Montag, 16. Mai 2011

Immer noch der "Sozialismus der dummen Kerle"

Die Ruhrbarone stießen mit ihrem Bericht über ein antisemitisches Flugblatt auf einem Server der Duisburger Linkspartei eine, meiner Ansicht nach lange überfällige Diskussion an: "Linkssein" - also eine politische Haltung, die an und für sich Nationalismus oder gar Faschismus strikt entgegengesetzt sein sollte - schützt nicht vor Antisemitismus.
Vor kurzem folgte bei den Ruhrbaronen ein interessanter Debattenbeitrag: LAL Shalom: Antisemitismus, Antiamerikanismus und die LinkeDer Landesarbeitskreis Shalom der Linksjugend sagt darin:
Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiver Antikapitalismus sind keine Alleinstellungsmerkmale einer bestimmten politischen Richtung, sondern in der gesamten Gesellschaft verbreitete Geisteskrankheiten, deren Symptome zwar vielfältig sind und sich immer auch, man verzeihe uns die blöde Phrase, “ein Stück weit” nach dem Weltbild der befallenen Person richten, jedoch immer die gleiche Wahnvorstellung vermitteln: ein Unvolk parasitärer, global agierender Wesenheiten, das für sich die Weltherrschaft beanspruche und unschuldige Völker ihres Blutes, ihres Bodens und ihrer Reichtümer beraube.
Die Bezeichnung "Geisteskrankheit" für die aufgezählten Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist grundfalsch, denn erstens kann ein psychisch Kranker für seine Krankheit nichts - Antisemiten usw. hingegen sind für ihre Ansichten selbst verantwortlich - und zweitens ist ein Begriff wie "Geisteskranker" für Antisemiten z. B. den "Heuschrecken" für eine bestimmte Form von Kapitalisten unangenehm nahe: es ist eine Metapher individueller Pathologie, die dazu verführen könnte, die Analyse des gesellschaftlichen Missstandes aus den Augen zu verlieren.

Abgesehen davon halte ich es für sehr wichtig, dass der LAK Shalom
in klaren Worten darstellt, was Begriffserklärung: Regressiver Antikapitalismus aus ausdrücklich sozialistischem Blickwinkel.

Die LAK Shalom spricht eine offenkundige, aber auch offenkundig wahre, Erkenntnis aus, die allerdings, nicht nur von "Linken" sehr ungern ausgesprochen wird:
Das größte Problem der Linken also, wie schon angedeutet, ist ihr manichäisches Weltbild. Gut und Böse sind klar definiert, und da alles, was das Gute tut, gut sein muss und alles, was das Böse tut, böse, kann vom Guten nichts Böses und vom Bösen nichts Gutes ausgehen.
Der Ausdruck"der Linken" lässt sich mühelos gegen die andere Überzeugungen z. B. "der Konservativen", "der Umweltschützer", "der Marktwirtschaftler", "der Vertreter westlicher Werte" usw. und vor allem, und da kommt der Manichäismus her, "der Christen" - aber auch "der Heiden" - austauschen.

Natürlich liefert die LAK Shalom keine tiefgreifende Analyse des Antisemitismus und verwandter Phänomene, was von einem Arbeitskreis einen Jugendorganisation einer Partei auch nicht zu viel erwartet wäre.

Das weit verbreitete manichäistische Denken zieht allerdings Beifall von der falschen Seite nach sich, der dann auch schon in den Kommentaren auftaucht. Wer die "Linken", in der es uneingestandenen Antisemitismus gibt (den gibt es übrigens in allen deutschen Parteien), z. B. mit der NPD gleichsetzt, für die Antisemitismus und regressive Kapitalismuskritik unverzichtbare weltanschauliche Grundlagen sind, hat gar nichts begriffen.
Auch rationale Kapitalismuskritik wird gern unter Antisemitismusverdacht gestellt, was meiner Ansicht nach nicht immer rein taktische Gründe, im Sinne einer "Antisemitismuskeule" hat. Manichäistisches Denken macht es eben einfach, der Gegenseite Schuld zuzuweisen, und sich selbst nicht für die eigenen Fehler und auch die eigene Mittelmäßigkeit verantwortlich zu fühlen. Deshalb ist es ja auch so beliebt.

Samstag, 14. Mai 2011

Die frühen Jahre der bemannten Raumfahrt: Erfolgsrezept R7

50 Jahre bemannte Raumfahrt sind auch 50 Jahre Mentalitätsgeschichte.

Teilt man die 50 Jahre seit den ersten bemannten Raumflügen in zwei Epochen, dann fand das "Abenteuer Raumfahrt" fast ausschließlich in den ersten 25 Jahren statt.
Allerdings hätte man das 1986 wohl nicht so gesehen. Vor fünf Jahren schrieb ich in diesem Blog über den Unfall des Space Shuttle "Challenger". Darin erwähnte ich, dass der Unfall der "Challenger" eine öffentliche Diskussion über den Sinn der bemannten Raumfahrt nach sich zog, die ungleich tiefgreifender und erbitterter war, als die nach dem Absturz des Space Shuttles "Columbia" am 1. Februar 2003, als ebenfalls sieben Astronauten umkamen. Den Hauptgrund vermutete ich darin, dass 1986 die Space Shuttles noch "High Tech"-Symbole waren. 2003 war das nicht mehr der Fall, sie waren nur noch "Arbeitspferde", ihr Einsatz Routine, ein Totalverlust war kein nationales und internationales Schockereignis mehr. Dass "Tschernobyl" und "9-11" zwischen "Challenger" und "Columbia" lagen, trug sicher auch dazu bei, dass Raumfährenunglücke keine Mentekel-Funktion mehr hatten. Ein weiterer Faktor: der in den 1980ern befürchtete "Krieg im All" und die erbitterte Systemkonkurrenz im "Kalten Krieg" war nach 1989 kein brisantes Thema mehr.
Beide Unfälle zeigen, dass auch "Routine-Raumfahrt" gefährlich ist. Dass man in der Tat von Routine in der bemannten Raumfahrt sprechen kann, wird vielleicht am Besten daran deutlich, dass seit dem 31. Oktober 2000 7:52:47 UTC sich immer Menschen im Orbit befanden, und die vorangegangene "Epoche" ohne Menschen im All gerade einmal die sechs Tage zwischen der Landung von STS-92 und dem Start von Sojus-TM-31 dauerte.

Aus heutige Sicht wurde in den Anfangsjahren der Raumfahrt ungeheuer viel riskiert. Juri Gagarin hatte nur eine 50 zu 50 Chance, seinen Raumflug zu überleben. Die US-Amerikaner waren etwas "vorsichtiger".
Bis Mitte der 1960er Jahre hatte die UdSSR mit ihren Wostok-Raumschiffen gegenüber dem US-amerikanischen Mercury-Programm die Nase weit vorn.
Der UdSSR gelangen folgende Erstleistungen:
  • der erste bemannte Raumflug: Wostok 1 (April 1961)
  • der erste Gruppenflug: Wostok 3 und Wostok 4 (August 1962) Die Bahnen waren sorgfältig so berechnet worden, dass sich die beiden Raumschiffe bis auf 6 km näherten. Die Annäherung erfolgte nicht durch aktive Steuerung der Raumschiffe, das schafften zuerst die US-amerikanischen Raumschiffe Gemini 7 und Gemini 6 (Dezember 1965)
  • die erste Frau im All, Walentina Tereschkowa, Wostok 6 (Juni 1963)
  • das erste mehrsitzige Raumschiff: Woschod 1 (Oktober 1964)
  • der erste Ausstieg in den Weltraum: Woschod 2 (März 1965)
Außerdem dauerte der längste sowjetische Wostok-Raumflug 4 Tage, 23 Stunden und 8 Minuten (Waleri Bykowski mit Wostok 5), Der längste Flug eines Mercury-Raumfahrzeugs, Gordon Cooper mit Mercury-Atlas 9 "Faith 7" dauerte gerade einmal 1 Tag, 10 Stunden und 19 Minuten, und beanspruchte die Reserven des Raumfahrzeugs bis aufs Äußerste.

