Geschichte

Montag, 20. März 2006

Der Junge von Windeby

"Das Mädchen von Windeby" war in Wirklichkeit ein Junge! Eine genetische Untersuchung der kanadischen Anthropologin und Gerichtsmedizinerin Prof. Heather Gill-Robinson enthüllte das wahre Geschlecht einer der prominentesten Moorleichen Deutschlands. Die Todesursache des etwa 16-Jahrigen war Unterernährung und eine schwere Kieferinfektion.
Damit sind die meisten der gängigen Deutungen zur gut 2000 Jahre alten, im Windebyer Moor bei Eckernförde gefundenen Leiche hinfällig.
Schon längst ins Reich der Legende verbannt sind ältere, noch heute populären Deutungen von einer "rituellen Hinrichtung" an einer "Ehebrecherin": die angebliche Augenbinde war ein verutschtes Stirnband, die "obzöne Geste" ein Artefakt der Fundbergung 1952.

Ausführliche Berichte:
n-tv:"Das Mädchen von Windeby" ist ein Junge
Eckernförder Zeitung: Moorleiche ist ein "Windeboy"

Donnerstag, 2. März 2006

Was jeder weiß: Dresden

Ich nehme die bevorstehende Ausstrahlung der rührseligen Kriegsschmonzette des historischen TV-Films "Dresden" im ZDF zum Anlass, meine lockere Reihe "Was jeder weiß stimmt garantiert nicht" fortzusetzen.

Im Falle Dresden geht es um populäre Irrtümer bzw. Geschichtslegenden, die längst und gründlich widerlegt sind, und trotzdem nicht aus den Köpfen vieler Deutscher verschwinden. Was heißt Legenden - eigentlich sind es faustdicke Geschichtslügen, die da fortbestehen. Woran, vermute ich mal, Dokudramen mit Drall in Richtung "Selbstviktimisierung" nicht ganz unbeteiligt sind.

Nachtrag: "Selbstviktimisierung" meint in diesem Zusammenhang: das unbestrittene Opfersein der bombadierten Deutschen wird als Schuld-Schutzschild vor dem voraufgegangenen Tätersein aufgebaut. Viele "Dokudramen" und "historische Dokumentationen" über den 2. Weltkrieg räumen zwar bereitwillig eine deutsche "Schuld" ein, aber die zahlreichen toten deutschen Soldaten und Zivilisten erscheinen als "Sühneopfer" für diese "Schuld". Eugen Kogon beschrieb das schon kurz nach Kriegsende als "Schaffen von Notausgängen": Sie sollen die Flucht vor der eigenen Geschichte ermöglichen, sobald unwillkommene Fragen gestellt werden. "Wir sind durch den Bombenkrieg doch gestraft genug, warum dann immer noch die Frage nach deutscher Schuld?" Wobei der Schuldbegriff in diesem Zusammenhang besonders fragwürdig ist Schuld – die Rückkehr ins Paradies

Nun zu den drei wichtigsten, immer noch gern geglaubten, Legenden über Dresden, am 13., 14. und 15. Februar 1945. Dabei folge in im wesendlichen Martin Blumentritt, auch wenn ich seine "antideutsche" Sicht nicht teile. Dresdenlügen

