Samstag, 2. Oktober 2010

Blaualgen produzieren Propangas (als Treibstoff)

Ein Problem bei der Kraftstoffgewinnung aus Biomasse - Bioalkohol, Biodiesel usw. - ist die jämmerlich geringe Ausbeute an Sonnenenergie. Hinzu kommt, dass bei der heute noch üblichen Verfahren sozusagen potenzielle Lebensmittel verbrannt werden - Pflanzenöl oder Zucker, der zu Alkohol vergoren wird. Damit treten Autos in Konkurrenz zur menschliche Ernährung.
Ein Ausweg aus diesem Dilemma wäre es, ausschließlich sekundäre Pflanzenstoffen, z. B. Stroh, für die Energiegewinnung zu nutzen. Aber das wäre nur eine Nischenlösung, die auch ihre Probleme hätte.

Wirklich nachhaltig wäre meiner Ansicht nach Elektromobilität, wobei der Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Darunter verstehe ich übrigens nicht nur Elektroautos. Für eine nachhaltige Volkswirtschaft wäre es sinnvoll, z. B. den Personen- und Güterverkehr weitgehend auf ein engmaschiges, voll elektrifiziertes Schienennetz zu verlagern - ähnlich dem der Schweiz.

Aber es gibt Bereiche, in denen ein Elektroantrieb wegen der verhältnismäßig geringen Energiedichte von Akkumulatoren nicht infrage käme. Im Luftverkehr zum Beispiel. Oder wo er erhebliche Schwächen hätte, beim Autoverkehr über weite Strecken in dünn besiedelten Gegenden zum Beispiel.

Eine interessante Möglichkeit, Propangas (das bekannte "Flüssiggas" für Autos) nicht nur CO2-neutral, sondern sogar CO2 reduzierend zu gewinnen, wäre die direkte Herstellung von Propan mittels Cyanobakterien, besser bekannt als "Blaualgen". "Direkt" heißt, dass die Cyonobakterien mit Hilfe von Sonnenlicht, Wasser und CO2 aus der Luft Propangas erzeugen, während bei indirekten Verfahren die Algen geerntet und fermentiert werden, wobei z. B. Methangas aus der Biomasse gewonnen wird.

Mit dem am 1. Oktober dieses Jahres gestarteten europäischen "DirectFuel"-Projekt soll ein photobiologischer Prozess zur direkten Herstellung von Propan entwickelt werden.
Biologische Energiewandlungsprozesse eignen sich besonders dazu, jene Kohlenwasserstoffe zu gewinnen, mit denen unsere Verbrennungsmotoren laufen. Chemische Syntheseverfahren für Kohlenwasserstoffe sind seit Jahrzehnten bekannt und erprobt, sind aber aufwendig und energieintensiv. Die Cyanobakterien würden weder chemische Fabriken noch, abgesehen vielleicht von Rührwerken, zusätzliche Energie zum Sonnenlicht benötigen.

Die in der Natur vorhandenen Möglichkeiten für diese Umwandlung sind leider begrenzt. Hauptziel des "DirectFuel"-Projekts ist es deshalb, neue metabolische Synthesewege zu konstruieren, die die gewünschten Eigenschaften besitzen. (Es ginge also nicht ohne gentechnisch veränderte Cyanobakterien.)
Propan wurde als ausgewählt, da es bei Raumtemperatur unter normalem Druck gasförmig ist, jedoch mit nur geringem Druck leicht verflüssigt werden kann. Daher kann es als Produkt, das für die Herstellung von Kraftstoff geeignet ist, ohne direkten Eingriff in den biologischen Produktionsprozess "geerntet" werden. Auf alle sonst mit der Gewinnung von Biokraftstoffen verbundenen Extraktionsschritte kann verzichtet werden. Es kann jedoch trotzdem leicht und direkt in einen hochverdichteten Zustand überführt werden.
Propan wird seit mehr als einem halben Jahrhundert als Kraftstoff für Autos verwendet, auch Gasturbinen für Flugzeuge können mit Propan betrieben werden. Auch die Infrastruktur für die Verteilung ist schon vorhanden: In Deutschland gibt es zum Beispiel schon heute mehr als 5.000 Tankstellen, die Flüssiggas anbieten. Der Prozess ist hocheffizient und zur direkten Anwendung geeignet.

