Odin - Gott der Rechtsextremisten?

Es ist eine alte Masche: Man schreibe ein Sachbuch voller kühner Behauptungen, sensationeller Theorien und erschreckender Enthülllungen, die sich zufällig mit alten und weit verbreiteten Vorurteilen und Klischees decken.
Es gilt außerdem die Regel, dass sich ein Buch über zeitgeschichtliche Themen gleich doppelt so gut verkauft, wenn irgendein Bezug zu den Nazis besteht. Besonders gilt dies übrigens für den britischen Buchmarkt.

Ein Buch, das offensichtlich nach beiden Maschen gestrickt ist, wurde von David V. Barrett in der englischen Zeitung "The Independant" verdientermaßen verrissen: Pagan Resurrection, by Richard Rudgley - Norse mythology and its (dubious) links with modern-day extremists

Der Anthropologe und Rundfunkautor Richard Rudgley stellt "Pagan Resurrection" eine provozierende These voran: Odinismus hatte einen größeren Einfluß auf das moderne westliche Denken als das Christentum.
Allerdings geht es in Rudgleys Buch überhaupt nicht darum.
Rudgley beginnt mit dem Psychonalytiker Jung, der den Nationalsozialismus in Verbindung mit dem nordisch / germanischen Gott Odin / Wotan brachte und behauptete, dass der Archetypus Odins immer noch sehr mächtig sei.

Nach einem kurzem Blick auf die Mythen um Odin und die Entwicklungsgeschichte der Runen behandelt er das Interesse zahlreicher Nazi-Vorgänger an dieser Mythologie und den Runen-Symbolismus, den die Nazis sich zueigen machten.
So weit, so unstrittig. Dann aber betrachtet der Autor ultra-rechte Vereinigungen in Amerika, angefangen beim Ku Klux Klan, und behauptet, dass auch sie Odins archetypischen Lenden entsprungen seien.

Damit ignoriert er die Tatsachen. Die heutige amerikanische extreme Rechten sind (fast ausschließlich) weiße Protestanten.
Rassistische Gruppen wie "Christian Identity" zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einer Hand die Waffe, in der anderen die Bibel, und nicht die Edda, halten.

Ist der 168-fache Mord Timothy McVeighs, sein Sprengstoffanschlag 1995 in Oklahoma, wirklich einer der "Schrecken", der von der "unbewußten Manifestation des odinistischen Archetypus" erzeugt wurde? Natürlich nicht. Aber für Rudgley ist er es, so wie etliche andere Anschläge amerikanischer Rechtsextremisten auch.

NIrgendwo scheint sich Rudgley bewußt zu sein, dass Archetypen, wie Tarot-Karten und die Götter der meisten polytheistischen Religionen, in sich Gegensätze und Widersprüche vereinen. Der starke, wohltätige Anführer und der Tyrann sind zwei Seite der selben Medallie. Durch das ganze Buch hindurch konzentriert er sich auf die dunkle Seite Odins. Dabei verübt er die schlimmste wissenschaftliche Sünde, die ein Anthropologe oder Historiker begehen kann: er montiert sorgfältig ausgewählte Beispiele moderner Barbarei in ein Zerrbild der mythologischen Vergangenheit.

Nur auf den letzten 45 Seiten versucht er, einen Blick auf die positive Seite zu werfen, auf die "lebende Religion" des Odinismus, Asatru, oder auf die heutigen nordischen Traditionen.
Auch dabei kümmert er sich kaum um die Glaubensinhalte und Praktiken tausender moderner Heiden.
Rudgley beginnt sein Buch damit, dass er es "die Biographie eines Gottes" nennt und beendet es mit der Behauptung, es sei "eine Ethnographie ... eine Untersuchung der Kulturgeschichte der Mythen des nordeuropäischen Geistes". Es ist weder das eine noch das andere, sondern ein Katalog rassistischer Menschen und Organisationen, die sich nur über sehr fragwürdige Zwischenglieder, die eher Behauptungen als Fakten sind, mit Odin in Verbindung bringen lassen.

(Via: Witchvox.)

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