1. Legende "Die Zahl der Opfer der Bombadierung Dresdens ist einzigartig und beispiellos"
Es kursieren bis heute abenteuerliche Opferzahlen. 135.000 Tote (David Irving, Nazi-Apologet), 300.000 (Hans Loch, DDR-Politiker) oder gar 350.000 bis 400.000 (Axel Rodenberg). Sie suggerieren ein welthistorisch einmaliges Massaker. Auch die vergleichsweise zurückhaltenden Zahlen von 35.000 Toten (DDR-Geschichtsbücher) oder 30.000 Toten (mein altes Schulgeschichtsbuch, BRD) sind zu hoch. Die tatsächliche Opferzahl dürfte etwa bei 25.000 Toten liegen:
In der "Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar 1945 des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe" heißt es unter Punkt E:
Personenschäden.
Bis 10.3.1945 festgestellt: 18.375 Gefallene, 2.212 Schwerverwundete, 13.718 Leichtverwundete... Die Gesamtzahl der Gefallenen einschl. Ausländer wird auf Grund der bisherigen Erfahrungen und Feststellungen bei der Bergung nunmehr auf etwa 25.000 geschätzt.
Im Dezember 1993 wurden vom Stadtarchiv Dresden bisher unerschlossene Akten aufgefunden, die diese Angaben bestätigen. Es handelt sich hierbei um die Bestattungslisten der städtischen Friedhöfe. Demnach wurden auf den beiden Hauptfriedhöfen bis zum 12.Juli 1945 insgesamt 21.271 Leichen registriert. Selbst wenn man ca. 2.000 bis 3.000 "wilde" Bestattungen oder Bestattungen auf kleineren Friedhöfen im Umland hinzurechnet, bestätigen diese Angaben die Zahl von ca. 25.000 Bombentoten. Eine hohe, aber für den Bombenkrieg beinahe "normale" Opferzahl, auch z. B. bei den Bombenangriffen auf Hamburg kamen so viele Menschen um. (Man vergleiche das nur mit den 700.000 Toten im belagerten Leningrad. Wobei anzumerken wäre, dass zur Sowjetzeiten eher zu geringe Opferzahlen auf Seiten der Sowjetbürger angegeben wurden.) Es gab in Dresden auch deshalb viele Tote, weil zahlreiche Flüchtlinge und Kriegsgefangene im Stadtgebiet untergebracht waren - eine im Rückblick unverantwortliche Entscheidung der wohl noch an der Illusion vom "Luftschutzkeller des Reiches" festhaltenden deutschen Führung.
Dresden war auch nicht ungewöhnlich stark zerstört: mit 60 Prozent zerstörten Wohnungen nahm Dresden den 22. Platz unter den deutschen Städten ein. Selbst die auf Dresden abgeworfene Bombenlast von 7.000 Tonnen ist geradezu lächerlich verglichen mit Köln (44.700 Tonnen) oder Essen (37.900).
Die einzige Besonderheit "Dresdens" ist, dass die
Stadt erst in den letzten Kriegsmonaten zum Ziel der alliierten Angriffe geworden war. Zuvor waren Flächenbombardements im Südosten Deutschland aufgrund der strategischen Lage und aus technischen Gründen noch nicht möglich gewesen.

2. Legende: "Der Angriff war militärisch sinnlos, mithin reiner Terror gegen die Zivilbevölkerung"
Die Bombardierung Dresdens war ein Schock, der im Gegensatz zu früheren Bombenangriffen die "Heimatfront" wirklich demoralisierte.
Götz Bergander schrieb im Standardwerk "Dresden im Luftkrieg":
Zwar glaubten die meisten Deutschen nicht mehr an den Sieg, aber sie konnten sich trotzdem die bedingungslose Kapitulation nicht vorstellen. Der Schock von Dresden trug wesentlich zu einer Sinneswandlung bei. Sie äußerte sich damals in den Worten: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Der Schrecken ohne Ende - das war für die meisten Deutschen der Bombenkrieg.
Die Taktik des Flächenbombardements war auch auf allierter Seite nicht unumstritten, siehe z. B. die Autobiographie des damals für das britische Bomberkommando arbeitenden Physikers Freeman Dyson, dem zufolge die Allierten den Bombenkrieg praktisch verloren hätten. Die Opferzahlen - auch unter den Bomberbesatzungen - standen in keinem Verhältnis zum mageren strategischen Ergebnis - denn die kriegswichtige Produktion war entweder "ausgelagert" oder wurde - wie die Kugellagerfabriken in Schweinfurt - so hart verteidigt, dass die Angriffe für die Bomberbesatzungen ein Himmelfahrtkommando waren.
Jedoch gezielte und das taktische Moment der Überraschung ausnutzende Angriffe fügten der deutschen Kriegswirtschaft empfindliche Schäden zu: 1943 wurde die V-Waffenproduktion durch einen Angriff auf Peenemünde erheblich verzögert, 1944 kam die deutsche Benzin- und Flugbenzinproduktion nach den Angriffen auf die Hydrierwerke und Raffinierien bei Leipzig praktisch zum erliegen - womit auch der deutschen Luftverteidigung der "Sprit" ausgingt. In der Folge konnte das Verkehrsnetz systematisch zerbombt werden.
In Dresden kam die oft - auch von Dyson - bestrittene psychologische Wirkung des "Moral Bombing" voll zum Tragen, vielleicht, weil die Alternative "Ergibt Dich oder Stirb!" den meisten Deutschen bei früheren Angriffen noch nicht klar war.

