Meinungsfreiheit und Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle

In der aktuellen Ausgabe der "Zeitschrift für neuen Lifestyle" U_mag (11/06) wurde der kritisch-rationalistische Philosoph Michael Schmidt-Salomon zum Thema "Meinungsfreiheit" interviewt. Auszugsweise
kann der Artikel auch im Internet gelesen werden:
Wer A sagt ... Thema Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit ist die Basis einer funktionierenden Demokratie. Nach der Ansicht Schmidt-Salomons nehmen wir uns dieses Grundrecht zunehmend selbst. Der Grund liegt in religiösen Auseinandersetzungen - nicht nur mit dem fundamentalistischen Islam - die von Angst und falscher Rücksichtnahme geprägt sind.
Wir müssen uns klarmachen, was religiöse Gefühle überhaupt sind und warum sie verletzt sind. Es hat was damit zu tun, dass hier Menschen sind, die meinen, dass das, was der Prophet XY oder die Gottheit Z gesagt hat, heilig ist und unantastbar für alle Zeiten. In einer säkularen Gesellschaft ist das aber nicht so. Da treten Leute auf, die sagen: Ich stimme dem, was XY gesagt hat, nicht zu! Damit wird das Unantastbare angetastet. Es kommt also nur zur Verletzung religiöser Gefühle, weil manche glauben, sie könnten ihre Weltanschauung unter Denk-mal-Schutz stellen.
(Hervorhebung von mir, MM.)

Schmidt-Salomon lehnt sowohl den Ansatz einer deutsch-christlichen Leitkultur wie dem kulturellen Relativismus ("Innerhalb ihrer Kultur soll die doch machen, was sie wollen") ab, weil durch diese Haltungen die Parallelgesellschaften erst aufgebaut werden, und tritt statt dessen für die aus der Verfassung definierten "Leitkultur Humanismus und Aufklärung" ein.
Rayson (Gast) - 8. Nov, 22:58

Das hat ja zwei Aspekte.

Zunächst zur "Verletzung religiöser Gefühle". Ich finde, jeder soll das Recht haben, religiöse Gefühle Anderer zu verletzen. Ebenso haben die, deren Gefühle da verletzt werden, das Recht, entsprechend zu antworten. Kein Grund, die Grenzen des zivilen Umgangs zu verlassen, kein Grund, den Gesetzgeber zu bemühen.

Was aber die "Leitkultur Humanismus und Aufklärung" betrifft, so halte ich das für utopisches Denken. Natürlich, man kann sowas als Ziel definieren (wobei mir der unverhohlene religionsfeindliche Unterton nicht so gefällt), aber es trägt zur Debatte nichts bei. Denn die Forderungen einer "Leitkultur" sind auf das Heute gezielt, und zwar mit dem Gedanken, das Zusammenleben nicht durch den Zusammenprall verschiedener nicht-kompatibler kultureller Eigenarten zu belasten. Es gibt immer ein höheres Etwas, auf das ich alle Beteiligten verweisen kann, aber eine feste Größe in der Realität des Alltags sollte das schon sein.

Hinzu kommt, dass "Humanismus und Aufklärung" eben *nicht* der kleinste gemeinsame Nenner von Christen und Muslimen ist. Diese Dialektik funktioniert nur theoretisch.

MMarheinecke - 9. Nov, 08:11

Hoffnung auf die "Leitkultur"

Da teile ich Schmidt-Salomons Ansicht nicht ganz: das die Idee einer "humanistisch-aufklärerischen Leitkultur" utopischen Züge trägt, müßte einem Philosophen einer kritischen Richtung eigentlich auffallen ... Es gibt ja Menschen, die ihn als "Aufklärungsfundamentalisten" bezeichnen, was er m. E. nicht ist, aber er lädt "Humanismus und Aufklärung" mit Bedeutungen und Wirkungen auf, die sie einfach nicht hergeben.

Schmidt-Salomon ist als vehementer Religionsgegner bekannt - von ihm stammt der Ausspruch, das jemand, der Philosophie, Kunst und Wissenschaft hätte, nicht mehr der Religion bedürfe. Ich vermute, er setzt keine Hoffnung darauf, dass Anhänger unterschiedlicher Religionen einen gemeinsamen Nenner finden, sondern eher darauf, dass der schädliche Einfluß der Religion zugunsten sekulären Werte, die keiner unhinterfragbaren transzendentalen Autorität, einem "höheren Etwas", bedürften, zurückgedrängt wird.

Mein Standpunkt ist nicht so vehement antireligös, allerdings stimme ich ihm darin zu, dass religiöse und spirituelle Aussagen (das sind zwei sehr unterschiedliche Begriffe!) nicht gegenüber anderen Aussagen priviligiert sein dürfen: sie müssen und sollen kritisierbar, hinterfragbar, karrikierbar sein.

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