Weitere Informationen (auf Englisch):
Cyanolab

DirectFuel

Alarmismus und Konfliktscheu

Wenn ich mir so ansehe, welchen Weg die einstige Protestpartei "Die Grünen" genommen haben - bis zur totaler Rückgratlosigkeit, wie zur Zeit in Hamburg zu besichtigen - da frage ich mich oft, ob dahinter wirklich nur Opportunismus und "Verbürgerlichung" stecken.

In den "guten alten Tagen", vor über 20 Jahren, das zeichneten sich die (deutschen) "Grünen" vor anderen Parteien durch zwei Dinge aus: keiner Partei war so alarmistisch - und keine so harmoniesüchtig. Letzteres stand in einem gewissen Kontrast zu den innerparteilichen Konflikten, die aber, so sah ich es jedenfalls, das Bedürfnis nach Liebe, Freundschaft und Harmonie noch befeuerten.

Irgendwann in den 90ern muss das Streben nach Harmonie in Konfliktscheu umgekippt sein. Es war meiner Ansicht nach eher die Scheu vor der Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner SPD, als der Opportunismus und der Machtinstinkt Joschka Fischers, der zum Bruch mit der pazifistischen Tradition der "Grünen" führte - und zur Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Konfliktscheu ist alles andere als Friedensliebe.
Hingegen würde der einstige Alarmismus der "Grünen" mittlerweile gemäßigt wirken, denn seit gut 10 Jahren wird Politik in Deutschland vorzugsweise mit Schreckensszenarien gemacht - mit tatkräftiger Hilfe der Medien. Wobei es keineswegs die größten Gefahren sind, die am meisten Alarmstimmung hervorrufen - eher umgekehrt: seit Jahren gab es keinen Terroranschlag in Deutschland, von einen "Millardengeschäft mit Kinderpornographie im Internet" kann keine Rede sein, die Kriminalitätsrate ist niedriger als in den 90ern, die "demographischen Zwänge" einer "alternden Gesellschaft" sind beim näheren Hinsehen gar nicht so zwangsläufig, wie es gern dargestellt wird, und vieles mehr. Dass andere, reale, Probleme unter den Teppich gekehrt werden, gehört zur Stimmungsmache dazu. In manchen Fällen scheint der Alarmismus sogar dazu da zu sein, von den realen Problemen abzulenken - besonders durchsichtiges Beispiel: angeblich "immer gewaltätiger" werdenden Linksextremisten gegen tatsächlich immer gewalttätig gebliebene Rechtsextremisten.

Im Moment sind die "Grünen" wieder im politischen Aufwind - was, angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung ohne Not das längst "gegessene" Thema "Restlaufzeiten von Kernkraftwerken" reaktivierte - einschließlich "Erkundungen" im Salzstock von Gorleben. Damit reaktivierte sie auch die Anti-Atom-Proteste - von denen die "Grünen" stark profitierten. Fast ohne schrillen Alarmismus übrigens - die Wirklichkeit der merkelschen "Energierevolution" macht Horrorszenarien weitgehend überflüssig.

Dank der geradezu selbstmörderischen Machtpolitik des sich wie ein Diktator aufführenden Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Mappus ist es gar nicht einmal so absurd, sich für 2011 einen "Grünen" Ministerpäsidenten im Südwesten vorzustellen.
Allerdings erwarte ich von einer noch hypothetischen Regierung Özdemir keine Wunder. Der "anatolischer Schwabe" ist nämlich ein klassischer Kompromisskandidat, sogar mit "Migrationshintergrund", ohne nennenswerte Ecken und Kanten. Denkbar schlechte Aussichten für eine Reformpolitik, die diesen Namen verdient.