Davon absehen war Dresden durchaus ein militärisch bedeutendes Ziel. Der britische Militärhistoriker Joseph W. Angell geht davon aus, dass der Bombenangriff auf Dresden als direkte Unterstützung für die heranrückende Rote Armee gedacht war. Zur gleichen Zeit, schreibt er, habe Marschall Konjew mit seinen Armeen ungefähr 110 Kilometer ostwärts der Stadt gestanden, in einer für deutsche Gegenangriffe höchst verwundbaren vorgeschobenen Position - vorausgesetzt, die Deutschen könnten Verstärkung durch Dresden bringen; dies sollten die Bombardements verhindern. Ob dieses Ziel vorrangig angestrebt wurde, ist innerhalb der Fachliteratur umstritten - dagegen spricht, dass der Rangierbahnhof nicht dauerhaft zerstört wurde. Immerhin: etwas dringend benötigte "Luft" wird "Dresden" den sich unter horrenden Verlusten vorkämpfenden Soldaten Konjews verschafft haben. Vielleich zwei- oder drei Wochen weniger bis zur Kapitulation der "Reichshauptstadt" Berlin.
Da aber sich ein großer Teil der noch intakten Rüstungsproduktion im "sicheren" Dresden befand, wurden "enorme Auswirkungen auf die Rüstungsproduktion" (Stadtarchivar Friedrich Reichert) erzielt. Im größten Rüstungsbetrieb, der Firma Zeiß Ikon, waren vor dem Angriff 10.837 Arbeiter tätig, danach nur noch etwa ein Viertel(2.508). Zeiß Ikon stellte vor allem das bei allierten Soldaten als "Hitlersense" gefürchtete, im Häuserkampf und aus Hinterhalten heraus besonders "wirksame" Sturmgewehr MP 43 her. Ohne Gewehre kein "Volkssturm bis zum letzten Mann" ...

Nicht zuletzt werden die allierten Bomberpiloten angesichts der bis zum März 1945 anhaltenden, strategisch sinnlosen "V-Waffen"-Angriffe auf London und Antwerpen wenig Anlaß gesehen haben, "kurz vor Schluß" den "Bombenterror" aufzugeben.

3. Legende: "Die Zerstörung Dresdens ist ein bewußtes Kalkül der Westalliierten gewesen, um den Vormarsch der Roten Armee zu behindern und die künftige sowjetische Besatzungszone zu schwächen."

Unschwer ist diese Behauptung als östliche Propaganda aus dem "Kalten Krieg" erkennbar, dennoch wird sie nicht nur von alten SED-Kadern, sondern auch von jungen "antiimperialistischen" Linken gern nachgebetet.

