Religion, Magie, Mythen

Samstag, 7. April 2007

Siegfried, die deutsche Seele und die dunkle Seite der Macht

Joachim Fernau stellte 1966 in seinem Buch "Disteln für Hagen" folgende - für mich erschreckende - Prognose:
Das Bild, das vom "Helden" in der Seele der Deutschen besteht, beschließt am Ende stets der "Dolchstoß", der Verrat gerade an jener Eigenschaft, die die deutscheste sein soll, an der Treue. Um ein Mythos zu werden, muß eine Gestalt so enden.
Und so endete auch tatsächlich der letzte hybride Recke der Deutschen: Hitler. Er wird ein Mythos werden, ob wir wollen oder nicht. In wenigen Generationen wird des soweit sein: Er wird aus "Xanten" stammen, er wird den Drachen erschlagen haben, er wird der Sieger der Sachsenkriege gewesen, er wird durch einen Hagen gefällt, und das Reich wird durch die Hunnen zerstört worden sein. Wir mögen ihn hassen und lächerlich machen – es wird korrigiert werden. Wüßte ich einen Rat dagegen, ich würde ihn geben. Aber es gibt keinen.“
Oder anders ausgedrückt: Joachim Fernau, der geistreiche politisch Erzkonservative, der glühende Patriot, der Skeptiker gegenüber Demokratie (und der offenen Gesellschaft), der Anti-Amerikaner, Ex-Nazi-Kriegspropagandist und gelegentliche Philosemit - sah keinen Rat gegen die ja tatsächlich zu beobachtende Mystifizierung Hitlers. Der die Dämonisierung wie die Tabuisierung noch Vorschub leisten.
Fernau analysierte in seinem Buch - das ich heute nach vielen Jahren wieder las - nicht nur das Nibelungenlied, sondern anhand dieses Mythos auch den "Nationalcharakter" der Deutschen. Er tat es mit viel Sarkasmus und einigem Geist - und wie ich finde, treffsicher.
Der Aufstieg der Nazis und die Besonderheit ihres Regimes gegenüber anderen Formen des Faschismus haben viel mit der deutschen Mentalität zu tun - auch wenn ich die Existenz eines "Nationalcharakters" energisch bestreite. Ja, und in Umrissen sind einige Teile dieser "typisch deutschen" Mentalität schon im hochmittelalterlichen Nibelungenlied zu finden - ich vermute, weil es zur selben Zeit entstand, in der die "Ethnogenese" der Deutschen ablief. Vor dem Hochmittelalter gab es nämlich noch kein "deutsches Volk" - so, wie es vor 1871 noch keinen deutschen Nationalstaat gab.

Jemand, der kein Deutscher war, fand ein Mittel Hitler auf Lebensgröße zurechtzustutzen, seine "Magie" zu bannen: Charlie Chaplin. Er machte Hitler in "Der große Diktator" nicht im typischen Sinn lächerlich - er entlarvte ihn mit dem Mittel der Parodie. Während andere Formen der antifaschistischen Propaganda den Nazis immer noch "geistige Energie" zuführten und zuführen - in Form von Hass, oder indem ihnen Macht zugeschrieben wird - schnürt das Mittel des treffenden Spottes ihnen "Energie" ab. Es ist fast wie bei der "dunklen Seite der Macht" in Star Wars - Hass und Angst stärken die dunkle Seite, Schuldzuweisungen erst recht - während Lachen bannt und Weinen, aufrichtige Trauer, reinigt.
Lachen ist tatsächlich eines der wirksamsten Werkzeuge des schamanischen Heilers. Ein guter Schmane handhabt es wie ein guter Chirurg sein Skalpell. Ein Skapell gegen die Geschwüre der Seele.

Der zweite Ansatz ist, dass Bild "der Deutschen" vom Helden zu korrigieren. Vom Helden, der wie Siegfried so vollkommen ist, dass er "eigentlich" unbesiegbar ist. Die Niederlage ist dementsprechend nur durch Verrat oder Verschwörung denkbar. Nicht durch das Versagen des "deutschen Helden" - oder der "im Felde unbesiegten" deutschen Armee.