Noch etwas zum Alarmismus.
Ein älterer, aber nach wie vor aktueller Artikel vom Psychoanalytiker Peter Schneider über zwangsneurotische Marotten, die zunehmend als politische Forderungen daherkommen (aus dem Schweizer "Tagesanzeiger"): Erlaubt ist, was nicht stört - aber alles stört".
Obwohl es heißt, dass das, was in der Schweiz schon als eine heftige Kontroverse gälte, in der Bundesrepublik Deutschland als Schmusestunde durchginge, und das Schweizer Harmoniebedürfnis fast so berühmt ist wie die Banken, das Offiziersmesser, der Käse oder die Schokolade, scheint die Mentalität hinsichtlich des Alarmismus nicht allzu verschieden zu sein:
Mochte man sich in den Sechzigerjahren noch mit Herbert Marcuse Sorgen um die Gefahren einer «repressiven Entsublimierung» - die systemkonforme Entbindung und Zurichtung vormals verbotener Lüste - machen, so stehen wir heute eher vor dem Phänomen einer entsublimierten Repression: um die geradezu neurotische Lust an der Konformität.

Man sagt «Null-Toleranz», und die Augen der Menschen beginnen zu leuchten. Es gibt keine politische Partei unseres Landes, die sich nicht - vor allem in Fragen der Erziehung - an dem Überbiet-Wettbewerb der Etablierung neuer Regelungen und Restriktionen beteiligen würde. Was der minoritären Rechten das Minarett-Verbot, ist der links-liberal-bürgerlichen Mehrheit der gemischte Schwimmunterricht.
Das gilt - unübersehbar - auch für Deutschland.

Mittwoch, 29. September 2010

Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Wie ich neulich schrieb, funktionieren Einsparungen in der Regel nach einem einfachen Prinzip: es wird da gespart, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist. Bei denen, die sich schlecht wehren können (Stichwort: Hartz IV) oder da, wo die Bereitschaft für Widerstand erfahrungsgemäß gering ist.

Ein Beispiel - für viele - ist die beschlossene Schließung des Altonaer Museums in Hamburg.

Kulturprotest-1

Kulturprotest-2

Es geht dabei nicht "nur" um ein Museum. Es geht noch nicht einmal "nur" um den Kulturetat. Es geht um das Prinzip, dass bei den Schwachen gespart wird, auch wenn bei den Starken weitaus mehr zu holen wäre.

Protestaufruf der Ver.di gegen das Sparprogramm des Hamburger Senats: Die soziale Spaltung nicht vertiefen: Es ist genug für alle da!

Artikel auf "Zeit online": Kulturpolitik -
Spar dich reich!
.

Facebook-Seite: Altonaer Museum. Offen bleiben!

Sonntag, 26. September 2010

30 Jahre Oktoberfest-Anschlag - Wut statt "Betroffenheit"

Es war das blutigste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik. Vor 30 Jahren riss eine Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen in den Tod und verletzte mehr als 200 – teilweise schwer. Bis heute glauben viele nicht, dass ein einzelner Rechtsradikaler aus persönlichem Frust die Tat beging.
Einzeltäter oder Braune Armee Fraktion? (NPD-BLOG.INFO)

Ich spöttele oft Verschwörungstheoretiker, die grundsätzlich nicht an Einzeltäter glauben wollen. Im Falle der Oktoberfestbombe gefriert mir dieses spöttische Lächeln auf den Lippen. Denn auch ich gehöre zu denen, die nicht glauben, dass ein einzelner Rechtsradikaler aus persönlichem Frust die Tat beging.
Die blutige Spur führte zu den Neonazis. Doch die Ermittler haben diese Spur zu den Akten gelegt und stattdessen die Theorie vom Einzeltäter in die Welt gesetzt und festgeschrieben. So ist der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute nicht aufgeklärt.
Oktoberfest-Attentat