Es ist heute bekannt, dass das Wostok-Raumschiff beim Flug Juri Gagarins technisch noch nicht voll ausgereift war, wofür der Ausstieg des Kosmonauten per Schleudersitz vor der eigentlichen Landung nur das auffälligste Zeichen war. Der Hochleistungsfallschirm und das Bremsraketensystem, die bei späteren sowjetischen Raumflügen eine Landung auf festen Land möglich machten, kamen erst 1964, bei Woschod 1 zum Einsatz.
Woschod 1, bei dem sich drei Kosmonauten regelrecht in eine Kapsel hineinquetschten, die genau so groß war wie die vorher eingesetzten einsitzigen Wostok-Kapseln, gilt als "Stuntflug", der allein deshalb durchgeführt wurde, um den US mit ihrem zweisitzigen Gemini-Raumschiff zuvor zu kommen. Dass die Woschod nur eine modifizierte Wostok war, blieb der Öffentlichkeit erst einmal verborgen, genau so, wie die vielbeachtete Tatsache, dass die Kosmonauten keine Raumanzüge trugen, nicht der behaupteten "großen Zuverlässigkeit" des Raumfahrzeugs, sondern der Enge der Kabine geschuldet war.
Die zweisitzige Woschod 2 war kein reiner Propagandaflug, mit dem ersten Außenbordeinsatz wurden wertvolle Erfahrungen für spätere Flüge gesammelt - allerdings Erfahrungen, die Alexei Leonow fast das Leben gekostet hätten, da sich sein Raumanzug so stark aufgebläht hatte, dass er große Schwierigkeiten mit dem Wiedereinsteigen in die Luftschleuse hatte. Da die Kapsel undicht war, musste der Flug vorzeitig abgebrochen werden, Woschod 2 landete etwa 2000 Kilometer vom vorgesehenen Landeplatz entfernt im Ural, und zwar in einem tief verschneiten, dichten und völlig unzugänglichen Wald. Die Bergung der Kosmonauten dauerte doppelt so lange wie der Flug. Der nächste bemannte Raumflug der UdSSR, Sojus 1, endete mit einer Katastrophe: Wladimir Komarow starb, als seine Rückkehrkapsel nach einem an Pannen reichen Flug hart auf dem Boden aufschlug, da der Hauptfallschirm sich nicht richtig geöffnet hatte.

In den US gab es von Anfang an Stimmen (darunter auch von aktiven Astronauten), die meinten, die USA wären, im Vergleich zu den UdSSR, bei ihren ersten Raumflügen viel zu vorsichtig gewesen, und hätten so Ersterfolge "verschenkt".
Die erste unbemannte erfolgreiche Erdumkreisung eines Mercury-Raumfahrzeugs, Mercury Atlas 4, fand aber erst am 13. September 1961 statt - noch so große Tollkühnheit hätte nichts daran ändern können, dass der ersten Mensch, der die Erde in einem Raumschiff umkreiste, ein Sowjetbürger gewesen wäre.
Ein Dauerrekord, der die fast fünf Tage von Wostok 5 überboten hätte, war mit Mercury nicht möglich - mit vielen Modifikationen wären maximal drei Tage Flugzeit möglich gewesen.
Die Erstleistung "erste Frau im All" hat die NASA wohl tatsächlich "verschenkt". Es gab schon eine Auswahl von 13 geeigneten Astronauten-Anwärterinnen: die Mercury 13. Die NASA bestand aber darauf, dass Astronauten Erfahrungen als Testpiloten haben mussten, und damals gab es praktisch keinen weiblichen Testpiloten.
Doppelflüge waren erst bei "Gemini" geplant, da der logistische Aufwand für zwei Raumfahrzeuge im All, die sich nicht aktiv annähern konnten, den Aufwand nicht Wert erschienen. Tatsächlich waren die beiden Doppelflüge der UdSSR eher von propagandistischem Wert, beide "Weltraummächte" hatten längst bewiesen, dass sie Satelliten in die dafür nötigen präzisen Bahnen bringen konnten.

Bleibt also noch der "erste Mensch im All" - und das scheint mir tatsächlich der einzige Fall gewesen zu sein, wo die USA die Nase hätte vorn haben können, hätte die NASA mehr riskiert. Beim suborbitalen Flug Mercury-Redstone 2 am 31. Januar 1961 war ein Schimpanse an Bord, der den 16 Minuten 39 Sekunden kurzen "Raumsprung" überlebte. Allerdings verlief der Flug alles andere als glatt, das Risiko wäre vielleicht mit dem Gagarins vergleichbar gewesen. Hinzu kommt als Begründung, weshalb Mercury-Redstone 2 besser bemannt geflogen wäre, dass die "Affenflüge" nach Ansicht der Astronauten ihre Leistung in den Augen der Öffentlichkeit abqualifizierten, nach dem Motto: "eine Mercury fliegen kann doch jeder Affe".

Der tatsächlich Grund, wieso die UdSSR bis Mitte der 1960er Jahre "im All die Nase vorn" hatte, war nicht in erster Linie die größere Risikobereitschaft, sondern die R7 - genannt "Semjorka". Über diese vielleicht wichtigste Rakete der Raumfahrtgeschichte, die in modernisierter Form noch heute als Grundstufe der Sojus-Trägerrakete dient, schrieb Eugen Reichl einen hervorragenden Beitrag in seinem Astras Spacelog: Die Semjorka - Juri Gagaris Trägerrakete Teil 1 - Teil 2.
Semyorka Rocket R7 by Sergei Korolyov in VDNH Ostankino RAF0540
Eine "Semjorka" R7 mit Wostok-Oberstufe
(Foto: Sergei Arssenev - CC Attribution-ShareAlike 3.0 Unported)

Die R7 war die erste Interkontinentalrakete, ihr Zweck war es, abgefeuert vom Territorium der UdSSR eine Wasserstoffbombe von 5,5 Tonnen Masse zu Zielen in den USA zu bringen. Da damals die USA eine erdrückende Überlegenheit bei der Anzahl schwerer Bomber hatte, und es angesichts der ebenfalls starken Luftabwehr der NATO ungewiss war, dass sowjetische Bomber die USA mit ihren tödlichen Fracht erreichen könnten, waren schwere Raketen aus Sicht der damaligen UdSSR-Führung der einzige Weg, die USA von einem atomaren Erstschlag gegen ihr Land oder eine von sowjetische Generälen bis zum Ende der UdSSR befürchtete Invasion der NATO-Truppen abzuschrecken.

Allerdings war die R7 eine militärisch kaum brauchbare Rakete. Bis die UdSSR tatsächlich eine jederzeit einsatzfähige, aus Silos abgefeuerte Interkontinentalrakete hatte, schrieb man 1963. Etwa gleichzeitig waren die USA so weit - das "Gleichgewicht des Schreckens" - "wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter, und zwar totsicher" war geschaffen und die Menschheit in kollektive Geiselhaft genommen.