Noch 1969 hieß im "Neuen Deutschland":
An diesem Tag gedenken die Dresdner der vielen unschuldigen Opfer, die sterben mußten, weil einige Politiker und Generale die untaugliche Idee hatten, den Vormarsch des Sozialismus mit Bomben und Tränen aufzuhalten.
Dem steht die unübersehbare Tatsache gegenüber, dass das Gebiet von Deutschland, das schließlich von den Westalliiierten besetzt werden sollte, insgesamt weitaus länger und schwerer angegriffen worden als das Gebiet der späteren sowjetischen Besatzungszone. Eine "antisowjetische" Stoßrichtung der Angriffe auf Köln, Essen oder Hamburg ist schwer vorstellbar. (Außer vielleicht für jene Stalin-Fans, die glauben, die ruhmreiche Rote Armee hätte ganz Europa "befreien" können, hätten sich die perfiden Westmächte nicht quergestellt.)
Dass die Bombadierung Dresdens die vordringenden Roten Armee entlastete, wurde schon erwähnt. Der Angriff auf Dresden wurde der sowjetischen Führung durch die US-Militärmission in Moskau vorab mitgeteilt, es gab keine Einwände.
Erst nach 1948 schwenkte die Darstellung der Bombadierung Dresdens in den "östlichen" Medien in anti-amerikanische / anti-britische Richtung um. 1952 griff DDR-Volkskammerpräsident Dieckmann sogar auf Goebbels Wortprägung von "anglo-amerikanischen Luftgangstern" zurück. In den folgenden Jahren klang die anti-amerikanische und anti-britische Demogogie ab, bis in den 80er Jahre allgemein gehaltene Friedensappelle, in denen allenfalls vor "dem Imperialismus" (natürlich nur dem auf westlicher Seite) gewarnt wurde, die Dresden-Gedenkfeiern dominierte.

Dafür machten sich Teile der "westlichen" "Antiimperialisten", auch solche, die nichts von "real existierenden Sozialismus" hielten, einstige Ostblock-Propaganda zu Eigen - und näherten sich in ihrem Amerikahass unbeabsichtigt immer mehr traditionell "rechten" Positionen an. Dabei blieb es - bis heute.

Angenehme Überraschung auf der ZDF-Website: Bomben auf Dresden - Eine Chronik der Ereignisse

Keine Überraschung, aber trotzdem unangenehm, ist, was der Drehbuchautor Stefan Kolditz auf der ZDF-Website von sich gibt: Die Bombe demokratisiert das Sterben

Dienstag, 28. Februar 2006

Vor 20 Jahren: Olof Palme ermordet

Abenteuerliche Verschwörungstheorien ranken sich um den Mord am international angesehenen Schwedischen Staatsminister (Primierminister) Olof Palme.
wikipedia: Olof Palme
netzeitung: Zeugen im Mordfall Palme werden neu befragt

Wobei es ebensowenig wie im "Mordfall John F. Kennedy" Zufall ist, dass sich um gerade um dieses Attentat Legenden bildeten. Dass es wirklich der drogenabhängiger Einzeltäter Christer Pettersson war, ist nicht auszuschließen, auch wenn der 2004 verstorbene Pettersson mangels Beweisen freigesprochen wurde.
Ansatzpunkt der meisten Theorien ist die schier umfassbare Tatsache, dass die Suche nach dem Täter nur äußerst schleppend verlief, da sich die Stockholmer Stadtpolizei und die Sicherheitspolizei SÄPO zunächst lange um die Zuständigkeit stritten. Bei den Ermittlungen wurde offensichtlich geschlampt, z. B. wurden die Patronenhülsen von Passanten und nicht von der Polizei gefunden.
Rechnet man hinzu, dass die SÄPO bis in die 1960ern voller Leute steckte, die ihre "Fachausbildung" in den 30er und 40er Jahren bei der deutschen Gestapo absolviert hatten, und dass bei der schwedischen Linken immer der Verdacht herrschte, der schwedische Sicherheitsapparat sei in dieser unrühmlichen Tradition "heimlich faschistisch", wäre es geradezu ein Wunder, wenn Spekulationen, die SÄPO betreffend, ausgeblieben wären.
Die autoritäre "wir wissen besser als Ihr, was für Euch gut ist" Mentalität, die die schwedischen Ermittlungsbehörden später im ebenfalls von Verschwörungstheorien überwucherten Fall "Estonia" an den Tag legten, hielten das latente Mißtrauen gegenüber der SÄPO wach. Allerdings gab es auch in der Stockholmer Stadtpolizei nachweislich Rechtsextremisten.
Die populärste - und meines Erachtens plausibelste - Theorie ist, dass hinter dem dem Palme-Mord der Geheimdienst des damals noch rassistischen Südafrikas stand. Sie setzt allerdings voraus, dass Attentäter Unterstützer bei der schwedischen Polizei hatten. (Es ist, die SÄPO und die Stadtpolizei betreffend, eine sog. passive Verschwörung. Sie waren nicht am Attentat beteiligt, sondern schaute "nur" weg.) Wenn es nicht doch, in einer Verkettung unwahrscheinlicher, aber sehr wohl möglicher, Zufälle, der Einzeltäter Pettersson war.