Als die auf Splitterwirkung ausgelegte Bombe auf dem Oktoberfest 13 Menschen buchstäblich bei lebendigem Leib in Fetzen riss - und über 200 Menschen zum Teil grausam verstümmelte - da war ich noch Schüler.
Ich fuhr am Tag nach dem Attentat mit dem Bus. Ich erinnere mich genau, wie der Busfahrer auf einmal rechts ran fuhr, den Motor abstellte und über Lautsprecher zu einer Gedenkminute für die Opfer des Oktoberfestattentates aufforderte.
Ich bat den Busfahrer, mich bitte aus dem Bus zu lassen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte, ich weiß nur dass ich wütend war. Und ich weiß, was ich beim Verlassen des Busses rief: "Das hilft den Opfern auch nicht!" Den Rest der Strecke ging ich zu Fuß.
Sicher war meine Reaktion trotzig und unreif. Aber ich ertrug diese verdammte Heuchelei und Desinformation nicht. Heute begreife ich, dass die Gedenkminute nicht für die Opfer, sondern für die Lebenden da ist - und das öffentlich bekundete Trauer eine Geste der Höflichkeit darstellt.
Damals war ich - natürlich - unreifer, impulsiver. Trotzdem war meine Reaktion, auch aus heutiger Sicht, nicht verkehrt. Ich hatte die Reaktionen der Medien und der Politiker auf den RAF-Terror im Hinterkopf: da überwog Abscheu und Wut. Das Oktoberfestattentat wurde wie ein tragischer Unfall behandelt. Eine Panne. Irgendso ein Irrer mit 'ner selbstgebauten Bombe. Das bloß niemand auf die Idee kommt, statt Betroffenheit Wut zu zeigen!
Ich zeigte Wut. Ich bin nicht stolz darauf, ich schäme mich ein wenig dafür, aber - ich musste es, verdammt nochmal, tun!

Mir war klar: mit diesem schrecklichen Attentat war die Blutspur des Rechten Terrors an einem Tag viel breiter, als es Jahre RAF-Terrors vermocht haben - ohne damit die Taten der mörderisch fanatischen RAF-Terroristen relativieren zu wollen. Und mir war auch damals klar: es "durfte" keine Staat und Gesellschaft bedrohende rechtsextreme Terrororganisation geben. Direkt nach dem Anschlag mutmaßte der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß es habe sich um einen Anschlag von links gehandelt. Obwohl es klar war, dass es nicht nicht zu den Taten der RAF passte, oder zu denen linksextremer Terrorgruppen in anderen Ländern Europas. Ich empfand einen beinahe körperlichen Ekel vor Strauß - dessen politische Positionen ich bis dahin zwar strikt ablehnte, den ich aber in gewisser Hinsicht respektierte, ja beinahe bewunderte. (Der Mann hatte im kleinen Finger mehr Charisma als der ganze heutige CDU / CSU-Spitze zusammen nicht!)
Ich war auf Strauß wütend. Ich war wütend, dass das Oktoberfest nur unterbrochen, aber nicht abgesagt wurde. Ich war wütend, dass eine Massenfahndung nach den Mittätern, im Stil der RAF-Fahndung, unterblieb.

Noch etwas zu den schweren Verletzungen: Ein ehemaliger "Sandkastenfreund" von mir war einige Jahre später wegen Tötens auf Verlangen angeklagt. Er hatte seine Mutter auf deren Wunsch vergiftet. Sie war beim Oktoberfest-Attentat grausam verletzt worden. Ihr mussten in unzähligen Operationen über 200 Splitter aus dem Körper entfernt werden - einige konnten nicht entfernt werden. Sie war praktisch blind und taub, hatte unzählige Narben. Sie saß im Rollstuhl, ein Bein amputiert, das andere steif. Jede Bewegung ihrer Arme schmerzte. Und das Schlimmste für sie: wegen einer desaströsen "Schmerztherapie", für die ich die Ärzte nicht verantwortlich machen möchte, da sie nur den damals im schmerztherapeutischen Entwicklungsland Deutschland üblichen Standards folgten - "Wundversorgung vor Schmerzversorgung, und Vorsicht mit Opiaten" - hatten sich die schrecklichen Schmerzen sich tief in das "Schmerzgedächtnis" eingefressen.
Ihr Sohn wurde durch die Bombe nur leicht verletzt. (Relativ leicht: Trommelfelle kaputt und eine tiefe Narbe auf der Stirn.) Er hadert noch heute deswegen mit sich selbst, weil es nicht ihn, sondern seine Mutter so schlimm erwischt hat. Er wäre für seine Sterbehilfe gern in den Knast gegangen. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn die Strafe nicht auf Bewährung ausgesetzt worden wäre, als letztem Dienst an der Mutter.