Das US-Gegenstück zur R7 war die Atlas, die 1959 einsatzbereit war. Da die USA eine relativ leichte Wasserstoffbombe entwickelt hatten, waren die Anforderungen an die Atlas deutlich geringer als an die R7.
Der "Sputnik-Schock" im Jahr 1957 rührte nicht zuletzt daher, dass die UdSSR ihre Interkontinentalrakete eher als die USA einsatzbereit hatte, und diese offensichtlich auch noch erheblich stärker als die Atlas war.
Eines hatte die Atlas aber mit der R7 gemeinsam: sie war eine lausige Waffe und eine großartige Trägerrakete. Eine Weiterentwicklung der Atlas, die Atlas V, ist heute noch im Dienst - ein interessantes Detail: die Atlas V ist mit einem russischen RD-180 Triebwerk ausgestattet. Während aber die Atlas V kaum mehr etwas mit der originalen Atlas gemeinsam hat, entsprechen die Zentralstufe der 1. Stufe und die vier seitlichen Booster der heutigen Sojus-Trägerraketen von der Konstruktion her noch der alten R7 - im Detail verfeinert und verbessert, aber immer noch unverkennbar Koroljows Konstruktion aus den 50er Jahren. Die Vorteile dieser "Oldtimer-Rakete": sie ist preisgünstig in der Fertigung, verwendet relativ preisgünstige Treibstoffe (Kerosin und Flüssigsauerstoff), kann, je nach geforderter Nutzlast, mit den unterschiedlichsten Oberstufen geflogen werden und ist sehr zuverlässig.

Zurück zur den Anfangsjahren der bemannten Raumfahrt. Die R7 mit der Wostok-Oberstufe konnte eine Nutzlast von ca. 4700 kg in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen. Die Atlas D, in der im für die Mercury-Raumflüge verwendeten Konfiguration, schaffte lediglich eine Nutzlast von ca. 1400 kg für die niedrige Erdumlaufbahn.

Die kegelförmige Mercury-Kapsel hatte eine Gesamthöhe (mit Bremstriebwerkteil) von 3,51 m, einen Durchmesser von 1,89 mm, der Innenraum hatte ein Volumen von 1,7 m³. Im Orbit hatte sie eine Masse von 1,3 t. Die Mercury-Raumkapsel war so eng, dass die Astronauten witzelten, man flöge nicht in ihr, sondern zöge sie an.

Die Wostok war dagegen beinahe "groß" zu nennen - jedenfalls von außen. Sie bestand der kugelförmigen Landekapsel (Durchmesser: 2,3 m, Kabinenvolumen: 1,6 m³, Masse: 2,46 t) und dem doppelkegeligen Geräteteil (Durchmesser: 2,43 m, Länge: 2,25 m, Masse: 2,27 t), welcher im wesentlichen das Bremstriebwerk samt Treibstoffen beinhaltete.

Obwohl die Wostok-Kapsel erheblich größer war, war ihr Innenraum also etwas kleiner als der der Mercury-Kapsel! Das lag vor allem am in die Wostok eingebauten voluminösen Schleudersitz, und dem Umstand, dass bei einer kugelförmigen Wiedereintrittskapsel die ganze Oberfläche mit einem bis zu 13 cm starken Hitzeschild umgeben werden muss - die Mercury-Kapsel hatte nur an der stumpfen Seiten einen Hitzeschild. Außerdem konnte nur etwa die Hälfte des Innenvolumens der Wostok-Kapsel für die Kabine ausgenutzt werden - was in dieser Graphik der Wostok gut zu erkennen ist.
Allerdings waren die Instrumente und das Lebenserhaltungssystem in der Mercury sozusagen um den Astronauten herum eingebaut, weshalb die Wostok doch weniger beengt war als die US-Kapsel. (Die Woschod muss, obwohl der Schleudersitz fehlte, unglaublich eng gewesen sein!)
Entscheidend war aber, dass die Wostok sehr viel mehr Vorräte aufnehmen konnte, und daher eine größere Ausdauer hatte: sie konnte zehn Tage im Orbit bleiben, die Mercury gerade einmal zwei!
Man kann die Wostok als "genial-einfach" bezeichnen, tatsächlich war sie im Vergleich zur Mercury (und erst recht zu ihrem Nachfolger, der tatsächlich genial konstruierten Sojus) eher "primitiv" zu nennen.
Ihre größere Leistungsfähigkeit gegenüber der Mercury verdankte sie dem erheblich höheren Gewicht, was sie wiederum der der leistungsfähigen R7 verdankt.

Das Erfolgsrezept der bemannten Raumfahrt der UdSSR und Russlands ist bis heute Koroljows Rakete!

Mehr über die ersten Raumschiffe (eher wohl: Raumboote) in Michael Khans Artikel mit dem bezeichnenden Titel Klaustrophobie gefällig? Die ersten Raumschiffe

Donnerstag, 12. Mai 2011

Wovor haben die dänischen Rechtspopulisten Angst?

Zumindest im Norden Deutschlands sorgte diese Nachricht für Verwunderung, in der deutsch-dänischen Grenzregion sogar für Entsetzen: Dänemark will Grenzen wieder kontrollieren (FAZ.net). Worauf die dänische Regierung mit Beschwichtigung reagiert: Dänemark spricht von "viel Lärm um nichts" (Stern.de).

In das freundliche Dänen-Bild vieler Deutscher (auch meinem - ich bin bestimmt nicht frei von starken positiven Vorurteile gegenüber dem nördlichen Nachbarland) will so eine harte Maßnahme nicht so recht passen.
Verglichen mit Deutschland geht die dänische Meinungsfreiheit ziemlich weit - Verbote "verfassungsfeindlicher Symbole" oder "Volksverhetzung" als Offizialdelikt gibt es dort nicht. Gerade Touristen fällt die "dänische Lockerheit" auf, "die Dänen" wirken gelassen, tolerant, pragmatisch und "hyggelig" (gemütlich, freundlich).
Es gibt auch kleine, aber entscheidende Mentalitätsunterschiede, die dazu führen, dass Deutsche die "Nordländer" in einem vielleicht manchmal zu freundlichem Licht sehen. Meine schwedischen Bekannten erwähnen gerne, dass es bei ihnen, anders als in Deutschland, nicht üblich ist, sich bei Streitereien mit hochrotem Kopf anzupöbeln. Das mag zum Teil ein schwedisches Vorurteil sein, und ich erlebe Dänen in der Regel als weniger reserviert und distanziert als die Schweden, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon darin: die "nordische" Streitkultur ist zurückhaltender, was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass sehr wohl Streitereien gibt.
Außerdem ist die "Stichprobe" der Dänen, die einem deutschen Touristen über den Weg laufen, verzerrt: in den Touristengegenden an der Küste ist man verständlicherweise über möglichst viele deutsche Urlauber froh. Einige Kilometer landein ist die Interessenlage schon ganz anders: von "den Deutschen" hat man dort nichts, außer Ärger darüber, dass die Touristen aus dem Süden die Straßen überlasten, sich an Stränden und andere Ausflugszielen unerträglich breit machen, keine Rücksicht nähmen usw. usw. . In einigen Gegenden Jütlands sind außerdem die "billigen Arbeitskräfte" aus dem (im Vergleich) Niedriglohnland Deutschland gefürchtet.
"Die Deutschen" sind aber bestimmt nicht die Ausländer, die in Dänemark am meisten unter Vorurteilen und Vorbehalten zu leiden haben. Wie bei uns trifft es "fremdartig" aussehende Menschen und Einwanderer und Besucher aus islamisch geprägten Kulturkreisen am härtesten. Meines Erachtens gibt es in Dänemark zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger, "Fremdenfeindlichkeit", Rassismus und Minderheitenhass als in Deutschland.

Was bringt "die Dänen" zu so einer Entscheidung? Der dänische Finanzminister Claus Hjort Frederiksen sagt, Ziel der neuen Kontrollen sei es, "die zunehmende grenzüberschreitende Kriminalität" zu bekämpfen. Justizminister Lars Barfoed sagte, es ginge vor allem um Einreisende aus Osteuropa. Es sind Begründungen, die in deutschen Ohren sattsam bekannt klingen.

Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen ist Teil einer politischen Vereinbarung (man kann auch sagen: eines hochpolitischen Kuhhandels) zwischen der aus Venstre (Liberalen) und Konservativen gebildeten Minderheitsregierung und der als "rechtpopulistisch" geltenden Dansk Folkeparti. Die DF hatte ihre Zustimmung zu einer Rentenreform von den Grenzkontrollen abhängig gemacht. In der Vereinbarung wird eine permanente Präsenz von Beamten an der Grenze zu Deutschland festgelegt. Immerhin ist die DF drittstärkste Partei im Folketing, dem dänischen Parlament.

"Rechtspopulistisch" ist ein schillernder und unscharfer Begriff, In Deutschland würde sich eine Partei wie die DF vielleicht "Nationalkonservativ" nennen. Mit aller Vorsicht, die bei solchen Vergleichen angebracht ist, erinnert mich die "Dansk Folkeparti" stark an den rechten Flügel der CSU oder den "harten schwarzen Kern" der hessischen CDU, was die betonte Nähe zum Christentum, allerdings auch das im Vergleich zu "Neokonservativen" und "Neoliberalen" sozialere Profil und, eher äußerlich, die Vorliebe für Tradition und für das Folkloristische angeht. Eher an die "Pro"-Parteien erinnert hingegen die scharfe Islamfeindlichkeit, außerdem ist die DF europafeindlich.
Die Dansk Folkeparti tritt, wie für "rechte" Parteien üblich, für strenge Ausländergesetze ein, und wegen ihrer Funktion als unentbehrliche und manchmal betont wankelmütige Mehrheitsbeschafferin erreichte sie es, dass die Ausländergesetzgebung in Dänemark massiv verschärft wurde.

Die DF machte 2005 den "drohenden" EU-Beitritt der Türkei erfolgreich zum Wahlkampfthema und schlug dabei schrill anti-islamische Töne an. Vor der Folketingswahl 2007 wurden die nationalistischen und anti-islamischen Züge der DF noch deutlicher,
sie setzte sich für offen diskriminierende Gesetze und Regelungen ein: Unter anderem forderte sie, dass das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Raum verboten werden sollte (ungeachtet der Tatsachen, dass Kopftücher in manchen Gegenden Dänemarks zur traditionellen Tracht gehören, und die DF sich sonst gern mit dem Hochhalten von Tradition und Folklore schmückt). Gebetsräume für muslimische Mitarbeiter in dänischen Firmen und Halal-Fleisch in Kindergärten sollten, ginge es nach den Wahlkampfaussagen der DF, auch abgeschafft bzw. gesetzlich verboten werden.
Offensichtlich kamen die schrillen Töne beim Wähler an, und ebenso offensichtlich ist, dass sich die Danske Folkeparti im beginnenden Wahlkampf für die Folketingwahlen im Herbst zu profilieren versucht.

Die DF selbst sieht sich als "Partei des Zentrums", was eine Parallele mit der Selbsteinschätzung der CSU als "Partei der Mitte" ist. (Auch die "Pro"-Parteien und die österreichische FPÖ sehen sich, wenn man Parteifunktionäre fragt, in der politischen Mitte.) Was soziologisch gesehen gar nicht so falsch ist: solche Partei finden ihre Anhänger nicht unter gesellschaftlichen Außenseitern oder unter "abgehängten Modernisierungsverlierern", wie es manchmal heißt, sondern unter sich etabliert fühlenden Menschen, von der unteren Mittelschicht an aufwärts.

Offensichtlich ist, dass die Danske Folkeparti weit verbreitete Ängste bedient und fördert. Die meisten dieser Ängste gibt es auch bei uns, und es gab sogar einmal eine deutsche Partei, die (Hamburger) PRO alias "Schill-Partei, die sich neben der CSU stark am Vorbild der Dansk Folkeparti aus dem nicht allzu weit entfernten Dänemark orientierte.
Der DF in die Hände spielt, dass es seit Jahren ziemlich widerliche Pressekampagnen gegen die "rückständigen" Moslems gibt. (Wobei die weltweit Wellen schlagende "Mohammed-Karrikaturen"-Aktion der Jyllands-Posten bei weitem nicht die schlimmste Aktion war. Ich gestehe ihr sogar zu, "gut gemeint" (oft das Gegenteil von "gut gemacht") gewesen zu sein.)
Ähnliche Kampagnen gab es aber auch in Deutschland, und zwar nicht nur in der BILD, sondern auch z. B. im "Spiegel".

Die Wähler der DF sorgen sich, wie sehr viele Dänen (und auch sehr viele Deutsche) um die Zukunft ihres Sozialstaates. Wie auch in Deutschland führt das zur (von Medien und Politikern bis weit in die "Mitte" geförderten) Angst vor "ungezügelter Zuwanderung in die Sozialsysteme und die Kriminalität".
Eine weitere Angst, die es auch in Deutschland gibt, ist die Angst vor dem "europäischen Superstaat" und der Verlust der nationalen Souveränität - die angesichts erheblicher Demokratie-Defizite auf EU-Ebene meiner Ansicht teilweise nachvollziehbar sind.
Zuwanderern wird oft nicht zugetraut, dass sie das dänische Wertesytem übernehmen und sich den sozialen Normen anpassen könnten. Dieses kulturelle Vorurteil gilt manchmal schon für Deutsche, mitunter sogar für Schweden. Erst recht gilt es für Einwanderer aus außereuropäischen Ländern, vor allem Moslems.

Es gibt aber auch Unterschiede zu deutschen "Rechtpopulisten". Die Hochburgen der Danske Folkeparti liegen im ländlichen Raum, vor allem im ländlichen Jütland. Hier spielt die bereits erwähnte "Jyllands-Posten" eine große Rolle: Das Blatt stellt sich vor allem gegen die traditionell tolerante Haltung "Kopenhagens" in gesellschaftspolitischen Fragen.
Aus der Sicht mancher Leserbrief- und Forenschreiber in der Online-Kommunity der JP ist die dänische Hauptstadt eine Brutstätte der Einwanderkriminalität - und hoffnungslos überfremdet.
Bei der Debatte um die Grenzkontrollen wurde aber auch deutlich, dass es eine noch viel schlimmer Stadt gibt, bedrohlich nahe an der dänischen Südgrenze, nur gut zwei Autostunden von der Idylle Jütlands entfernt, in der es nicht nur Millionen rücksichtsloser Deutscher, sondern auch ganze Stadtteile, mit mehr Einwohnern als die größten Städte Jütlands, voller Türken, Araber und sonstiger Musels gibt. Eine Hochburg der Kriminalität (unter anderem daran erkennbar, dass so viele deutsche Krimis in Hamburg spielen), der losen Sitten, des Drogenhandels und des ungehemmten Linksradikalismus!
(Bevor man sich über die "dänischen Provinzler" abfällig amüsiert: solche Vorurteile gegen Hamburg habe ich auch schon von Deutschen gehört.)
Die Probleme mit deutschen Arbeitskräften, die für eine geringere Bezahlung als dänische Kollegen arbeiten, habe ich bereits erwähnt. Das ist in etwa vergleichbar mit der Angst in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen vor den "polnischen Billigarbeitern". Da Dänemark ein kleines Land ist, gibt es diese Angst nicht nur im Grenzgebiet.

