Die "Internet-Festplatten" und die Angst der Politiker vor Kontrollverlust

Dass beim "Kampf gegen den Terror" mutwillig elementare Bürger- und Freiheitsrechte abgebaut werden, ist schlimm: B.L.O.G.: Schiffbruch des Datenschutzes.
Auch schlimm ist, dass diese Überwachungsmaßnahmen bestenfalls wenig effektiv sind. Einfach nur ärgerlich ist es, wenn Politiker beim "Kampf gegen den Terror" eine gradezu grenzenlose Naivität an den Tag legen.
Ein "schönes" Beispiel gab es letzte Woche: heise ticker: Verfassungsschutz soll auf Computer übers Internet zugreifen dürfen.
"Nordrhein-Westfalens Innenminister Ingo Wolf (FDP) hat den Entwurf für ein neues Verfassungsschutzgesetz vorgestellt, das es ermöglicht, eine ganze Reihe von Sonderbefugnissen, die dem Verfassungsschutz im Rahmen der Terrorbekämpfung zugestanden wurden, erheblich zu erweitern. Nun sollen auch die Aktivitäten inländischer Terrorzellen im Internet überwacht werden können, weil sich die Sicherheitslage mit den misslungenen Terroranschlägen verändert habe: 'Bisher war die Terror-Gefahr abstrakt. Jetzt ist sie konkret', sagte der Innenminister."
Dabei soll der Verfassungsschutz wohl auch auf Rechner von mutmaßlichen Terroristen über das Internet zugreifen können, die Rede ist vom Zugriff auf "Internet-Festplatten". Daraus ließe sich schließen, dass ein - verfassungsrechtlich unzulässiger - Zugriff auf private Rechner durch den Verfassungsschutz geplant sei, etwa im Sinne von Hacker-Angriffen. (Davon abgesehen, das es fraglich ist, ob solche Ausspähversuche den geringsten Effekt hätten, wenn die mutmaßlichen Terroristen ein Minimum an Vorsicht walten lassen und sensible Daten verschlüsseln bzw. schlicht nicht auf der Festplatte liegen lassen.) Allerdings, entgegen dem, was Wolf gegenüber der Presse andeutete, heißt es in der Gesetzesvorlage konkret, dass die Verfassungsschutzbehörde folgende Maßnahmen anwenden darf:
"heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen beziehungsweise die Suche nach ihnen sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel."
Ich vermute, dass der Minister nicht sachkundig ist (was soll bitteschön eine "Internet-Festplatte" sein?). Dessen ungeachtet könnte der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich bedenklich sein. (Abgesehen wiederum davon, dass sich Kriminelle den vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen relativ leicht entziehen können.)

Was mir zu denken gibt: Wolf ist offensichtlich kein Kontroll- Hardliner und hat anscheinend begriffen, um was es geht. NRW-Innenminister gegen flächendeckende Videoüberwachung:
Wolf sagte, nach den fehlgeschlagenen Bombenanschlägen auf Regionalzüge finde "erneut eine kontroverse, zum Teil hitzige politische Debatte" statt. In deren Mittelpunkt stehe der "schon reflexartige Ruf nach neuen, zu verschärfenden Gesetzen und Sicherheitsmaßnahmen".
Offensichtlich versagt auf Gebieten, von denen sie offensichtlich wenig verstehen, der gesunde Menschenverstand bzw. der moralische Kompaß vieler Politiker. (Wolf ist nur ein Beispiel unter vielen.)
Ein möglicher Schluß wäre der, dass diese Politiker da, wo sie nicht selbst sachkundig sind, sich also unsicher fühlen, "Ratschlägen" von "Experten" gegenüber auffällig unkritisch sind. Was wiederum für die "Kontrollverlust-Angst"-Hypothese spricht.
Hellblazer - 3. Sep, 13:23

und ich hab letztens noch aus Spaß gesagt "Wenn das so weiter geht stellt sich noch einer hin und erzählt, dass "der Computer, auf dem das Internet läuft, besser kontrolliert werden muss"...

MMarheinecke - 3. Sep, 17:49

Ja, das kommt davon, wenn jemand keine Ahnung hat ...

... aber, weil er von Amtes wegen eigentlich Ahnung haben müßte, nicht zugeben mag oder kann, dass er keine Ahnung hat. Ideales Umfeld für Manipulatoren. Für ziemlich eine ziemlich naive Vorstellung des Minister spricht folgendes Zitat aus der Netzzeitung:
Am Wochenende hatte der Minister erläutert, dass es darum gehe, herauszufinden, «welche Islamisten sich Anleitungen zum Bomben bauen aus dem Internet ziehen und wer in verdeckten Chatrooms über mögliche Anschlagziele diskutiert».
Na ja, es soll ja Neonazis gegeben haben, die tatsächlich so naiv vorgingen. Aber selbst bei "Amateur-Terroristen" wie den Bahn-Bombenbauern dürfte das anders aussehen, auch wenn da schon mal einer vergißt, die Festplatte seines Laptops nach der Tat zu "putzen". (Amateur-Terrorist soll jetzt nicht die Gefährlichkeit herunterspielen - aber die Planer z. B. des Anschlags von Madrid waren von der "Professionalität" her ein anderes Kaliber.)

Komisch nur, dass die wenigsten Journalisten (zu deren Arbeitsgerät ja auch das Internetdingens gehört) sich trauen, da mal nachzuhaken: "Herr Minister, was meinen Sie eigentlich mit Internet-Festplatten?"

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