"Gesunder" Nationalismus und "Hermann"
Ich weiß nicht mehr, von wem der Ausspruch war, es gäbe ebenso wenig einen gesunden Nationalismus wie es gesunden Krebs gäbe. So, wie es es gibt gutartige und bösartige Tumore gibt, gibt es auch vergleichsweise harmlose und mörderisch bösartige Formen des Nationalismus - aber "gesund" kann eine nationalistische Weltsicht meines Erachtens niemals sein. Warum?
Jeder Nationalismus - der durchaus etwas anderes ist, als die Zuneigung zur vertrauten Kultur und Sprache - also auch der "gesunde" Nationalismus, basiert darauf, dass eine "Wir"-Gruppe, etwas "Eigenes", eine Nation oder eine nationale Minderheit oder ein Volk, oder eine Volksgruppe konstruiert wird. Denn "kulturelle Indentität" ist immer "schmuddelig", "verschmiert", "gemischt". Klare Grenzen gibt es nur da, wo sie absichtlich gezogen wurden, und "ethnische Reinheit" nur da, wo "etnisch gesäubert" wurde (also: zwangsumgesiedelt, zwangsbekehrt usw. wurde - oder schlicht und brutal: massenhaft die "nicht passenden" ermordet wurden).
Dieser Konstruktion des Eigenen ist auf die Beschwörungen des Anderen angewiesen, des "Fremden" - besonders wirksam ist der "nationale Zusammenhalt", wenn der "Fremde" ein "Feind" ist.
Vor gut einem Jahr schrob ich drüben auf den Seiten von "Nornirs Ætt":
Arminius ist nicht „Hermann“ .
Mir war schon klar, dass nicht erst seit den "Befreiungskriegen" gegen Napoleons, also der Zeit, in der Heinrich von Kleist sein Propagandastück "Hermannschlacht" verfasste, der Kampf der (sich bestimmt nicht als "Germanen" fühlenden) Cherusker unter Arminius gegen die Römer im Sinne des nationalistischen Feindbildkonstrukts instrumentalisiert wurde. Ich kannte ja schließlich auch z. B. Ulrich von Huttens und Martin Luthers Ansichten zu "Hermann", den "alten Deutschen" und "Rom".
Trotzdem war ich über Johann Elias Schlegels Drama "Hermann. Ein Trauerspiel", erschienen 1743, also zu einer Zeit, in der von einem deutschen Nationalstaat keine Rede sein konnte, und in des es, so dachte ich bisher, keinen "nationalen Feind" gab, überrascht:
Es ist also offensichtlich so, dass eine deutsche nationale Identität schon zu einer Zeit, in der es "objektiv", von der politischen und gesellschaftlichen Situation her, anscheinend keinen Grund für so ein Konstrukt gegeben haben kann, durch einen ausschließenden Gegensatz zu einem "Erzfeind" konstruiert wurde.
Mir ist nicht klar, was Schlegels Motive waren. Klar ist, dass er an den "antirömischen Affekt" der Reformationszeit (immerhin 200 Jahre früher!) anschloss - und der war antikatholisch motiviert. Also nicht im späteren Sinne "kulturnationalistisch".
Offenbar konnte schon ein Dichter des Rokkoko sich "deutsche kulturelle Identität" nicht ohne "Feindbildkonstrukt" vorstellen. Vielleicht liegt es an dieser Tradition, dass der deutsche Nationalismus sich immer wieder als besonders bösartig erwiesen hat.
Jeder Nationalismus - der durchaus etwas anderes ist, als die Zuneigung zur vertrauten Kultur und Sprache - also auch der "gesunde" Nationalismus, basiert darauf, dass eine "Wir"-Gruppe, etwas "Eigenes", eine Nation oder eine nationale Minderheit oder ein Volk, oder eine Volksgruppe konstruiert wird. Denn "kulturelle Indentität" ist immer "schmuddelig", "verschmiert", "gemischt". Klare Grenzen gibt es nur da, wo sie absichtlich gezogen wurden, und "ethnische Reinheit" nur da, wo "etnisch gesäubert" wurde (also: zwangsumgesiedelt, zwangsbekehrt usw. wurde - oder schlicht und brutal: massenhaft die "nicht passenden" ermordet wurden).
Dieser Konstruktion des Eigenen ist auf die Beschwörungen des Anderen angewiesen, des "Fremden" - besonders wirksam ist der "nationale Zusammenhalt", wenn der "Fremde" ein "Feind" ist.
Vor gut einem Jahr schrob ich drüben auf den Seiten von "Nornirs Ætt":
Arminius ist nicht „Hermann“ .
Mir war schon klar, dass nicht erst seit den "Befreiungskriegen" gegen Napoleons, also der Zeit, in der Heinrich von Kleist sein Propagandastück "Hermannschlacht" verfasste, der Kampf der (sich bestimmt nicht als "Germanen" fühlenden) Cherusker unter Arminius gegen die Römer im Sinne des nationalistischen Feindbildkonstrukts instrumentalisiert wurde. Ich kannte ja schließlich auch z. B. Ulrich von Huttens und Martin Luthers Ansichten zu "Hermann", den "alten Deutschen" und "Rom".
Trotzdem war ich über Johann Elias Schlegels Drama "Hermann. Ein Trauerspiel", erschienen 1743, also zu einer Zeit, in der von einem deutschen Nationalstaat keine Rede sein konnte, und in des es, so dachte ich bisher, keinen "nationalen Feind" gab, überrascht:
"Wer Rom nicht hassen kann, kann nicht die Deutschen lieben. / Was theilest du dein Herz? Sey Treu mit ganzen Trieben: / Sey römisch oder deutsch! Itzt wähle deinen Freund: / Rom, oder deinem Volk sey günstig oder feind."Das geht im Grunde über die "Nationalpropaganda" Kleists und seiner Zeitgenossen hinaus - denn das Motiv der "Zweckpropaganda" fehlt.
Es ist also offensichtlich so, dass eine deutsche nationale Identität schon zu einer Zeit, in der es "objektiv", von der politischen und gesellschaftlichen Situation her, anscheinend keinen Grund für so ein Konstrukt gegeben haben kann, durch einen ausschließenden Gegensatz zu einem "Erzfeind" konstruiert wurde.
Mir ist nicht klar, was Schlegels Motive waren. Klar ist, dass er an den "antirömischen Affekt" der Reformationszeit (immerhin 200 Jahre früher!) anschloss - und der war antikatholisch motiviert. Also nicht im späteren Sinne "kulturnationalistisch".
Offenbar konnte schon ein Dichter des Rokkoko sich "deutsche kulturelle Identität" nicht ohne "Feindbildkonstrukt" vorstellen. Vielleicht liegt es an dieser Tradition, dass der deutsche Nationalismus sich immer wieder als besonders bösartig erwiesen hat.
MMarheinecke - Montag, 22. Februar 2010
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