Aus der Wunderwelt der gut-doofen Filme - heute: Constantine
There's many another world. I don't know how well they briefed you on the other side, but alternate universes ain't a myth. There's a kaleidoscope variation on this full-tilt mess always goin' on. Blue Sheikh told me there's another John Constantine in an alternate universe, has black hair and lives most of his life in Los Angeles. Gets the bloody lung cancer and gets out of it, too, just like me. Black coat instead of a trench coat: he's me but not me. I sure as bleedin' hell don't want to be him — point is, with lots of everyone around in some universe somewhere, who needs this world?John Constantine über den "Film-Constantine".
Heute ist der 20. Jahrestag des Erscheinen des 1. Bandes der phantastisch-realistischen Comicserie Hellblazer
(Wer Hellblazer noch nicht kennen sollte: Man kann sich Band 1 kostenlos als pdf-Datei von der offiziellen DC-Website 'runterladen:
Original Sins ) Ein willkommener Anlass für einen Artikel. Obwohl John Constantine schon 1985 als regelmäßiger Charakter im Horror-Comic "Swamp Thing" auftauchte, und ich vor Kurzem schon einmal über John Constantine - den Constantine der Comics schrieb: Der Pfeil der Zeit - oder: John Constantine lebt!.
Um es vorweg zu nehmen: der Film ist nicht schlecht. Genauer gesagt: er ist brauchbares Unterhaltungskino. Leider verschenkt er viel vom Potenzial der Vorlage.
Und leider gibt es dafür, dass "Constantine" nur brauchbares Unterhaltungskino ist, klar erkennbare Ursachen. Nein, nicht die Eigenwilligkeit, John Constantine von London nach Los Angeles verlegt zu haben. Oder die nicht unbedingt naheliegende Besetzung der Hauptrolle mit Keanu Reeves.
Nein, es ist wohl das Starren der Produzenten auf ein Phantom namens "Zielgruppe". Und ein starres, mutloses Festhalten an "bewährten Rezepten".
Spätestens seit "Der Exorzist" gilt die Faustregel: Horrorfilme über Besessenheit mit römisch-katholischem Hintergrund "funktionieren". Folglich wurde das mythologische Konzept der Vorlage auf den Kopf gestellt: In John Constantines Welt existieren die Götter und Geister sämtlicher Kulturen nebeneinander und nähren sich von der Verehrung der Sterblichen. Constantine hat es also nicht nur mit der christlichen Hölle mitsamt Teufeln und Dämonen zu tun.
Der Film, der lose auf dem Hellblazer-Comic "Dangerous Habits" beruht, hält sich im groben Umrissen an volkstümliche katholische Jenseitsvorstellungen.
Ein paar Worte zum Inhalt des Filmes: John Constantine ist ein Exorzist, der "das Böse" hauptsächlich im eigenen Interesse bekämpft, denn der Kettenraucher hat Lungenkrebs und kein Interesse daran, nach seinem drohendem Tod in der Hölle zu landen. Nach einem Selbstmordversuch erlebte er für einige Minuten die Hölle und versucht sich als Dämonenjäger von der Todsünde des Selbstmordes reinzuwaschen.
Die Polizistin Angela Dodson untersucht den Tod ihrer als psychisch krank geltenden Zwillingsschwester Isabel - sie mag nicht an den Selbstmord der gläubigen Katholikin glauben. Sie trifft John Constantine. Wie in solchen Filmen nicht anders zu erwarten, erkennt der erfahrene Exorzist, dass die Dämonen verstärkt gegen das alte Abkommen zwischen Gott mit dem Teufel, dem zufolge es Himmel und Hölle nicht gestattet ist, direkten Einfluss auf die Menschen zu nehmen, verstoßen. Ebenfalls klar: sowohl Angela wie ihre Schwester sind medial begabt, Angela verdrängte das erfolgreich, Isabel wird ob ihrer Begabung für wahnsinnig gehalten.
Im Weiteren geht es um Mammon (nein, damit ist nicht die Gewinnerwartung von Warner Bros. gemeint, sondern der Sohn des Teufels), seinen buchstäblich diabolischen Plan zur Unterjochung der Erde und den"Speers des Schicksals" (jener Lanze, die der Legionär Longinus einst mit dem Blut Christi tränkte), der in die Hände Mammons geraten ist. Zusammengehalten wird die Handlung von Action, Spezialeffekten - vor allem Computeranimationen - Pseudo-Philosophie - und erfreulich guten Schauspielern (Klasse: Peter Stormare als Teufel), die vergeblich gegen ein schwaches Drehbuch kämpfen.
Am Ende ist Constantine seinen Lungenkrebs und seine Verdammnis los, Isabellas Seele ist errettet, die Welt gerettet - und Constantine hat sich das Rauchen abgewöhnt.
Der Film kopiert allzu offensichtlich den Stil der "Matrix"-Trilogie und den Plot des Mysterythrillers "God's Army". Leider wurden die Spannung und die Logik nur unzureichend kopiert.