Wie in solche Fällen üblich sind die bizarrereren Verschwörungstheorien öffentlichkeitswirksamer. Etwa die aus dem Kriminalroman (!) "Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters" des Kriminalistikprofessors Leif G. W. Persson. Persson spekuliert darin, dass Olof Palme als Geheimagent für die USA arbeitete.
Die Trauerrede auf Palme hielt übrigens die spätere Außenministerin Anna Lindh. 2003 wurde sie ebenfalls ermordet. Anders als im Fall Palme konnte der Fall Lindh aufgeklärt werden. Dennoch ranken sich auch um dieses Attentat Verschwörungstheorien.
Nornirs Ætt Forum:Verschwörungen: Heidpark weiß bescheid

Donnerstag, 16. Februar 2006

Land unter ...

Heute vor 44 Jahren ereignete sich eine Naturkatastrophe, die das "kollektive Bewußtsein" in Norddeutschland und vor allem in Hamburg bis heute bestimmt: Wikipedia: Sturmflut 1962

In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 brachen an 50 Stellen die Deiche an der Unterelbe. Unter anderem wurde erwa ein drittel des Hamburger Stadtgebietes überflutet, darunter die dicht bewohnten und damals noch mit Notunterkünften für Flüchtlinge übervölkerten Stadteile Willhelmsburg und Georgswerder. 319 Menschen fanden den Tod. Erstaunlich wenig, wenn man die Umstände bedenkt.

Paralllelen z. B. zur durch die Hurrikan-Katastrophe in New Orleans letztes Jahr sind nicht zu übersehen: Hier wie dort wurde vor der Katastrophe die Deichsicherheit vernachlässigt. Hier wie dort war das Krisenmanagement (anfangs) chaotisch. Hier wie dort traf es vor allem die ärmsten Teile der Bevölkerung. Es gibt allerdings auch Unterschiede: Die Flut in New Orleans war weitaus schlimmer. Und - in Hamburg gab es einen Politiker, der bereit war, bestehende Gesetze glatt zu brechen und sich geradezu diktatorische Kompetenzen anzumaßen. obwohl er nur Innensenator von Hamburg war: der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Ohne seinen "Putsch" wäre weitaus mehr als 319 Menschen ertrunken, erfroren, an Erkräftung und Infektionskrankheiten verstorben.
"Sie begriffen die Katastrophe erst, als sie schon passiert war", so Schmidt über den Krisenstab. Anfangs hatte der Einsatzleiter den Senator nicht dabeihaben wollen. Als am Abend des 16. Februars Sturmflut-Alarm ausgelöst wurde, waren die meisten Dienststellen nicht mehr besetzt, die Bevölkerung wurde nicht informiert.
Schmidt forderte, unter Bruch des Grundgesetzes, das Einsätze der Bundeswehr im Inneren verbat, Bundeswehrsoldaten an. Außerdem bat er die in Deutschland stationierten allierten Truppen um Hilfe. Einzig der Bundestag wäre dazu berechtig gewesen. Selbst mit der Anforderung von Feuerwehren aus den Nachbarländern überschritt er seine Kompetenzen.
Aber: "Ich konnte mich nicht um Gesetze kümmern. Oder sollte ich warten, bis aus Bonn ein Fresspaket kommt?"

