich seltener ausgepeitscht als die Besatzungsmitglieder anderer Schiffe der britischen Royal Navy. Wie sein großes Vorbild James Cook kümmerte er sich sehr um das Wohlergehen seiner Leute. Zum Beispiel führte er das auf Handelsschiffen übliche 3-Wachen-System anstatt der bei der Royal Navy üblichen zwei Wachen ein. Bei drei Wachen liegen zwischen den jeweils vier Stunden dauernden Wachen acht Stunden Freiwache, bei zwei Wachen nur vier Stunden. Damit waren die Leute nicht nur ausgeruhter, sondern hatten auch viel weniger "Gammeldienst" als bei der Marine üblich. (Die "Bounty" hatte, weil für eine so lange Expedition viele Handwerker für Instandsetzung und Reparaturen an Bord sein mussten, und weil Mannschaftsverluste durch Krankheit oder Unfall nicht unterwegs ersetzt werden konnten, im Grunde viel zu viele Männer an Bord. 46 Männer drängten sich auf dem 215 Tonnen "großen" Schiff mit nur 27,7 m Rumpflänge. Normalerweise hatte so ein kleiner Frachter höchsten 10 - 12 Mann Besatzung. Wenn in der "Wikipedia" etwas von "keinen zwei Dutzend echte Matrosen" steht, dann heißt das nicht, dass zu wenige Matrosen an Bord gewesen wären - eher, dass ein ungünstiges Zahlenverhältnis zwischen den vielen Offizieren und Unteroffizieren und den Mannschaftsdienstgraden herrschte.)
Für tieferen, strukturellen Ursachen und die äußeren Umstände, die zur Meuterei führten, konnte Bligh nichts. Aber es spricht einiges dafür, dass es an Blighs schlechter Menschenführung lag, dass aus Unzufriedenheit Meuterei wurde.

Tatsächlich beging Bligh alle sieben "Todsünden" ineffektiver Manager:
  1. Bligh hielt nicht immer Wort. Zum Beispiel brachte er einen Zimmermann, der nach der Meuterei loyal geblieben war, entgegen eines Versprechens wegen einer Kleinigkeit vor Gericht.
  2. Er stauchte Untergebene vor versammelter Mannschaft zusammen: z. B. kritisierte er seinen Stellvertreter Fryer lautstark vor den Augen der Mannschaft. Auch wenn die Kritik der Sache nach gerechtfertigt war, unterminierte das die Disziplin und vergiftete das Verhältnis zwischen Bligh und seinem engsten Mitarbeiter. Auch andere Untergebene machte er sich so zum Feind.
  3. Er war "Kontrollfreak" - und war trotzdem über die Verhältnisse an Bord nicht im Bilde.
  4. Er hielt sich mit Lob zurück.
  5. Er mischte sich oft in Kleinigkeiten des Schiffsbetriebs ein. Ironischerweise sorgten vor allem seine Versuche, unter der Mannschaft für gute Laune zu sorgen, für Unmut: die Leute wollten in ihrer Freizeit nicht auch noch vom "Alten" behelligt werden.
  6. Er hörte nicht zu: Deshalb war er völlig überrascht, als sich seine Leute gegen ihn wandten.
  7. Er war inkonsequent und damit unberechenbar: er konnte einen Mann an einem Tag vor Untergebenen herunterputzen und ihm am nächsten Tag zum Dinner einladen - wohlgemerkt: nicht als Geste der Entschuldigung. In der Regel verhängte er auch bei schweren Vergehen nur milde Disziplinarstrafen, aber manchmal war er völlig unnachsichtig bei geringfügigen Unbotmäßigkeiten.
Die Konsequenz: Bligh, einer der fähigsten Seefahrer und Navigatoren seiner Zeit, hatte während seiner an sich glänzenden Karriere - er brachte es bis zum Gouverneur von New South Wales /Australien und zum Vizeadmiral - gleich zwei spektakuläre Meutereien.