Interessanterweise wies Fernau selbst einen möglichen Ausweg aus dem von ihm skizzierten Problem.
Die "Diagnose":
Wenn das Leben brodelt und kocht, zuckt und schillert, dampft und stinkt, dann befällt unser Herz Beklemmung und Scham. Die deutsche Seele ist unfähig, auf dem Misthaufen des Lebens - und das Leben ist ein dampfender Misthaufen - zu blühen. "Makel" ist für sie etwas tödliches. Sie kann ihn nicht bewältigen, nicht belächeln, nicht verstehen, nicht verzeihen. Er hat die Wirkung von Rauhreif.
... und ein "Therapieansatz":
Der Siegfried der Ursage war kein Baldur; sein Bild hatte Flecken, er war einer von uns Allzumenschlichen. Bei den romanischen Völkern ist der Held auch heute noch so.
Der Ausweg heißt: Lernen, mit Ambivalenzen umzugehen.
In anderen Kulturen kann man das ja auch.

Fernau ist für mich ein ambivalenter Autor, ich könnte ihn für seine Texte zur gleichen Zeit küssen und ins Gesicht spucken. Deshalb sind sie, auch Jahrzehnte nachdem sie geschrieben wurden, so lehrreich.

Mittwoch, 28. März 2007

Fundamentalistisch, intolerant - und Spaß dabei!

Religiöse Fundamentalisten gelten - nicht zu Unrecht - als verbissen, grimmig, humorlos.

Allerdings gibt es in den USA schon lange Pop-Fundamentalismus - erzkonservative, bitterböse Botschaften in moderner und spaßiger Verpackung. Höllenqualen, Sündenangst und Hass auf "Ungläubige" als gefälliger Popsong oder Comic. Manchmal (unfreiwilig) saukomisch, manchmal nur zum Davonrennen.

In Paris fand Mitte März die dritte "Life-Parade" statt. Nicht zu verwechseln mit der "Love Parade": Während die "Love Parade" ein Musterbeispiel für das ist, was Herbert Marcuse einst, in den wilden 60ern, "repressive Toleranz" nannte - eine Toleranz, die dem Einzelnen eine Freiheit gestattet, die frei von jeder (realen) politischen Bedeutung ist - verzichtet die "Life Parade" gleich auf die Toleranz und beschränkt sich auf die Repression. Die ist aber bunt in jede Menge Amüsement verpackt.
Die "Life Parade" ist eine Initiative der "kulturellen Vereinigung für die Förderung der Familie und der Würde der menschlichen Persönlichkeit". Diese Kopie des amerikanischen "March for Life" bringt 10.000 bis 15.000 junge Leute auf die Strasse, die mit Musik und Tanz gegen Schwangerschaftsunterbrechung, Homosexualität und für "christliche Werte" demonstrieren. Die Organisatoren bestreiten jegliche direkte Unterstützung der Kirchen und präsentieren sich als eine spontane Reaktion der Jugendlichen auf den "zunehmenden Sittenverfall". Hinsichtlich der direkten Unterstüzung durch die großen Kirchen könnte das sogar stimmen, "spontan" dürfte an dieser Veranstaltung noch weitaus weniger als bei der "Love Parade" sein. (Bericht über die "Life Parade" in der "Liberation" (französisch) - via: hdp-online .)

"March for Life", das US-Vorbild, ist eine jährliche Groß-Demonstration von fanatischen Abtreibungsgegnern (die sich selbst "Pro Life" nennen), die im Laufe der Jahre immer stärker Eventcharakter angenommen hat. Die französische Veranstaltung dürfte hinsichtlich der musikalisch-spaßorientierten Form auch von "Rock for Life" inspiriert sein. Obwohl es eigentlich keine logische Brücke zum Thema "Abtreibung" gibt, haben "March for Life" und "Rock for Life" unüberhörbare, wenngleich nicht immer offen eingestandene, schwulenfeindliche Tendenzen. Der Grund dürfte im konservativen Familienbild der meisten "Pro Lifer" zu suchen sei - und in der impliziten Vorstellung, dass der "natürliche" bzw. "gottgewollte" Zweck von Sex ausschließlich in der Zeugung von Kindern liegt. "Rock for Life" macht daraus gar kein Hehl - und ist auch bei Angriffen auf vermeindliche Feinde nicht zimperlich: Dark Side.

Pro Lifers kill

Dienstag, 6. Februar 2007

Religionstest bei der "Zeit"

Religionstests, bei denen man anhand einiger Fragen zur persönlichen Weltanschauung eine Einschätzung erhellt, welche Religion am besten zu einem passt, gibt es im Internet zuhauf. Gemeinsames Merkmal: ernst gemeint sind sie nicht.