Schmidts glatter Verfassungsbruch wurde aber überwiegend positiv bewertet. Erst 1968, im Zuge der Einführung der umstrittenen Notstandgesetze, wurde dem Grundgesetz eine Klausel hinzugefügt, die den Inlandseinsatz der Streitkräfte im Katastrophenfall gestattete.
Schmidts Husarenritt konnte nur deshalb gelingen, weil er zuvor als Abgeordneter des Bundestages mit Verteidigungsangelegenheiten befasst war und die meisten Kommandierenden persönlich kannte. Er konnte sie so überzeugen, trotz fehlender Rechts- und Vorschriftenlage schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten. So kamen in Hamburg neben der Bundeswehr auch Soldaten aus den anderen NATO-Staaten zum Einsatz, vor allem Hubschrauber.

Auf die aktuelle politische Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren bei Großveranstaltungen wie der Fußball-WM bezogen, könnte die Lehre aus "Hamburg ´62" sein: Die beabsichtigte Verfassungsänderung ist überflüssig. Für den "Normalfall", der Straßenschlachten randalierende Fans ausdrücklich einschließt, reichen die Polizeikräfte aus. Ein Katastrophenfall, einschließlich eines terroristischen Anschlags, ist eben ein Katastrophenfall, dann braucht man mutige Politiker, die bereit sind, das Notwendige zu tun und für die Konsequenzen ihres Handels ihren Hut zu nehmen. Denn es geht bei der Diskussion gar nicht um den viel beschworenen Ausnahmefall.

Samstag, 28. Januar 2006

Vor 20 Jahren: Space Shuttle CHALLENGER explodiert

Heute vor 20 Jahren, am 28. Januar 1986, explodierte 73 Sekunden nach dem Start die CHALLENGER, OV-099, (Mission STS-51-l). Sieben Astronauten - Richard Scobee, Michael Smith, Judith Resnik, Ellison Onizuka, Ronald McNair, Gregory Jarvis und Christa McAuliffe - kamen ums Leben.

Die Unfallursache waren poröse Dichtungen am rechten Feststoffbooster. Die NASA war offensichtlich von ihrem Grundsatz "safety first" abgewichen, denn man hatte eine Reihe von Sicherheitsvorschriften missachtet. Eigentlich hätte die CHALLENGER an diesem Januartag gar nicht starten dürfen, denn am Morgen hatte Frost in Cape Canaveral geherrscht. Aufgrund der Kälte versprödeten die Dichtungen. Durch die plötzlich durch die Triebwerkszündung einsetzende Erwärmung wurde eine der Dichtungen undicht. Durch das Leck schlugen Flammen auf den Haupttank über, der mit flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff gefüllt war. Der Tank fing Feuer und explodierte, Trümmer des Space Shuttles verteilten sich weit über die Bucht. NASA-Taucher sammeln noch monatelang Teile der CHALLENGER aus dem Wasser. Erst im März 1986 konnte auch das Cockpit mit den sterblichen Überresten der Insassen geborgen werden.

Weitere Informationen über die CHALLENGER -> Challenger (OV-099)- Neun erfolgreiche Flüge und ein Totalverlust.