Mittwoch, 24. August 2011

Probleme des Raumschiff-Designs in der Science Fiction

Vor gut 30 Jahren erschien in "Perry Rhodan" eine Risszeichung, die grundsätzlich zeigt, welche Problemen Science Fiction-Schaffenden haben, wenn es darum geht, die Technik einer fernen Zukunft zu schildern, zu zeichnen oder zu filmen: die Zeichnung "Abfangjäger der neuen 'Redhorse'-Baureihe", gezeichnet von Jürgen Rudig, 1981, erstmals veröffentlicht in PR Band 1059 "Fels der Einsamkeit".

Auf seinem "Phuturama" interviewt Gregor Sedlag (selbst ein begnadeter Risszeichner) Jürgen Rudig: “Alles nur ein Spaß?” – 30 Jahre Redhorse-Jäger. (Wo dann auch diese legendäre Zeichnung zu sehen ist.)

Normalerweise sind Risszeichnungen futuristischer Technik in Perry Rhodan so etwas wie Extras - nett anzusehen, manchmal interessant, aber selten bis nie hauptsächlicher Kaufgrund oder Leseanreiz. Und selten bis nie Anlass für Diskussionen unter den Lesern.
Die RZ des "Redhorse-Jägers" führte hingegen zu sehr kontroversen Reaktionen der Leser. Viele bemängelten die Freihandzeichung ("Fliegender Schrotthaufen"), andere waren entzückt. Es war das erste Mal, dass die Fans sich dermaßen in Begeisterung oder totaler Ablehnung über eine Risszeichnung ausließen.
(Wie sah meine Reaktion damals aus? So! Ich gehörte also zu jenen, die Jürgen Rudigs Zeichung inspirierend fanden. Wenn auch das Ergebnis bei mir eher dürftig war.)
Ich war immer der Meinung, Raumschiffe – und die Typen, die sie fliegen – sehen in zweitausend Jahren ganz anders aus als für uns vorstellbar. Raumschiff Orion mit seiner ganz eigenen Ästhetik imponierte mir z. B. viel mehr als der ganze Star Wars-Kram.
Ich kann da Jürgen Rudig nur zustimmen. Sein "Raumjäger" lässt deutlich werden: so, wie wir uns das heute vorstellen, werden die Raumschiffe der fernen Zukunft (wenn es sie einmal geben sollte) garantiert nicht aussehen.

Bei Technik, die sozusagen in "Sichtweite" ist, also die nahe Zukunft betrifft, sieht das Design-Problem für SF-Schaffende grundsätzlich anders aus. Hier kann der Aspekt "technische Glaubwürdigkeit" sehr wichtig sein, und zwar nicht nur in der "harten", naturwissenschaftlich-technisch orientierten SF, sondern auch bei SF, bei der eher soziale oder politische Fragen im Vordergrund stehen. Typische Fragen wären: Sind die hinter dem geschilderten oder gezeichneten Gerät stehenden Prinzipien glaubwürdig? Wäre es sinnvoll, so etwas wirklich zu bauen, bzw. kann dem Leser / Betrachter der Sinn so eines Gerätes plausibel gemacht werden? Ist das Design benutzerfreundlich?

Darüber muss sich jemand, der ein überlichtschnelles Raumschiff entwirft, keine Gedanken machen. Schon deshalb, weil nach dem derzeitigen Stand der Physik so etwas schlicht unmöglich ist. Fast wie in der Fantasy hat der "Raumschiff-Designer" freies Feld.

Das die allerwenigsten SF-Schaffenden wirklich nutzen.

"Star Wars" ist ein klassisches Beispiel, wie unsere der bekannten Technik verhafteteten Sehgewohnheiten das Design bestimmen. Es gibt einfach keinen Grund, weshalb ein altes, etwas vergammeltes Raumschiff auf die gleiche Weise verwittert sein sollte, wie ein vergammelter alter LKW - außer, dass wir an alte, vergammelte LKW gewohnt sind. Also sehen Raumjäger "irgendwie" wie Jagdflugzeuge, Raumschlachtschiffe "irgendwie" wie schwimmende Kriegsschiffe, Antigrav-Gleiter wie fliegende Autos usw. aus. Ich will nicht sagen, dass das Design bei "Star Wars" schlecht oder langweilig wäre - aber es ist ziemlich konventionell.