Abgesehen von den durch die Verlagerung nach L.A. und durch die Besetzung mit Reeves erforderlichen Änderungen fallen folgende Unterschiede zum Comic-Constantine auf:
Schon mal erwähnt: die abweichende Aussprache des Namens im Film "Tine. Constantine." Außerdem schafft er es "in Wirklichkeit" nicht, von den Kippen zu lassen. Immerhin qualmt er mittlerweile Silk Cut (sehr leichte britische Zigarettenmarke).
Im Film kämpf Constantine regelmäßig gegen Dämonen, was zu der Verhaltensweise des Hellblazer-Constantine, sich solcher ungleicher Kämpfe nach Möglichkeit zu entziehen, nicht passt. Wobei es ihm keineswegs an persönlichem Mut mangelt. Wenn es nicht anders geht und es um etwas wirklich wichtiges geht, z. B. darum, einen seiner zahllosen verstorbenen Freunde vor der Hölle zu retten, kämpft auch John Constatine. Er hat ein fatales Talent dafür, sich in Situationen zu manövrieren, die anderen - bevorzugt seinen Freunden, Bekannten und Familienangehörigen - das Leben kosten. Das ist auch der Hauptgrund dafür, weshalb er so zerknirscht und manchmal zynisch drauf ist.
Er verabscheut Gewalt und vor allem Schusswaffen. Hingegen scheint der Film-Constantine geradezu ein Waffennarr - darunter durchaus Schusswaffen - zu sein.
In "Hellblazer" ist Constantine zur Hölle verdammt, weil er Magie missbraucht und versuchte, seinen Vater zu ermorden. Im Film ist er wegen Selbstmord verdammt. (Soviel ich weiß, glauben die Katholiken, dass nur vollendeter Selbstmord die Verdammnis nach sich zieht. Bei versuchtem Selbstmord ist Reue und Buße möglich. Constantine sah im Film aber durchaus lebendig aus. Das ist auch der springende Punkt, wenn Constantine für ein paar Minuten in der Hölle war, also tot war, aber anschließend wieder lebt, kann er immer noch im irdischen Leben tätige Reue leisten.)
Gabriel ist im Film neben Mammon der wichtigste Antagonist, er verflucht die Menschen, weil ihnen seiner Ansicht nach zuviel Gnade gewährt wird. Im Grunde lehnt er sich damit gegen Gott auf, auch wenn es ihm darum geht, dass nur die wenigen Gnade erhalten sollten, die wirklich Gott ergeben sind. Das ist zwar ein netter Seitenhieb gegen "gnadenlose" religiöse Fanatiker, die alle, die nicht buchstabengetreu der jeweiligen absolut wahren Schriftauslegung folgen (also praktisch alle Menschen) zur Hölle verdammen, aber so ein Verhalten widerspricht sowohl der Bibel wie auch den ansonsten sehr unterschiedlichen traditionellen jüdischen, christlichen und islamischen Anschauungen und Gabriel-Legenden.
Im Comic ist Gabriel neutral, glaubt an die göttliche Vorsehung (wenn nicht er, wer dann?) und hat deshalb (verständlicherweise) ein skeptisches Bild von den Menschen. Die Idee, Gabriel (eine mögliche Bedeutung: "Mann Gottes") von einer Frau (Tilda Swinton) darstellen zu lassen, gefällt mir dagegen ganz gut - Engel sind ja angeblich geschlechtslos.
Ja, und ganz so selbstlos wie im Film wird John Constantine in "Dangerous Habits" seinen Krebs nicht los: er verspricht drei verschieden Teufeln seine Seele, für den Fall, dass sie seinen Krebs heilen. Was auch klappt - auch Teufel gehen unnötigem Ärger aus dem Weg und retten lieber Constantine das Leben, anstatt sich endlos um eine lausige Seele zu kloppen.
Noch eines: John Constantine verdient seinen Lebensunterhalt nicht mit Exorzismen. (Wie sollte er auch?) Ob er insgeheim nach Vergebung sucht, behält er ganz tief drin für sich. Er sieht auch keine (Halb-)Dämonen oder (Halb-)Engel.
Vielleicht muss ich meine Ansicht von eingangs dieser Postings ergänzen: außer dem Starren der Produzenten auf die "Zielgruppe" und mutlosem Festhalten an "bewährten Rezepten" ist es vielleicht die Anpassung an "sozial erwünschtes" Verhalten, eine Form vermeintlicher "Political Correctness", die einen großen Teil des Potenzials des Film "Constantine" versickern läßt. Der Held darf eine raue Schale haben, aber er muss - im konventionellen Sinne - "gut" sein. Der "Hellblazer"-Constantine ist kein "guter" Mensch, aber ein halbwegs anständiger Charakter, zu dessen moralisch besten Zügen seine Abscheu vor unnötiger Gewalt gehört. Der Film-Constantine ist moralisch "gut" - aber ein keinen Kampf scheuender Waffennarr.
Auch wenn ich den "echten" John Constantine nicht zum Freund haben möchte - weil schon viele seiner Freunde durch seine Fehler oder einfach durch das magisch von ihm angezogene Pech umkamen - ist er mir aber grundsympatisch.
Der "Film-Constantine" ist ein netter Kerl mit sarkastischen Sprüchen. Und der Film hat gute Ansätze.
Mehr nicht.
MMarheinecke - Mittwoch, 23. Januar 2008
Grüße, Jari