Der CHALLENGER-Unfall war weder die erste noch die größte Katastrophe in der Geschichte der Raumfahrt -> wikipedia: Katastrophen der Raumfahrt.
Dennoch zog sie eine öffentliche Diskussion nach sich, die ungleich tiefgreifender und erbitterter war, als beispielsweise nach dem Absturz des Space Shuttles COLUMBIA am 1. Februar 2003, als ebenfalls sieben Astronauten umkamen. ->Trauer um die Columbia Zwar gab es auch 2003 eine Grundsatzdiskussion zur Raumfahrtpolitik, aber im Gegensatz zu 1986 zog jedoch kaum jemand den Sinn bemannter Raumflüge ernsthaft in Zweifel, geschweige denn den Sinn der Raumfahrt an sich.

Wieso gab es nach dem CHALLENGER-Unglück derartige heftigen, zum Teil hysterische, Debatten?
Einer der Gründe war sicherlich, dass der Space Shuttle in der ersten Hälfte der 1980er Jahre schlechthin DAS „High Tech“-Symbol war. An die Raumtransporter knüpften sich viele, aus heutiger Sicht naive, Hoffnungen auf eine „Industrialisierung des Weltraums“. Auch in der Bundesrepublik Deutschland knüpften sich mancherlei Hoffnungen an das Space-Shuttle-Programm, und das in der BRD gebaute Raumlabor Spacelab. Nicht zuletzt schlug die damalige Bundesregierung politisches Kapital aus den Raumfahrerfolgen, zu denen die erste von Deutschland aus geleiteten Space-Shuttle / Spacelab Mission 1985 gehörte. (Allerdings erreichte die offizielle Raumfahrtbegeisterung in der BRD niemals auch nur annähernd das Niveau der Siggi Jähn Hysterie in der DDR nach dem ersten Raumflug eines deutschen Kosmonauten.)
Der CHALLENGER-Absturz war ein Absturz auf trügerischen technischen Erwartungen und wirkte deshalb wie ein lähmender Schock.

Es gab aber auch speziell in (West-)Deutschland noch weitere Gründe, weshalb auf „CHALLENGER“ erbitterte Grundsatzdiskussionen folgten.
Die Friedensbewegung war 1986 noch eine Massenbewegung, zu den Ostermärschen 1986 kamen buchstäblich hunderttausende Demonstranten. Die lange öffentliche Auseinandersetzung über den NATO-„Nachrüstungs“-Beschluss war noch nicht abgeschlossen, die Stationierung einer neuen Generation atomwaffenfähiger Mittelstreckenraketen und ebenfalls atomwaffenfähiger Marschflugkörper auf deutschen Boden war voll im Gange. Zugleich lief das von US-Präsidenten Ronald Reagan angeregte , milliardenschwere (und wenig später „gefloppte“) Programm einer weltraum-gestützten Raketenabwehr (SDI) an.
In der Folge dachte nicht wenige „Friedensbewegte“ beim Stichwort „Raumfahrt“ ausschließlich an „militärische Raumfahrt“, wobei sie in erster Linie nicht an Spionage- und Kommunikationssatelliten, sondern an Strahlenwaffen und im Orbit stationierte Atombomben dachten. Ich erinnere mich lebhaft an eine Diskussion, die ich am Rande einer der zahlreichen Friedens-Demos dieser Zeit an einem Info-Stand führte. Sie begann damit, dass die den Stand betreuende Frau sich ausgesprochen erfreut über das CHALLENGER-Unglück zeigte, weil damit die Weltraum-Kriegspläne der Amis wenigstens etwas verzögert würden. Meinen Einwand, er gäbe doch auch eine zivile Raumfahrt, wischte sie als „hoffnungslos naiv“ vom Tisch: das sein alles Augenwischerei und Propaganda, so etwas wie nichtkriegerische Raumfahrt gäbe es nicht, selbst die von mir vorsichtig erwähnten Wettersatelliten dienten fast ausschließlich der Kriegvorbereitung, dafür hätte sie Beweise.

Etwa zeitgleich gab es in der Umweltschutz-Bewegung und vor allem innerhalb der Partei der GRÜNEN eine Debatte um „Risikotechnologie“: ab einem bestimmten Grad an Kompexität und Kompliziertheit sei jede Technologie praktisch unbeherrschbar. CHALLENGER bot sich als „Paradebeispiel“ geradezu an.