Wie Technik zugleich glaubwürdig und "ungewohnt" sein kann, zeigte etwas später der erste "Alien"-Film - ohnehin ein Meilenstein der "Gebrauchskunst".

Das Design von "Orion" ist nicht nur wegen des kreativen Einsatzes von Alltagsgegenständen (Bügeleisen, Wasserhähne usw.) bemerkenswert, sondern, weil es mit einfachen Mitteln eine exotische Anmutung schuf.

"Star Trek" ist verglichen damit eher bieder - was für das Design aller ST-Serien gilt. Zum Teil ist das allerdings dem überzeugenden Ansatz Gene Roddenberrs geschuldet, technische Geräte von der Funktion her zu sehen, und nicht umgekehrt (wie es oft bei Perry Rhodan der Fall ist), vom (utopischen) technischen Prinzip das Aussehen ableiten zu wollen. Wie Roddenberry es selbst ausdrückte, käme kein Polizist in einem Fernsehkrimi auf die Idee, lang und breit die Funktionsweise seiner Dienstpistole zu schildern. Man kann mit dem Ding jemanden erschießen, und damit fertig! Das ist das Geheimnis, wieso viele der in der originalen Star Trek Serie der 60er Jahre gezeigten Gerätschaften später realisierten Geräten mit der entsprechenden Funktion so ähnlich sehen. (Z. B. Tablet-Computer) - die Funktion für den Benutzer gibt das Design vor, nicht das (mögliche) technische Prinzip
Trotz einer gewissen Biederkeit gelang "Star Trek" ein Meilenstein im SF-Design: das originale Raumschiff "USS Enterprise, NCC 1701" (kein A, B, C, oder D).
Gene Roddenberry stellte ganz klare Bedingungen an den Entwurf: er wollte auf keinen Fall irgendwelchen Leitwerksflossen, Düsen oder Lufteinlässe sehen. Kein "Raketenschiff", keine "fliegende Untertasse".
Und so entstand ein Raumschiff, das zugleich exotisch wie "glaubwürdig" anmutet.
Dem gegenüber war die Pseudo-Stromlinenform der "The Next Generation" Enterprise NCC 1701-D ein deutlicher Rückschritt.

Sonntag, 21. August 2011

Kolonialerzählung - oder: Ein gern "vergessener" deutscher Völkermord

Vor einigen Tagen stieß ich in Joe Dramiga Blog auf diesen hochinteressanten Artikel - es ging um die Rückgabe von menschliche Schädel, die als Beutestücke aus dem "Herero-Aufstand" in Namibia nach Deutschland gebracht wurden und bislang noch in Universitäts- und Museuumsammlungen lagern.
Von 1904-1908 führten deutsche Truppen einen an Grausamkeit kaum zu übertreffenden Vernichtungskrieg gegen die Herero, Nama und Damara, um den antikolonialen Widerstand im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ (heute: Republik Namibia) zu brechen. Unzählige Gebeine von Opfern des Völkermordes und der Konzentrationslager, die die deutschen Truppen in "Deutsch-Südwestafrika" unterhielten, wurden zu "Forschungszwecken" nach Deutschland gebracht.
Weiter: Der Völkermord in Namibia und die medizinische Forschung der Berliner Charité

Froschungszwecke würde ich übrigens ohne Anführung schreiben - so weh es auch tut: was damals an der Charité betrieben wurde, war leider keine Pseudowissenschaft (womöglich betrieben von einigen "verrückten Wissenschaftlern" oder "verblendeten Fanatikern") - es war offensichtlich wirklich medizinische und anthropologische Forschung nach dem damaligen Stand und Usus der Wissenschaft. Was nichts daran ändert, dass der völlig fehlende Respekt vor den von deutschen Kolonialtruppen hingemordeten Menschen, zutiefst anti-human und rassistisch ist. In der Charité behandelte man diese Knochen nicht anders als etwa in Spiritus eingelegte Schlangen oder gepresste Pflanzen: als reine Untersuchungsobjekte.