Zur Reihe "Was soll ich glauben?" hat die "Zeit" zusätzlich einen "Religionstest" auf ihre Internet-Seite gestellt. Er funktioniert nach dem üblichen Schema. Und er scheint nicht als reiner Scherzartikel gedacht zu sein (ist es, meiner bescheidenen Ansicht nach, aber trotzdem).

Die konzeptinelle Schwäche des "Zeit"-"Testes" gegenüber den meisten Internet-Religionstests liegt darin, dass er nur zwischen sechs "Weltreligionen" untescheidet: Christentum, Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus und Universismus (gemeint ist der chinesische Universismus, die Lehre Lao-tses, auch als Daoismus bekannt). Der "Test" fragt nur nach "Religionen", nicht etwa nach Weltanschauungen / Lebenshaltungen, wie Atheismus oder Agnostizismus. Ein deutlicher Schwachpunkt gegenüber selbst den albernsten Scherztests.

Warum das so ist, und warum ausgerechnet diese "Religionen" (in Anführung, weil Buddhismus und chinesischer Universismus der christlich geprägten üblichen Definition von "Religion" nicht entsprechen) ausgewählt wurden, ist übrigens meiner Ansicht nach (wohl ungewollt) bezeichnend. Daraus spricht ein hoffentlich unbeabsichtigter "Eurozentrismus" oder besser vielleicht "Christozentrismus": die Welt, gesehen und eingeordnet nach Kriterien, die das Christentum vorgibt.

Wer den "Test" trotzdem machen möchte: Religionstest.

Donnerstag, 25. Januar 2007

Ode für Odin

Eine nicht unbedingt dort erwartete Fundsache vom literatur-news Blog: Odin - höchster Gott der Germanen
Eigentlich geht es nur um eine neuerschienene CD-ROM "Nordische Göttersagen". Interessanter ist allemal das verlinkte Video:

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Unterlegt mit "An Ode To AllFather Odhin" von Hildr Valkyre, einer griechischen (!) Viking-Neofolk Sängerin, zeigt das Video künstlerische Darstellungen Odins aus verschiedenen Epochen, in den unterschiedlichsten Kunststilen.

Übrigens: Mehr als die Hälfte aller Deutschen (62 Prozent) meinen, dass man über Gott und Religion keine Witze machen darf. stern.de - Islam: Jeder dritte Deutsche hat Angst.

Das ist ja das Schöne am Asatru: Unsere Götter machen sogar Witze übereinander ...

Freitag, 29. Dezember 2006

Imagine no religion ...

Wo er recht hat, hat er recht:
Solange wir daran festhalten, dass man religiösen Glauben respektieren muss, alleine deshalb, weil er religiöser Glaube sei, wird man Schwierigkeiten haben, Ussama Bin Laden oder Selbstmordattentätern diesen Respekt zu versagen.
Richard Dawkins, Evolutionsbiologe und kämpferischer Atheist. Für den ich große Sympathien hege. Auch wenn er mir die Vernunft abspricht: "Kein vernünftiger Mensch glaubt noch den germanischen Gott Thor."

Volle Zustimmung zu Jan Philipp Reemtsma:
"Muss man Religiosität respektieren? (...) Nicht jeder Unfug, nur weil einer ihn für wichtig hält, kann Achtung verlangen, wenn man unter Achtung mehr versteht, als ihn einfach machen zu lassen, sofern er keinen Schaden anrichtet."
Aus der taz: Bad Religion.

Sonntag, 24. Dezember 2006

Irrtümer zu Weihnachten

Entgegen eines weit verbreiteten Vorurteils sind Heiden nicht zwangsläufig passionierte Christenfresser - Wildschweinbraten oder gegrillte Ente schmecken sowieso besser.

Deshalb schrieb ich für die germanische-heidnische Nornirs Ætt auch etwas über Weihnachten bzw. um sich um dieses christliche Hochfest rankenden 24 populäre Irrtümer rund ums Weihnachtsfest.

Warum das jüdische Chanukka nichts mit Weihnachten zu tun hat, wieso der Weihnachtsbaum kein alter germanischer Brauch und Väterchen Frost keine alte russische Sagenfigur ist, was dagegen spricht, dass Jesus an einem 25. Dezember geboren wurde - und vieles mehr.