Trotz einiger Besonderheiten - zu denen auch die wichtige Rolle, die Fragen der nationalen kulturellen Identität in Dänemark im Vergleich zu Deutschland einnehmen, gehört - sind "dänische Verhältnisse" auch in anderen Staaten Europas gar nicht so unwahrscheinlich. Man stelle sich nur einmal vor, im deutschen Bundestag säße eine rechtspopulistische Partei, vielleicht vom Schlage der glücklicherweise verblichenen "Schill-Partei", und die Regierung Merkel wäre darauf angewiesen, sich von den "Rechten" tolerieren zu lassen.
Ich gehe jeder Wette ein, dass wir kurz über lang Ausländergesetze vom "dänischen Zuschnitt", wenn nicht noch schärfer, hätten - und diese Gesetze bei einer soliden Mehrheit der Deutschen populär sein könnten.
Dass das bei österreichischen Regierungen mit FPÖ-Beteiligung nicht in diesem Ausmaß geschah, liegt daran, dass eine Partei, die eine Minderheitsregierung toleriert, ein größeres Erpressungspotenzial hat als eine Koalitionspartei. Sie wird zwar zwar quantitativ weniger von ihren politischen Zielen durchbringen als eine koalierende Partei, aber die wenigen Gesetze, die eine erpresserisch eingestellte Mehrheitsbeschafferpartei durchbringt, können dicke Kröten sein, die die Regierungspartei nur äußerst ungern schluckt.

Die die geplante Wiedereinführung der dänischen Grenzkontrollen wird in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Minderheitenparteien im deutsch-dänischen Grenzland, des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) und der Schleswigsche Partei (SP), scharf kritisiert: SP und SSW: Grenzkontrollen sind »unverantwortlich« (Nordschleswiger.dk)
»Der Alltag der Menschen im Grenzland wird erschwert, um einer politisch geschürten Angst vor Kriminellen gerecht zu werden. Das ist unverantwortlich«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der SP-Vorsitzenden Marit Jessen Rüdiger und des SSW-Vorsitzenden Flemming Meyer.
»Sicherheitsmäßig gibt es keine vernünftige Begründung für eine derartige Ausweitung der Grenzkontrollen«, befinden die Grenzland-Politiker.
Weiter heißt es: »Der Grenzraum wird bereits heute durch eine Schleierfahndung von Polizei- und Zollbehörden engmaschig und weiträumig überwacht. Deshalb ist es absolut überflüssig, dass die dänische Regierung künftig wieder feste Zollkontrollen an den Grenzübergängen einrichten will. Der einzige Grund für diese Überwachung ist, dass die Regierung die Stimmen der DF braucht, um ihr Haushaltskonsolidierungspaket zu beschließen.«
Dem ist wenig hinzuzufügen.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Der zweite Mann im All

Vor wenigen Wochen, am 12. April, jährte sich zum 50. Mal der erste bemannte Raumflug, Wostok 1, an Bord Juri Gagarin, der ersten Mann im All.

Die Frage ist aber: Wer war der zweite Mann im All? Überraschend viele tippen auf German Titow, den zweiten sowjetischen Kosmonauten im All, oder auf John Glenn, den ersten US-Amerikaner, der die Erde in einem Raumschiff umkreiste (und damit Gagarins Flug gleichzog).

Tatsächlich war der zweite Mann im All Alan Shepard, und der zweite bemannte Raumflug Mercury Redstone 3 fand heute vor 50 Jahren, am 5. 5. 1961, statt.

Dass dieser erste US-amerikanische bemannte Raumflug sich längst nicht so wie Gagarins Flug in das öffentliche Gedächtnis eingeprägt hat, liegt nicht nur daran, dass "den Zweiten nur Kenner kennen". Es liegt auch daran, dass die Mercury-Raumkapsel "Freedom 7" nur ein suborbitaler Flug war, also keine Erdumlaufbahn, und gerade einmal 15 Minuten und 22 Sekunden dauerte, also weit hinter der Leistung von Wostock 1, einem Flug von immerhin 1 Stunde und 48 Minuten, blieb.

Rare and Unseen Photos: Alan Shepard, First American in Space, May 5 1961 - Photo Gallery - LIFE

Mittwoch, 4. Mai 2011

Aristoteles, die Eintagsfliege und die Besserwisser

Ich fand in einem Artikel Sascha Lobos über internetgestützte Besserwisser etwas sehr spannendes. Damit meine ich nicht Lobos Ausführungen über Besserwisser, die hinterher, dank Google, genau wissen, warum etwas geschah und wie man es hätte besser machen könne. Ich meine seinen Hinweis auf einen wirklich interessanten, schon etwas älteren, "scienceblogs"-Artikel von John Wilkins:
Aristotle on the mayfly.
Der Kern von Wilkins Beitrag und der Anfang von Sachas Lobos Schulmeisterei über Besserwisser, ist, dass Aristoteles um das Jahr 350 vor unserer Zeitrechnung schrieb: "Eintagsfliegen bewegen sich auf vier Beinen". Solche und ähnliche Aussagen veranlassen moderne Autoren immer wieder dazu, über antike Philosophen und Wissenschaftler wie in dieser EMBO Veröffentlichung zu schreiben:
Ancient Greek philosophers laid the groundwork for the scientific tradition of critical inquiry, but they nevertheless missed out on one aspect important to modern science. Many philosophers obtained their results through a tradition of contemplation and thought rather than experimental procedure, which, not surprisingly, led to errors. Aristotle’s belief that the brain is a cooling organ for the blood was definitely not based on anything that scientists today would consider scientific evidence. He also thought that in humans, goats and pigs, males have more teeth than females, a notion easy enough to correct. His statement that flies have four legs was repeated in natural history texts for more than a thousand years despite the fact that a little counting would have proven otherwise.
(Die antiken griechischen Philosophen legten den Grundstein für die wissenschaftliche Tradition der kritischen Untersuchung, aber ihnen fehlte dennoch ein wichtiger Aspekt der modernen Wissenschaft. Viele Philosophen kamen eher durch eine Tradition der Kontemplation und des Nachdenkens zu ihren Ergebnissen, als durch Experimente, was, nicht überraschend, zu Fehlern führte.
Aristoteles Überzeugung, dass das Gehirn ein Organ für die Kühlung des Blutes wäre, gründet definitiv auf nichts, was Wissenschaftler heute als wissenschaftliche Evidenz ansehen würden. Er dachte auch, dass männliche Menschen, Ziegen und Schweine mehr Zähne hätten als weibliche, eine Ansicht, die leicht richtig zu stellen wäre. Seine Aussage, dass Fliegen vier Beine hätten, wurde in naturkundlichen Texten für mehr als tausend Jahren wiederholt, trotz der Tatsache, dass ein wenig Zählen etwas anderes bewiesen hätte.)
War Aristoteles also ein schlechter Beobachter? Wilkins meint nein. (Was meine besserwisserische Seite freut, denn dieser Ansicht bin ich schon seit der Zeit, als ich noch fürs Abi büffelte. Allerdings nicht ohne Anstoß durch eine ziemlich unkonventionell denkende Philosophie-Lehrerin.)
Damit, dass das Gehirn das Blut abkühlt, hatte Aristoteles recht. Dass das nicht der Hauptzweck des Gehirns sein sollte (aber bei manchen Zeitgenossen offensichtlich ist), ergibt sich aus einer reinen Beobachtung ohne Hilfsmittel nicht. Wo der Sitz der Gedanken war, darüber konnte man zu seiner Zeit nur raten - und er riet, indem er einer Tradition folgte, die das Herz als Kern des menschlichen Wesens sah, daneben.
Zähne zählen sagt sich leicht. Nur weniger Menschen haben ein vollzähliges Gebiss, und zu Aristoteles Zeiten verloren Frauen meistens in früherem Alter Zähne als Männer, bedingt durch den erhöhten Kalziumbedarf bei Schwangerschaften. Noch im 19. Jahrhundert hieß es, dass jedes Kind der Mutter einen Zahn kostet.
Vielleicht hätte er, in Anlehnung an seinen Lehrer Platon schreiben können, die "Idee" (wir würden sagen: die Idealvorstellung) eines Gebisses wäre ein vollständiges Gebiss, und das hätte bei Mann wie Frau 32 Zähne. Vielleicht schrieb er das sogar wirklich. Er schrieb, im erhaltenen Text, über die konkrete, alltägliche Wirklichkeit, so wie er sie beobachtet hatte, bzw. wie sie ihm berichtet wurde. Das Problem dabei liegt nicht darin, dass Aristoteles ein schlechter Beobachter gewesen wäre - es fehlte ihm einfach noch am methodischen Handwerkszeug, um etwa statistische Aussagen wie: "im Bevölkerungsdurchschnitt hat ein männlicher Einwohner Athens 2,4 Zähne mehr als ein weiblicher" machen zu können - übrigens hätte ich mich mit den "2,4 Zähnen" bei jedem vorneuzeitlichen Denker zum Narren gemacht. (Aristoteles machte übrigens die Logik zur Wissenschaft, lieferte also die Grundlage für die heute gebräuchlichen Methoden der Wissenschaft.)
Nachtrag, weil ich gemerkt habe, dass meine Aussage missverständlich ist: Aristoteles kannte die notwendige Mathematik, um Begriffe wie "Durchschnitt" zu begreifen, er dachte aber anders als ein moderner Naturwissenschaftler.
Bei der Eintagsfliege schrieb Aristoteles nicht etwa, dass diese vier Beine hätte, sondern, dass sie auf vier Beinen geht - was bei männlichen Eintagsfliegen völlig richtig ist, bei ihnen sind nämlich die vorderen Beine zu Greiforganen für die Kopulation umgebildet.