Übrigens ist der Umfang der Rückgaben unumstritten. Thomas Schnalke, Museumsdirektor am medizinhistorischen Museum, meinte im "Deutschlandfunk", dass menschliche Überreste in Museeumssammlungen dann zurückgegeben sollten,
(...) wenn wir einen Unrechtskontext nachweisen können, beziehungsweise wenn es widerstreitende Wertesysteme gibt.
Bei Herero-Schädeln liegt ein "Unrechtskontext" vor.

Tatsächlich dürfte es schwierig sein, bei im kolonialistischen bzw. quasi-kolonialistischen Kontext gesammelte menschlichen Überresten überhaupt Präparate zu finden, bei denen es weder einen Unrechtskontext noch widerstreitende Wertesysteme gibt. Dass z. B. ein australischer Aborigene um 1900 seine sterblichen Überreste testamentarisch der Forschung vermachte, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach kaum vorgekommen sein.

Warum findet die Rückgabe der "Herero-Schädel" so wenig Interesse?
Ich vermute, weil den meisten heute lebenden Deutschen einfach nicht bewusst ist, dass auch Deutschland eine koloniale Vergangenheit hat.
Tatsächlich gab es, verglichen mit den klassischen Kolonialmächten (Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Spanien, Portugal), verhältnismäßig wenige deutsche Kolonien, und die Kolonialzeit im engeren Sinne setzte erst sehr spät ein. Selbst nach der Reichsgründung von 1871 spielte die Kolonialpolitik in Deutschland zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Reichskanzler Bismarck, als kühl kakulierender Machtpolitiker, sah in Kolonien nur wenig wirtschaftlichen Nutzen, dem die Gefahr erhebliche politischer Störungen gegenüber stand.
So richtig los ging es mit der deutschen Kolonialpolitik erst 1884 - aus nicht ganz durchschaubaren Gründen war Bismarck zu einem "kolonialen Experiment" bereit. (Aber was ist bei Bismarck, dem klassischen Vertreter der Realpolitik im Hinterzimmer, schon leicht durchschaubar?) 1884 wurden "Deutsch-Südwestafrika" und Togoland annektiert und die Besitzungen / "Privatkolonien" von Adolph Woermann in Kamerun kamen "unter den Schutz des Reiches". Im Jahr 1885 folgten das von Carl Peters und dessen "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" erworbene / eroberte ostafrikanische Gebiet, Wituland, Nord-Neuguinea ("Kaiser-Wilhelms-Land") und der "Bismarck-Archipel". Damit war aber die erste Phase deutscher kolonialer Eroberungen abgeschlossen.
Unter Kaiser Wilhelm II. wurden nur noch wenige neue Kolonien gegründet, z. B. wurde von China Kiautschou mit dem Hafenort Tsingtau gepachtet. Diesen eher kleinen "Erwerbungen" stand aber ein maximales Getöse und kraftmeierisches Säbelrasseln gegenüber: die "zu spät gekommene Nation" strebte ihren "Platz an der Sonne" (so der spätere Reichskanzler von Bülow 1897) an, womit ausdrücklich der Besitz von Kolonien gemeint war. Der Ausspruch wurde damals zum geflügelten Wort. Die SPD stellte im Wahlkampf sarkastisch den Ausspruch "Platz an der Sonne" den immensen Kosten, die die deutschen Kolonien verursachten, gegenüber.
Tatsächlich lohnte sich der Kolonialismus für den deutschen Staatshaushalt und auch die deutsche Volkswirtschaft nicht. Vom Kolonialismus profitierten Einzelne und einzelne Gesellschaften, bzw. sie bereicherten sich durch staatlich subventionierte Ausbeutung der Kolonien.