Weitere Nornirs Ætt-Artikel über Weihnachten:
Braune Weihnachten - Über den Mißbrauch der Weihnachtstradtion durch Nationalromantiker und Nazis.
Ist Weihnachten ein heidnisch-germanisches Fest - Über die Ursprüge des Weihnachtsfestes und die Entstehung einiger Weihnachtstraditionen.

Frohes Fest!

Donnerstag, 21. Dezember 2006

Frohes Jul und geruhsame Rauhnächte!

Die Rauhnächte (auch Raunächte oder Rauchnächte) sind die Zeit zwischen der Wintersonnenwende und Neujahr. Andere bezeichnen die 12 Nächte zwischen dem Heiligen Abend und dem Fest der Erscheinung (oder Dreikönigstag) am 6. Januar.

Man nennt sie auch die "Zeit zwischen den Jahren" - und zwar zwischen dem Ende des Mondjahres und dem des Sonnenjahres. In vorchristlicher Zeit war sowohl ein Mond- und wie ein Sonnenkalender im Gebrauch. Das Mondjahr zu 12 Mondzyklen ist etwa 354 Tage lang. Da das Sonnenjahr aber rund 365 Tage hat, besteht eine Differenz von 11 Tagen und 12 Nächten. Diese 12 Nächte sind die 12 Weihnächte oder auch 12 Rauhnächte. Eine jede steht für einen Mondzyklus.

Die "Wilde Jagd" (Oskorei, Aaskereia, Asgardrei) ist ein Geisterheer, angeführt von Wotan bzw. Odin, in christlichen Zeiten als "wilder Jäger" oder "Hakelberg" umschrieben. Aber auch der Perchta oder Hulda (Frau Holle) die Führung zugeschrieben.
Im Ásatrú bzw. in der Forn Siðr steht die Wilde Jagd im Zusammenhang mit der Ahnenverehrung. Ihr zu begegnen, ist wie jede Begegnung mit Verstorbenen, nicht ganz ungefährlich. Nachdem auch Wotan selbst in christlicher Zeit dämonisiert worden war, war die Wilde Jagd einfach nur noch gefährlich; sie wurde als Zug der verdammten Seelen gedeutet.
In Volkssagen warnt der getreue Eckhart, der dem Zug mit einem Stab oder Schwert voranschreiten, Wanderer, die der Wilden Jagd begegnen, sich am Wegesrand mit dem Gesicht nach unten zu Boden werfen.
Wie zu Samhain bei den Kelten sind die Rauhnächte eine Zeit, in der die Grenzen zwischen den Welten durchlässig sind.

Für mich beginnt die Zeit der Rauhnächte mit dem Julfest. Also heute Abend, mit Beginn der längsten Nacht des Jahres.
God Jul
Tatsächlich kommt es auf den genauen Termin nicht so sehr an. Ich war z. B. letztes Wochenende auf dem Jul-Treffen der Nornirs Ætt. Man könnte es als "Familien"-Treffen oder Treffen guter Freunde bezeichnen. Jene, die beim germanisch-heidnischem Jul an finstere Rituale oder wüste Wikingergelage denken, muß ich enttäuschen: Jul ist harmonisch. Fast schon spießig-familär. Sogar Kinder waren dabei.
Nein, wir haben uns nicht in Euphorie und Ekstase im Schein des Wintersonnenwendenfeuers aneinander gerieben. Dazu ist Jul schlicht der falsche Anlaß. Die Zeit gerinnt in den Rauhnächten, wenn die Wilde Jagd durch die Nacht stürmt. Kuschelzeit. Es ist Zeit, langsamer zu machen. Unsere Jul-Rituale - Blót, Opfer - sind deshalb eher ruhig. Und jedes Jahr etwas anders gestaltet.
Die Rauhnächte sind eine Zeit der Ruhe und des gemeinsamen Feierns und Redens - bei Met und Wein, bis in den frühen Morgen. Ohne Erwartungsdruck in Richtung: "Habt Euch gefälligst lieb, es ist Weihnachtszeit!" ( "Harmonie-Erwartungsdruck" und "Fest-Erfolgszwang". Eben jene Haltung, die so oft spätestens am 2. Weihnachtstag zum Familienkrach führt.)
Jul ist das Fest der Ruhe. Traditionell die Zeit, in der sich weder Rad noch Spindel drehte. Die ruhige Zeit.
Für mich sind die Rauhnächte die Zeit, mich zu sammeln, mich um Liegengebliebenes zu kümmern.