Wenn jemand meint, dass meine (und Wilkins) Darlegungen haarspalterisch seien, dann stimmt das zwar, aber bei Aristoteles wird traditionell jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Die an eine breite Öffentlichkeit gerichteten Schriften des Aristoteles in Dialogform gingen nämlich verloren. Durch einige glückliche Zufälle blieben viele der für interne Unterrichtzwecke gedachten, fortlaufend redigierten Lehrschriften (man würde heute sagen: Vorlesungsskripte) erhalten. Darin wird aber offensichtlich Vieles einfach als bereits bekannt vorausgesetzt, und abgerundete Schlussfolgerungen sind darin nur selten enthalten. Weil aber entscheidende Teile seines Werkes nicht überliefert wurde, gewinnen Versuche, aus dem vorhandenen Text zu schießen, was Aristoteles gedacht haben könnte, zwangsläufig an Bedeutung.

Zu Aristoteles als Naturforscher ist zu sagen, dass er empirische Forschung betrieb. Seine Beobachtungen an Tieren sind allgemein so präzise, dass die Möglichkeit, dass er sich bei den Fliegenbeinen schlicht verzählt hätte, getrost vernachlässigt werden kann.
Sicher ist, dass er sogar tote Tiere und menschliche Leichen sezierte oder sezieren ließ. Er untersuchte sogar in festgelegten zeitlichen Abständen befruchtete Hühnereier, um zu beobachten, in welcher Reihenfolge die Organe sich entwickeln.
Neben eigenen Beobachtungen und einigen wenigen Textquellen stützte sich seine Zoologie auf Informationen von Menschen, die von Berufs wegen Tiere beobachten, wie von Fischern, Imkern, Jägern und Viehzüchtern. Allerdings übernahm er auch Irrtümer - vor allem, wenn sie zu seiner Zeit weit verbreitet waren.

Es stimmt zwar, dass viele Philosophen eher durch Kontemplation und reines Nachdenken zu ihren Ergebnissen kamen, aber das trifft z. B. weitaus mehr auf Aristoteles Lehrer Platon zu. Dessen bevorzugte Methode, die Dialektik (ein von Platon geprägter Begriff), eignet sich nicht zur Behandlung jeder Frage. Auf manche Stoffgebiete, die Naturwissenschaften zum Beispiel, lässt sich diese Methode nicht anwenden. Aristoteles musste also zwangsläufig auch empirisch arbeiten, wenn er Wissensgebiete bearbeiten wollte, die sein Lehrer nicht berücksichtigt hatte.
Was allerdings stimmt: Experimentiert hat er wohl nicht. Was nicht bedeutet, dass es keine antiken Wissenschaftler gegeben hätte, die experimentiert hätten.

War Aristoteles tatsächlich ein "Bremsklotz" für den Fortschritt der Wissenschaft? Bertrand Russel meinte, dass Aristoteles gewaltige Verdienste, aber auch nachteilige Einflüsse auf seine Nachfolger gehabt hätte. Hierfür seien jedoch seine Nachfolger stärker verantwortlich zu machen, als er selbst.
Man könnte auch sagen: Was kann Aristoteles dafür, dass er für die abendländischen Gelehrten des späten Mittelalters eine fast so unbestrittene Autorität wie die Kirche war und daher nicht ohne Weiteres kritisiert werden konnte?
Das hatte zur Folge, dass damit auch Aristoteles Meinungen und Irrtümer, etwa zur Demokratie (die er ablehnte), zur Sklavenhaltung, zur Stellung der Frau oder auch zur Stellung der Erde im Universum (im Mittelpunkt, meinte Aristoteles) praktisch jeder Kritik entzogen waren. Ein Aristoteles-Zitat hatte im späten Mittelalter unter Klerikern fast die selbe Autorität wie ein Bibelzitat - und die Kleriker hatten de facto das Bildungsmonopol.

Ich stimme Russel darin zu, dass, auch wenn einer seiner Vorgänger (ausgenommen vielleicht Demokrit) die gleiche Bedeutung erlangt hätte wie Aristoteles, die Folgen nicht minder katastrophal gewesen wären.

Freitag, 29. April 2011

Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme: Thor

In meine kleinen und allseits beliebten Reihe über "gut-doofe" Filme ist "Thor" eine zweifache Novität.
Erst einmal sind die meisten Streifen, die ich in dieser Rubrik behandele, gut bis sehr gut abgehangen. Das ist das erste Mal, dass ich mir einem Film vorknöpfe, der gerade erst in die Kinos gekommen ist.
Der zweite Grund: diesen Film nahm ich mir schon einmal vor, und zwar als Ausblick zur Silvester 2008 über einen Film, der im Juni 2010 herauskommen sollte. Dass es bis Ende April 2011 dauern sollte, hatte ich nicht erwartet. Eher schon, dass er, wie viele andere Projekte, erst gar nicht das Licht der Leinwand erblickt hätte.

Ich habe mir den Film gleich nach der Premiere angesehen, und muss sagen, dass er ein richtig gut-doofer Film ist. Er ist allerdings, anders als ich befürchtete, inhaltlich kein grottendämlicher Streifen geworden, aber auch längst kein Film, in dem Kenneth Branag seine Regiekünste überzeugend unter Beweis stellen kann. Gutes Handwerk, mehr nicht - was für Popcorn-Kino schon ziemlich viel ist.