Wie die anderen Kolonialmächte hatte Deutschland ein gerütteltes Maß an zumeist gewaltsam niedergeschlagenen Aufständen. Aber der Kolonialkrieg zur Niederschlagung des Aufstand der Herero und Nama war sogar für die Verhältnisse des Kolonialzeitalters extrem blutig und rücksichtslos. Am 2. Oktober 1904 erließ General von Trotha eine "Proklamation an das Volk der Herero", die später als "Vernichtungsbefehl" bekannt wurde - der Kolonialkrieg ging in einen systematischen Völkermord über.
Es ist viel zu wenig bekannt, dass die ersten deutschen Konzentrationslager in Südwest-Afrika standen (die auch tatsächlich so genannt wurden).
Die Taktik, die "feindliche Bevölkerung" in Lagern zu "konzentrieren", sahen die deutschen Kolonialtruppen sich bei einem "benachbarten" Konflikt ab: im zweiten Burenkrieg in Südafrika um 1900 internierten die Briten die Frauen und Kinder der "aufständischen Buren".

Es ist meines Erachtens eine durch das Wissen, was später geschah, verzerrte Wahrnehmung, die den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in einen engen Kontext mit dem Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands und dem industrielle betriebenen millionenfachen Massenmord stellt - sozusagen als Ausdruck des selben Ausrottungs-Rassismus. Oder der nichts erklärenden, aber zuverlässig jede Diskussion erstickenden Behauptung, "die Deutschen" seien eben schon aufgrund ihrer Mentalität herrschsüchtig und rücksichtslos (bei gleichzeitigem Selbstmitleid) und zu besonders grausamen, gewissenlosen Morden bereit.
Es gibt aber meines Erachtens drei Kontinuitäten zwischen den Kolonialgräueln (wie sie damals zurecht in Teilen der deutschen Presse genannt wurden) und den beispiellosen Verbrechen Nazideutschlands:
  1. die völkermöderischen Methoden, die sich in "Südwest" "bewährt" hatten, waren durchaus Vorbilder für den Vernichtungskrieg "im Osten",
  2. dass sich der "Untermenschen" entmenschlichende Vernichtungssrassismus bei deutschen "Rechtsintellektuellen" so festsetzen konnte, ist auch auf koloniale Erfahrungen zurückzuführen,
  3. die deutschen Herrscher führten in ihren Kolonien eine sogar im Vergleich zu anderen Kolonialmächten strenge Bürokratie ein; die berüchtigte "Prügelkultur" in deutschen Kolonien zeichnete sich weniger durch Sadismus als durch kaltherziges "pflichtgemäßes Durchführen für notwendig erachteter Strafmaßnahmen" aus - Parallelen zum mörderischen Bürokratismus des "Holocaust" sind unübersehbar.
Die deutsche Kolonialepoche endete schon mit dem 1. Weltkrieg, ihre Hochphase dauerte nur etwa 40 Jahre. Das, und der vergleichsweise kleine Kolonialbesitz, und der Umstand, dass sich die Kolonien volkswirtschaftlich nicht lohnten, machen es einfach, die deutsche Kolonialgeschichte als "unwichtig" zu verdrängen.

Ich vermute, dass als die ARD-Fernsehlotterie 1956 den Namen ein "Ein Platz an der Sonne" erhielt, keiner der Verantwortlichen dabei an den Bülowschen Ausspruch dachte. Ich halte es sogar für möglich, dass die meisten Deutschen schon damals den kolonialen Kontext gar nicht mehr kannten.
Als ausgerechnet der FC St. Pauli 2010 / 2011 mit dem Slogan der ARD-Fernsehlotterie als Trikotwerbung auftrat, machten einige Fans klar, dass der Slogan eben doch "Geschichte" hat: “Ein Platz an der Sonne für den FC St. Pauli” !? - Bloß nicht! - Die Erben der Kolonisatoren