Zur "richtigen" Wintersonnenwende (am Morgen nach der längsten Nacht) halte ich ein kleines Ritual im Freien, auf einer Lichtung im Wald ab. Unter "Ritual" sollte man sich dabei nichts großartiges vorstellen. Meisten zünde ich paar Windlichter an, meditiere ein wenig, begrüße die aufgehende Sonne (wenn sie dann zu sehen ist) und lasse einige Opfergaben in Form von Obst und Nüssen da - die dann von den Eichhörnchen gefressen werden - aber das ist auch so vorgesehen: Opfer heißt dem menschlichen Gebrauch entziehen.
Aber in Wirklichkeit gestaltet sich in dieser Zeit der ganze Tag irgendwie als Ritual - oder sollte, denn ich kann die äußeren Umstände nicht immer völlig abschirmen.

Freitag, 15. Dezember 2006

Bock auf Jul

Der Julbock (dänisch: Julebuk, norwegisch: Julebukk, finnisch: Joulupukki, schwedisch: Julbock) ist ein Ziegenbock aus Stroh und im Norden Europas das traditionelle Symbol der "Jultid". Trotz Weihnachtsmann und Tannenbaum.

Der Bock ist dabei viel älter als die Weihnacht: Strohböcke, die sich vom Design her nicht von modernen Julböcken unterscheiden, gab es schon in vorchristlichen Zeiten. Möglicherweise gab es sie schon in der Jungsteinzeit - da ist die Funddeutung nicht ganz sicher. Oder noch ein paar Steine weiter ...
Soviel ist sicher: Der Wagen des Gottes Thor wird von zwei Ziegenböcken gezogen.

Die Schweden haben es nicht immer leicht mit Fremden, die ihre Jul-Bräuche mißverstehen:
Seit 1966 wird auf einem zentralen Platz in Gävle zur Weihnachtszeit ein überdimensionaler Julbock aufgestellt. 2004 war er 13 Meter hoch, 7 Meter lang und wog etwa 3 Tonnen. Trotz intensiver Bemühungen der Initiatoren (eine lokale Handelsvereinigung und ein naturwissenschaftlicher Schülerverein) den Bock zu schützen, wird er fast jedes Jahr Opfer von Brandanschlägen. Diese Tatsache wurde von ausländischen Touristen bzw. Austauschstudenten schon fälschlich als Tradition aufgefasst, so dass sie sich aktiv an der Zerstörung des Julbocks beteiligten.
Mal sehen, ob er noch da ist: Bocken Kamera 1

Andere Nichtskandinavier mißverstehen Jul auf völlig andere Weise. Was unter anderem an den Nazis lag, die ihre Braune Weihnachten gerne und verfälschend "Julfest" nannten. So, wie damals so manches "altdeutsche" oder "germanische" "Brauchtum" schlicht im Propagandaministrium erfunden wurde.
Was manche dann zum Fehlschluß verleitet "Jul" sei ein Nazibegriff. Zumindest wenn ein Deutscher ihn in den Mund nimmt.

Ebensowenig folgt aus der Tatsache, dass Weihnachten kein “urwüchsig-germanisches” Fest ist, dass jede Art von heidnischer Deutung des Weihnachtsfestes auf die Nazis zurückgehen würde. Es ist auch nicht wahr, dass es überhaupt keine germanischen Traditionselemente im Weihnachtsfest gäbe.

Ich lasse mir meine Bock auf Jul jedenfalls nicht verderben. Weder von Nazis noch von es gut meinenden Nazi-Gegnern!

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Santa Lucia

Adventsbräuche aus dem "hohen Norden" haben ihren Reiz. Auch abseits von den soooo preiswerten IKEA-Kerzenhaltern und auch bei Menschen, die sowohl der hochkommerzialisierten und ziemlich hektischen Vorweihnachtszeit wie der bemüht "feierlichen" und deshalb oft unfröhlichen christlichen Adventszeit eher reserviert gegenüberstehen.

Heute, am 13. Dezember, ist das Fest der Santa Lucia.