Nur drei Monate später „überstrahlte“ allerdings der Reaktorunfall von Tschernobyl buchstäblich die Explosion der Raumfähre.

Montag, 9. Januar 2006

Wohl doch kein Kelten-Komet

Am Sonntag, dem 8. Januar 2006 zeigte das ZDF eine Terra X-Sendung: Der Chiemgau-Komet -
Stunde Null im Keltenreich


Gelungenes Infotainment, allerdings wurde m. E. der Außenseitercharakter der "Kometensturz"-Hypothese zu wenig herausgestellt.

Sehr kritisch berichtete das "Hamburger Abendblatt" über diese Hypothese:
Der Komet aus dem Nichts
Begonnen hatte der Streit um den außerirdischen Brocken vor fünf Jahren, als die Hobbyarchäologen in einem Waldgebiet bei Burghausen winzige Metallkugeln im Boden fanden. Darin waren seltene Mineralien wie Xifengit und Gupeiit, die 1984 auch in einem Meteoriten in China nachgewiesen wurden. Prof. Ernstson von "Impact Team" ist überzeugt, daß es sich dabei um präsolares, also nicht irdisches, Gestein handelt. "Eine Sensation", jubelt "Terra X", "versuchte doch bisher selbst die Nasa vergeblich, im All präsolares Material zu gewinnen."

Angeblich veränderte das Gestein des bayerischen Kometen die antike Welt, da die Kelten extra harte Schwerter aus dem Metall schmiedeten und an die Römer verkauften. Dadurch hätten die Römer ihr Weltreich mit Waffengewalt begründen können. Der Komet als Lieferant für Waffenschmiede? "Ein Komet besteht nicht aus Gestein, sondern aus gefrorenem Wasser, Methan und Staub", sagt Faßbinder.

Die Wissenschaftler haben inzwischen durch Blei-Isotopenanalysen nachgewiesen, daß es sich bei den Gesteinsfunden keineswegs um präsolare Metallkugeln handelt. "Die Gesteine sind das Produkt natürlicher Verwitterungsvorgänge und finden sich an vielen Orten im Alpenvorland", sagt Dr. Erwin Geiss vom Bayerischen Landesamt für Umwelt.
Mir fiel außerdem unangenehm auf, dass der Umbruch von der Hallstatt-Kultur zur La Téne-Kultur um 450 v. u. Z. nur mittels zahlreicher Zusatzannahmen durch einen Kometeneinschlag "erklärt" werden könnte.

Samstag, 7. Januar 2006

Kerben in Wikingerzähnen

Die schwedische Archäologin Caroline Arcini fand bei
Untersuchungen an mehr als 500 Skeletten von vier schwedischen Wikingerfriedhöfen rätselhafte Einkerbungen auf den Zähnen.

Zehn Prozent der Männerskelette wiesen diese tiefen, meist horizontale Einkerbungen der oberen Schneidezähne auf. Die Einkerbungen an den Zähnen der 24 Männerskelette bestanden häufig aus doppelten oder gar dreifachen horizontalen Linien. Frauenskelette mit derartigen Veränderungen fanden sich hingegen nicht. Die Einkerbungen sind mit großer Fingerfertigkeit tief in den Zahnschmelz eingefeilt worden, berichtet Arcini.
Die genaue Bedeutung der Kerben ist allerdings noch nicht bekannt.

Arcini schließt nicht aus, dass die Einkerbungen ein Zeichen der Fähigkeit sein könnten, Schmerzen zu ertragen. Sie stellt die Hypothese auf, dass die Wikinger durch Einkerbungen ihrer vorderen Schneidezähne ihre Zugehörigkeit zu einer Gilde oder einem militärischen Rang angezeigt hätten.

Artikel ->Kauen mit Kerben
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