Neben dem "Vergessen" der "unwichtigen" deutschen Kolonialgeschichte gibt es immer noch die Erzählung vom "besseren" deutschen Kolonialismus. Im Großen und Ganzen war das deutsche Kolonialregime zwar nicht auffällig schlimmer, aber auch keinen Deut besser als das anderer Kolonialmächte.
Auffällig ist allerdings, wie durchbürokratisiert das deutsche Kolonialwesen war. Vielleicht gilt gerade das als "überlegen" - Hauptsache, die Verwaltung läuft reibungslos und planmäßig ab.
Es ist bezeichnend, dass die deutschen Siedler in "Südwest" sich sehr am sozialen Stammesgefüge der Einheimischen störten, das offenbar keinen Untertanengeist erzeugte, wie ihn die von der eigenen Kultur geprägten Deutschen erwarteten.

Die Erinnerung an das Kaiserreich ist deshalb so wichtig, weil es massiv nachwirkt, viel stärker als das nur etwa 12 Jahre währende "3. Reich" Nazideutschlands!

Sonntag, 14. August 2011

Sloop "John B." - über einen Evergreen mit nautischem Hintergrund

In der Version der Beach Boys wurde "Sloop John B." zum Millionenseller.

Zum ersten Mal wunderte ich mich als Sechsklässler, der mühsam englische Songtexte zu verstehen versuchte, über die Diskrepanz zwischen der heiter-beschwingten Melodie und dem gar nicht so heiteren Text.
Erst später erfuhr ich, dass "Sloop John B." bzw. "The John B. Sails" ein traditioneller Folksong ist, genauer gesagt ein Shanty, oder noch genauer ein "Forebitter", also kein Arbeitslied der Seeleute im engeren Sinne, sondern ein Lied, das in der Freizeit gesungen wurde. Wie viele Shanties ist auch "Sloop John B." ein Spottlied, in dem die einfachen Teerjacken ihren Frust ´raus ließen.
Anders als bei den meisten anderen Shanties lassen sich Ort und Zeit, in der das Lied entstanden, einigermaßen gut eingrenzen. Der Text deutet auf die Bahamas, die Melodie auf den "westindischen" Raum - Antillen, Bahamas, Bermudas, Küste des Golfs von Mexiko.
"John B. Sails" wird als Folksong bezeichnet und erschien in einem Artikel von Richard Le Gallienne in der Dezemberausgabe 1916 von Harper's Magazine. Eine um eine Strophe gekürzte Fassung zitierte Gallienne in seinem 1917 erschienen Roman "Pieces of Eight". Das Lied soll zu dieser Zeit um Nassau, der Hauptstadt der Bahamas, äußerst populär gewesen sein.
Das Wrack eines kleinen Schiffs namens "John B." liegt vor Governor's Harbour auf einem Korallenriff der Insel Eleuthera, einer der Bahamas. "John B." bezieht sich auf John Bethel, einen der ersten Siedler auf Eleuthera. Gesunken ist die "John B." wahrscheinlich 1906, also etwa später als in der "Wikipedia" angegeben.

Übrigens waren die Beach Boys nicht die ersten, die mit diesem Titel erfolgreich waren. Hier eine Version von Blind Blake Higgs, im damals populären Calypso-Stil (1952) und mit abweichendem Text: John B. Sails.
Und schließlich eine Interpretation, die vielleicht einen Eindruck vermittelt, wie der Song in einer Hafenkneipe in Nassau auf den Bahamas zu fortgeschrittener Stunde geklungen haben mag:
Joseph Spence: Sloop John B.

Was ist eine Sloop?