Ich gebe zu, dass ich eine Schwäche für das schwedische Santa Lucia Fest habe. Obwohl es dort inzwischen auch in den Vorweihnachtsbetrieb eingebunden und mitunter heftig verkitscht ist.
Santa Lucia
"Offiziell" gilt das Fest auf die heilige Lucia zurück, einer Märtyrerin die im 3. Jahrhundert in Sizilien gelebt hat.
Tatsächlich ist das Lucia-Fest das Lichtfest. Lucia ist ursprünglich nicht der Name einer Heiligen, sondern die Personifikation des Lichtes. Vor der gregorianischen Kalenderreform, die im protestantischen Schweden erst im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, war die längste Nacht des Jahres die auf den 13. Dezember. Mit Lucia begann die Zeit des siegreichen Lichtes.
Ob Santa Lucia ein "alter heidnischer" oder ein "christlicher" Brauch ist, ist im Grunde völlig egal. Es ist ein Brauch, der sich aus den Lebensumständen ergab - der bedrückenden "Mörketid", der Dunkelzeit. Die Dezembernächte sind im Norden bedrückend lang; selbst in Südschweden wird es erst am späten Vormittag hell und schon am frühen Nachmittag dunkel. Im Norden herrscht durchgehende Nacht. Das Fest der Lichtkönigin ist im hohen Norden ein im Wortsinn naturreligiöses Fest.

Mit dem Lucia-Lied und anderen feierlichen Gesängen wird die Rückkehr des Lichts angekündigt und gleichzeitig die Weihnachtszeit eingeläutet. In ländlichen Gegenden wird das Fest der Lucia noch als traditionelles Familienfest gefeiert: Ein weißgekleidetes Mädchen, die Lussibrud ( Lucienbraut), oft aber nur Lucia genannt, trägt einen Kranz mit brennenden Kerzen auf dem Kopf und weckt in der Familie die Schlafenden und bringt ihnen Gebäck.
Heute besuchen Lucias als "Lichterköniginnen" Kindergärten, Altersheime, Krankenhäuser, Schulen und Betriebe in ganz Schweden. Auch Städte wählen oft Ihre eigene Lucia. Hierzu wird ein recht großer Aufwand betrieben, die Vorausscheidungen beginnen meist schon im Oktober. Kritische Stimmen reden deshalb gern vom "Lucia-Spektakel".

Aber etwas Jahrmarktsspektakel gehört, denke ich, zur Adventszeit einfach dazu. In Schweden wie bei uns.

Montag, 4. Dezember 2006

Wie antisemitisch ist Asatru? (1)

Schon vor 13 Jahren hat der Bonner Skandinavist Rudolf Simek in seinem Buch "Erde und Kosmos im Mittelalter" belegt, dass altnordische Schriften des 11. Jahrhunderts die Erde ganz selbstverständlich als Kugel beschrieben.

Was hat das mit Antisemitismus und Odinismus (der geläufigere Ausdruck für Asatrú) zu tun? Einiges, finde ich. Es illustriert gleich zwei eben so grundfalsche wie allgemein übliche Vorstellungen: einmal jene, dass sich erst in der Neuzeit die Kugelgestalt der Erde herumgesprochen hätte - also die Vorstellung des "finsteren Mittelalters", und dann jene der kulturellen Rückständigkeit des "barbarischen Nordens".
Fügt man noch ein drittes, ebenso unzutreffendes, Klischee hinzu, nämlich dass Antisemitismus eine Spezialität der Rechtsextremisten sei, und addiert die Vorliebe der alten und neuen Nazis für germanische und pseudogermanische Symbolik, dann sind die Zutaten beieinander, aus dem fast alle Antisemitismusvorwürfe gegenüber Odinisten zubereitet werden.
Das geht etwa so: Wenn jemand an die Kultur räuberischer Barbaren aus dem finsteren Mittelalter anknüpft und gar deren Götter verehrt, dann kann das nur als Bekenntnis zu Barbarei verstanden werden. So etwas kann höchstens primitive (je nach Epoche und Ideologie) "Halbstarke", "Rocker", "Chaoten", "Hooligans", "Boneheads" usw. ansprechen. Für intelligente und gebildete Menschen kann so etwas eigentlich nicht attraktiv sein, also steckt bei ihnen etwas ganz anderes dahinter: Vermutlich getarnter Neo-Nazismus (weil: Nazis haben es ja mit den Germanen). Der Antisemitismus ist die einigende Klammer alter und neuer Nazis, also kann ein Odinist gar nicht anders als antisemitisch sein.