Da ich niemandem, der den Film noch nicht gesehen hat, den Spaß verderben will, nur soviel zur Handlung:
Thor greift mit ein paar Asen-Freunden eigenmächtig und rücksichtslos die Frostriesen in Jötunheim an. Damit verletzt er den heiklen Frieden, den sein Vater Odin mit den Frostriesen geschlossen hatte. Zur Strafe für seine unüberlegte Tat und seine Arroganz wird Thor daraufhin von Odin auf die Erde verbannt. Die Rückkehr in seine Heimat ist ihm erst gestattet, wenn er gelernt hat, seine Überheblichkeit zu zügeln. In der Nähe eines kleine Kaffs in New Mexico schlägt Thor buchstäblich auf. Drei Wissenschaftler (zwei Physiker und eine Politologin, die als Assistentin in das Team aufgenommen wurde, weil sich sonst niemand fand), die ein rätselhaftes Wetter-Phänomen (?) untersuchen, nehmen sich des geheimnisvollen jungen Mannes an, der ihnen buchstäblich vor den Geländewagen fällt (der ist übrigens ein österreichisches Fabrikat, ein "Pinzgauer" - im Südwesten der USA ein eher exotisch zu nennendes Fahrzeug). Thors Hammer, Mjölnir, steckt buchstäblich mitten in der Wüste fest, niemand kann ihn nur um einen Millimeter anheben. Auch eine undurchsichtige, offensichtlich im Regierungsauftrag handelnde und mit sehr weit reichenden Befugnisse ausgestattete Organisation namens S.H.I.E.L.D. nimmt sich des Falles bzw. des Hammers an und errichtet um Mjölnir mobile Labors und eine militärische Absperrung. Thor schlägt sich (buchstäblich!) zu seinem Hammer durch, kann ihn aber nicht anheben: Noch ist er verbannt.
Ich verrate für mitdenkende Zeitgenossen kein Geheimnis, wenn ich schreibe, dass Thor seine Chance zur Bewährung bekommt, dass die schöne sterbliche Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman) sich in den gut gebauten und mit bengelhaftem Charme ausgestatetten Donnergott verliebt, und dass hinter all dem der intrigante Loki (Gott für schmutzige Tricks) steckt. Da der Film mit einem (buchstäblichen) Cliffhanger endet, und nach dem Abspann (also nicht zu früh aufstehen!) eine kurze, sehr aufschlussreiche Szene folgt, ist unbedingt mit einer Fortsetzung zu rechnen.
THOR - Filmplakat
Filmplakat. Das erkennbare "X" halte ich nicht für einen Zufall ...

Der Film ist unterhaltsam und hat die üblichen Zutaten der Verfilmung eines Marvel-Comics: Sehr viel Action, viel Selbstironie, Bezüge zu anderen Teilen des "Marvel-Universums" (S.H.I.E.L.D., Iron Man, Hawkeye ... ) und natürlich der obligatorische Gastauftritt des ehemaligen Marvel-Managers und Texters Stan Lee. (Außerdem hat Autor Michael Straczynski einen Kurzauftritt.) Nur für Kenner der nordischen Mythologie oder der Marvel-Comics erkennbar haben drei der Kampfgefährten Thors kein Vorbild in der eddischen Dichtung: die "Warriors Three" Volstagg (Ray Stevenson), Fandral (Joshua Dallas) und Hogun (Tadanobu Asano) sind reine Marvel-Superhelden.

Theoretisch hätte "Thor" auch ein richtig guter Film werden können. Immerhin schrieben zwei der anerkanntermaßen besten Filmautoren für Science Fiction und Fantasy, Michael Straczynski ("Babylon 5") und Mark Protosevich ("I Am Legend") das Skript, Regie führte Kenneth Branagh.
Die Besetzung spart nicht mit namhaften Schauspielern: Natalie Portman, Tom Hiddleston, Anthony Hopkins und Stellan Skarsgård. Die Titelrolle ist mit Chris Hemsworth besetzt, einem jungen australischen Schauspieler, der mir bisher nur als George Kirk in Star Trek bekannt war. Eine gute Wahl, nicht nur wegen Hemsworths Schwergewichts-Boxer-Figur und seinem hübschen Gesicht - er zeigt als Thor mehr unterschiedliche Gesichtsausdrücke als Arnold Schwarzenegger in seiner ganzen Filmkarriere und empfiehlt sich auch fürs "romantische Helden"-Fach. Den Thor spielt er mit sichtbarem Vergnügen, vielleicht, weil er die "Wikinger-Klischees" schön dick auftragen durfte. (Wer da Overacting moniert, ist definitiv im falschen Film! Wie z. B. der Kritiker der FR, der zwar schreibt, dass es eine Comic-Verfilmung ist, aber es offensichtlich nicht ganz wahrnimmt:
Obwohl die drei Drehbuchautoren mit den nordischen Göttersagen nicht viel anzufangen wissen, haben sie die Bedeutung des Begriffs „Ragnarök“ verinnerlicht und künden den drohenden Untergang des Götterreichs Asgard mit angemessenem Kampfgetöse an.
Meines Erachtens wäre es grundfalsch gewesen, wenn sich der Film eng an die nordischen Göttersagen gehalten hätte. Zur Verdeutlichung, aus einer anderen Mythologie: Samson funktioniert in Sandalenfilmen auch nur deshalb als "Superheld", weil er darin mit dem biblischen Samson kaum etwas gemeinsam hat.)
Dass ich die Besetzung des Wächters der Regenbogenbrücke Bifröst, Heimdall mit dem schwarzen Schauspieler Idris Elba für genial halte, habe ich andernorts schon erwähnt. Zwar ist die Rolle keine Herausforderung an Elbas Schauspielkünste, aber - es passt!
Gut besetzt ist die Rolle des schwedischen Physikers Dr. Erik Selvig mir dem schwedischen Schauspieler Stellan Skarsgård - ihm kauft man sowohl den Physiker, wie den Kenner der nordischer Mythologie, wie auch den väterlichen Freund Janes ab.
Für gelungen halte ich die Umsetzung der Marvel-Bildsprache ins Kino, oft mit seitlich geneigter Kamera oder aus Ober- oder Untersicht, mit Schlagschatten und harten Kontrasten, während die gerade bei 3-D-Filmen leider Mode gewordene Wackelkamera erfreulich sparsam eingesetzt wird. (Übrigens: Wer kein 3-D-fähiges Kino in der Nähe hat, versäumt meines Erachtens nicht viel. Vielleicht wäre der Film in "2-D" sogar optisch besser geworden, da er ja die Bildsprache eines "flachen" Mediums aufgreift.)
Alles in allem gelungenes, sehenswertes Popcorn-Kino. Es reicht aber nicht ganz zu einem "nicht doofen" Film, was bei Comic-Verfilmungen zwar schwierig, aber, wie z. B. "Batman Beginns" zeigt, möglich ist.
Die CGI-Schauwerte sind eher mittelmäßig und die Wikinger- und Schlachtszenen am Anfang wirken für den "Herr der Ringe"-Verwöhnten Fantasy-Film-Freund sogar ziemlich sparsam. Das überrascht, denn andere Szenen sehen teuer aus und waren wahrscheinlich auch teuer.
Das größte Problem des Films ist meiner Ansicht nach die Vorlage. Deren Hauptproblem: Thor ist als Superheld viel zu stark für jeden menschlich-sterblichen Gegner, ein Problem, das er mit Superman teilt. Helden ohne Superkräfte, aber einer ungewöhnlichen Persönlichkeit, wie Batman, mit beschränkten Superfähigkeiten, wie Daredevil, oder mit einer Durchschnittspersönlichkeit und reichlich Alltagsproblemen, wie Spiderman, wirken "cooler" und (soweit das bei Superhelden überhaupt möglich ist) glaubwürdiger.
Straczynski und Protosevich haben einen Dreh gefunden haben, mit Thors allzu gewaltigen Superkräften umzugehen - die meiste Zeit hat er sie nicht, wobei er nach normal-menschlichen Maßstäben immer noch sehr stark, kampfkräftig und trinkfest ist.
Eng an die Comic-Vorlage angelehnt ist das in Komplementärfarben (Goldgelb und Blau) gezeichnete Asgard. Einerseits hat die die CGI-Götterburg mit ihren wie Orgelpfeifen aufragenden Türmen und dem glitzernden Sternenhimmel und der imposanten Regenbogenbrücke ihre Schauwerte. Andererseits funktioniert sie als skizzenhafte Comic-Zeichnung erheblich besser als in aller metallisch glänzender Pracht. Anders gesagt: sie wirkt kalt und protzig , und so, als wäre sie erst gestern fertiggestellt worden und nicht schon Jahrzehntausende alt. Die Star Wars-Filme zeigen - bis auf "Episode i" - wie man so etwas besser macht.
Aber alle Drehbuch-Tricks und Regiekünste können nicht verbergen, dass der ganze Film fast wie der überlange Vorspann des schon lange geplanten Filmes um das Superhelden-Team "The Avangers" wirkt. Da wird zu viel angedeutet, zu viele lose Ende bleiben; das nach einer Fortsetzung schreiende Ende habe ich schon erwähnt.