Erst einmal ein großes Boot, das gerudert oder gesegelt werden kann. Im Deutschen Schaluppe, Schlup oder Slup, auf englisch seit dem 18. Jahrhundert auch shallop genannt.
Schaluppe

Dann der von diesem Boot abgeleitete Takelungstyp, mit einem Hochtakelungs-, Gaffel- oder (wie bei der Schaluppe oben) einem Spritsegel als Großsegel und einem einzelnen Stagsegel als Fock, im Deutschen Slup genannt.

Außerdem ein einmastiger Schnellsegler ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, der auf Deutsch auch Slup, Schlup oder Schaluppe genannt wird:
Schaluppe / Sloop (18. Jahrhundert)

Diesen Schiffstyp gibt es, in abgewandelter Form, bis heute:
Slup "Adelante"

Und um die Verwirrung komplett zu machen, konnte im Sprachgebrauch der Royal Navy eine Sloop unter Umständen sogar ein voll getakelter Dreimaster sein.

Aus dem Text des Liedes wird aber schnell klar, dass nur eine "Sloop" im Sinne eines kleinen Schiffs mit einem Mast gemeint sein kann. Die historische "John B." war angeblich ein Schwammtaucher-Boot, was erklären könnte, wieso sich ihr Skipper dicht an die gefährlichen Riffe heranwagte.
1. We come on the Sloop
"John B.",
my grandfather and me,
´round Nassau Town we did
roam,
drinking all night,
we got int' a fight,
I feel so breakup,
I wanna go home!

Corus:
So hoist up the "John B.'s"
sails,
see how the mainsail sets,
send for the captain aboard.
So let me go home,
let me go home.
I feel so breakup,
I wanna go home!

2. The first mate, oh he got drunk,
broke up the captain's trunk, (alternative: the people's trunk)
constable had to come and
take him away.
Sheriff Johnsstone please,
leave me alone -
I feel so breakup,
I wanna go home!

3. The poor cook, oh he got fits,
ate up all oft the grits,
then he took an threw away
all of his corn.
Sheriff Jonsstone please,
leave me alone -
this is the worst trip,
I've ever been on.
Hier meine Übersetzung - ohne Versmaß und Reim:
Wir kamen mit der Sloop "John B.",
mein Großvater und ich. "Grandfather" kann im seemännischen Jargon auch "Decksältester" bedeuten - ein erfahrener Matrose als Vorarbeiter,
In der Nähe der Stadt Nassau
trieben wir uns herum.
Wir tranken den ganzen Abend
und gerieten in einen Kampf.
Ich fühl' mich kaputt,
ich will nach Hause.

Refrain:
So setzt die Segel der "John B.",
seht wie das Großsegel steht,
Ruf den Käpt'n an Bord (An Deck? Es ist wenig plausibel, dass auf einem Schiff schon die Segel gesetzt wurden, wenn der "Alte" noch an Land war. Aber "Deck" hätte sich nicht gereimt.)
So las mich nach Hause gehen, lass mich nach Hause gehen,
ich will nach Hause.
Ich fühl' mich kaputt
Ich will nach Hause.

Der erste Maat betrank sich,
und brach den Laderaum / das Schapp des Käpt'ns auf.
(Der Kapitän verwaltete einen verschlossenen Laderaum, das sog. Zollschapp, in der unverzollte Sprituosen gelagert wurden, die außerhalb der Hohheitsgewässer an die Mannschaft verkauft wurden. Alternativ wäre auch denkbar, dass er dem Käpt'n den Brustkorb eindrückte. Aber dann hätte die John. B. schwerlich Segel setzen können. People' s trunk ist das Mannschaftsschapp, also ein gemeinsam genutzter, abschließbarer Schrank oder Laderaum.)
Die Polizei musste kommen und ihn mitzunehmen.
Sheriff Johnsstone, bitte lass mich in Ruhe,
Ich fühle mich so kaputt, lass mich nach Hause.

Der arme Koch, oh, der drehte durch,
und aß alle Grütze auf,
dann nahm er den ganzen Mais und warf ihn weg,
Sheriff Johnston, bitte lass mich in Ruhe,
Das ist die schlimmste Reise, auf der ich je war.

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