So gesehen könnte man auf Antisemitismus-Vorwürfe gelassen oder allenfalls mit einem Achselzucken reagieren. Leider ist das nicht so einfach, denn es gibt tatsächlich nicht wenige Antisemiten unter "echten" Asentreuen (nicht zu verwechseln mit Neonazis, für die der Thorshammer nur ein Ausweichsymbol für "Verbotenes" und das Bekenntnis zum Germanentum in erster Linie Ausdruck einer Mischung aus aggressivem Nationalismus und Rassismus ist). Damit meine ich jetzt nicht etwa den "Artglauben" der offen rechtsextremistischen Artgemeinschaft und Verwandtes, sondern ganz ehrenwerte, ansonsten weder rechtsextreme noch rassistische Anhänger der "Alten Sitte", die eine zutiefst antisemitische Vorstellung in ihr Weltbild integriert haben: die "Wüstenreligionen".

Hinter dem Begriff "Wüstenreligion" steckt die (unzutreffende) Vorstellung, die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam seinen in der Wüste entstanden, also unter völlig anderen, lebensfeindlichen, Umweltbedingungen, als die heidnischen "Feld, Wald und Wiesen"-Religionen des vorchristlichen Europas. Schon wegen ihrer sich aus der Wüsten-Herkunft erklärbarer Lebens- und Leibfeindlichkeit würden diese Religionen nicht nach Europa passen, seien vor allem in Nordeuropa stets kulturfremde Importe gewesen.
Erweckt schon das Wort "Wüstenreligion" antisemitische Assoziazionen, bekommt diese Vorstellung bei einigen - auch bei ansonsten keineswegs "rechten" - Heiden einen ideologisch-historischen Dreh: das "Judäo-Christentum" hätte die europäische Religion und Kultur angegriffen. (Das Christentum wird hierbei lediglich als Variante des Judentums begriffen, ungeachtet der jahrhundertelangen Judenfeindschaft der christlichen Kirchen.) Dieser Angriff sei vor allem dem Monotheismus zu verdanken, in dem sie die Wurzeln eines imperialistischen Totalitarismus sehen, der einer "vielgestaltigen", also "polytheistischen" Welt feindlich gegenüber stehe. Gehen sie noch ein kleines Stück weiter, sehen sie Insbesondere den Liberalismus und die westlichen Demokratie als Produkte des "Judäo-Christentums" an - und sind, auch wenn sie es nicht merken, mitten im rechtsradikalen Denken angekommen. Der Schritt zu antisemitische Verschwörungstheorien im Stile der "Protokolle der Weisen von Zion", den "Illuminaten" oder der "Ostküste" ist dann nicht mehr groß - irgendwo im Hintergrund lauern dann "eine handvoll Juden", die alles Böse in der Welt anzetteln.

Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: Kritik an den Kirchen, am Christentum und am Monotheismus aus neuheidnischen Kreisen ist nicht automatisch antisemitisch. Sogar die unter Heiden und Hexen weit verbreiteten Vorstellungen von einer blutigen Zwangmission, in der das heidnische Europa von der christlichen Kirche im Bündnis mit eroberungssüchtigen Herrschern im Stile der spanischen Conquistadores in Amerika unterjocht und seiner Kultur beraubt wurde, oder die Vorstellung, die Hexenverfolgung sei ein Feldzug der Kirche gegen die letzten verbliebenen Heiden gewesen, sind, so wenig sie den historischen Tatsachen entsprechen, nicht zwangsläufig antisemitsch. (Ein gern von kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten gemachter Denkfehler ist es, Angriffe auf das Christentum aus neopaganer Ecke per se als antisemitisch motiviert zu betrachten.)

Es gibt also durchaus Antisemitismus im Asatrú - wenn auch sicher nicht in jenem Ausmaß, dass jeder Thorshammerträger im Zweifel als Judenfeind zu betrachten ist.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die "alten Germanen" und die "Wikingern" fremden Kulturen im Allgemeinen und Juden im Besonderen feindlich gegenüber standen. Es also eine öriginär germanische Xenophobie und eine "alte Judenfeindschaft" gäbe.
Sollte das nicht der Fall gewesen sein, stellt sich damit die Frage, wie denn der Antisemitismus - historisch gesehen - in den germanischen Neopaganismus hineingeraten ist. Teil 2

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