Eines finde ich aber an dem Film wirklich erfrischend: Thor wirkt zwar auf der Erde, im Umfeld einer amerikanischen Kleinstadt, wie ein Rocker ohne Motorrad aber mit einem (nun ja) ziemlichen Hammer. Ein arroganter Kraftprotz, der erst mal kräftig auf die Schnauze fallen muss, bis er abrafft, was Sache ist.
Aber er ist endlich mal wieder ein Held ohne massiven Psycho-Knacks. Der Versuchung, einer etwas simpel gestrickten Comic-Figur "Tiefe" zu verleihen (weil das doch bei Batman und den X-Men so gut funktioniert hätte), widerstanden die Autoren glücklicherweise. Dafür ist ihr Loki angemessen zwielichtig und zwiespältig, und komplexer als ein gewöhnlicher Superheldenfilm-Bösewicht.

Ebenfalls erfrischend ist, obwohl der Film angemessenen Sicherheitsabstand von der Mythologie hält, der Umgang mit der nordischen Götterwelt. Ich sehe jedenfalls starke Hinweise darauf, dass die Autoren sich mit den Göttersagen, anders als manche Kritiker meinen, sehr wohl auskennen - wahrscheinlich besser als seinerzeit Stan Lee, als er auf die Idee kam, aus Thor einen Superhelden zu machen. Dass Loki anders als in der Mythologie, Thors Stiefbruder und nicht Odins Blutsbruder ist, wurde im Comic etabliert - aber ein wichtiger Punkt im Film ist, dass Loki, wie sein mythologisches Vorbild, von Geburt ein Riese ist, Laufeyas Sohn, und ein abgründiger, unberechenbarer Trickster, der zu jeder Schandtat, aber auch, wenn es einmal passt, zu jeder Heldentat fähig ist.
Bis auf Sif - in der Mythologie Thors Ehefrau und überdies mit wie echtes Haar nachwachsendem goldenem Haar ausgestattet - und dem Umstand, dass Odin ein Auge Mimir zum Pfand gab, um aus der Quelle der Weisheit trinken zu können - entsprechen die Götter ziemlich genau ihren mythologischen Gegenstücken. Natürlich ist das ein Kompromiss, wie Thors kurzer Vollbart ein Mittelding zwischen dem glatt rasierten Comic-Thor und den rauschebärtigen Donnergott der Mythologie ist.
Ich halte es nicht für einen Zufall, sondern eine Anspielung, dass die Assistentin Darcy Lewis "Mjölnir" ausgerechnet als "Mimir" missversteht.
Ich halte es auch für einen absichtlichen Gag, dass Thor, als er den bis zur Bewusstlosigkeit betrunkenen Dr. Erik Selvig in Jane Fosters Wohnwagen trägt, lobt, dass seine Ahnen stolz auf ihn wären. Thors Lob ergibt nur dann wirklich Sinn, wenn man weiß, was ein Sumbel ist, und das bei diesem rituellen Umtrunk in der zweiten Runde die verstorbenen Ahnen gepriesen werden ...

Mittwoch, 27. April 2011

Heute und vor 25 Jahren

Überlegungen zum katastrophalen Reaktorunfall im AKW Tschernobyl sind gerade im Zusammenhang mit dem ebenfalls katastrophalen Reaktorunfall im AKW Fukushima - Dai ichi so üblich, dass ich es mir lange überlegte, ob meine Überlegungen nicht besser für mich behalten sollte, da bestimmt jemand diese Überlegungen in sehr viel besserer Form längst geäußert hat.

Ein interessante, aber in der Berichterstattung etwas untergegangene Tatsache ist, dass die Reaktoren beim Erdbeben der Starke 9 auf der Richter-Skala offensichtlich nicht beschädigt wurden. Die Kernkraftwerksblöcke waren für Beben der Stärke 8,2 ausgelegt, wobei man nicht aus den Augen verlieren darf, dass die Richter-Skala logarithmisch ist - ein Beben der Stärke 9 ist zehnmal so stark wie eines der Stärke 8.
Angesichts der eingestürzten Gebäude und aufgerissenen Straßen in der Umgebung ist das eine bemerkenswerte Tatsache. Mag bei der Konstruktion der Reaktoren auch vieles im Argen gelegen haben, immerhin wurde damals, in den 1970ern, als die Kraftwerksblöcke gebaut wurden, offensichtlich solide gearbeitet.
Die automatische Schnellabschaltung ordnungsgemäß beim Beben ausgelöst.
(Siehe: Chronik der Nuklearkatastrophe von Fukushima.) Die externe Stromversorgung des Kraftwerks fiel durch Erdbebenschäden aus, die Stromversorgung der Kühlsysteme wurde von den Notstromdieselgeneratoren in den Untergeschossen der Turbinengebäude übernommen. Wäre es bei den Erdbebenschäden geblieben, wäre es noch einmal glimpflich abgegangen.
Was zur Katastrophe führte, war der Tsunami. Die Untergeschosse im Turbinengebäude waren nicht ausreichend wassergeschützt, so dass der Tsunami die Notstromgeneratoren überschwemmte und sie ebenso wie die Kühlpumpen ausfielen. Beide waren - anders als in später errichteten Kraftwerken - an der ungeschützten Stelle verblieben, obwohl eine Tepco-interne Untersuchung dies als Sicherheitsrisiko einschätzte.
In Tschernobyl war das Notkühlsystem absichtlich abgeschaltet worden.
Die Gemeinsamkeit bei beiden Katastrophen war, außer, dass in beiden Fällen verantwortungsloser Leichtsinn im Spiel war, dass nicht die beim Bau einkalkulierten Gefahren zum Unfall führten, sondern jene, die übersehen oder vernachlässigt wurden. Was an und für sich keine Überraschung ist, denn das trifft auch auf z. B. die meisten Verkehrsunfälle zu. Wie überall in Technik entwickelten sich auch bei Kernreaktoren die Sicherheitskonzepte durch die Praxis ("Learning by Doing"). Nur können die Folgen eines schweren oder sehr schweren Unfalls in der "Atomindustrie" so schwerwiegend sein, dass sich dieser übliche Weg, irgendwann zu einer akzeptabel sicheren Anwendung zu kommen, verbietet.

"Fukushima" ist ansonsten kein "zweites Tschenobyl": Nicht nur der Reaktor, nicht nur der Unfallhergang, sondern auch die Folgen sind völlig anders als in Tschernobyl. Was nicht unbedingt bedeutet, dass es in jedem Fall "harmloser" wäre - immerhin sind in Japan gleich drei Reaktoren havariert, und überdies einige der im zur Zeit des Erdbebens abgeschaltetem Reaktorblock 4 im Abklingbecken gelagerten Brennelemente beschädigt worden.

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