Es gibt kein Recht auf Rache. Aber es gibt ein Recht auf Wut. Es gibt das Recht der überlebenden Opfer und ihrer Angehörigen auf vollständige Aufklärung der Tat und ihrer Hintergründe.

Einige Jahre später besuchte ich mit einem noch ziemlich frisch nach München umgezogenen Bekannten das Oktoberfest. Auch wenn ich an diesem Abend nicht an das Attentat dachte: ich hatte keinen Spaß und wusste nicht, warum. Ich schiebe es normalerweise auf das enthemmt-flegelhafte Verhalten der besoffenen Festbesucher. Aber tief in mir drin werde ich wohl an den grausamsten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte gedacht haben.

Samstag, 25. September 2010

2000 - "Don't dream it - be it!"

Eine weitere autobiographische Episode über meinen "spirituellen Weg".
1974 - Sommer der Wandlung
1982 - Im Labyrinth der Eiszeit
1989 - "Paradigmas lost"
1997 - Der Schritt aus der Besenkammer.

Tiefe
"Tiefenrausch" - von mir im Januar 2000 gezeichnet.

Das Jahr 2000 - das letzte Jahr des alten Jahrtausends. Eine kurze Zeit, in der nicht nur ich das Gefühl hatte, dass alles gut oder wenigsten besser würde. Die Türme des World Trade Centers standen noch, niemand redete von einer abstrakt erhöhten Terrorgefahr. Die "New Economy" (diese bald platzende Blase) glänzte mit coolen Startup-Firmen in umgebauten Fabriketagen. In Deutschland war die Regierung Schröder noch einige Jahre von "Agenda 2010" und Hartz-Reformen entfernt. Gut, "rot-grün" hatte den völkerrechtlich fragwürdigen Bosnien-Kriegseinsatz der Bundesluftwaffe zu verantworten, aber insgesamt schien nach den schier endlosen Kohl-Jahren ein frischer Wind zu wehen: Schwulenehe, reformiertes Ausländerrecht, Atomausstieg - "Reform" war noch kein Gruselwort, "neoliberal" übrigens auch noch nicht. Irgendwie hatten viele zwar das Gefühl, dass da irgend etwas faul war, aber ich gehörte eher nicht dazu. Ich war nach wie vor in der Science-Fiction & Fantasy-Szene aktiv, schrieb eifrig, und veröffentlichte sogar mit einigem Erfolg populärwissenschaftliche Artikel. Ja, das war vor der großen Anzeigenkrise. (Auch wenn der bekannte Witz, "Honorar" käme von "rar", auf meine Ausflüge in den Journalismus voll und ganz zutraf.)

Wie erging es mir, nachdem ich bekennender Neuheide und "moderne Hexe, männlich, nordisch-freifliegend", wie ich mich zuweilen ironisch nenne, geworden war?
In gewisser Hinsicht: erst mal ernüchtert. Nach kurzer Zeit war ich gründlich desillusioniert. Weniger wegen der schier grenzenlosen Naivität mancher, vor allem junger, Hexen - damit hatte ich gerechnet. Oder wegen des Dralls nach rechtsaußen auch bei sich verbal von Nazis abgrenzenden Heiden, vor allem germanischer und keltischer Orientierung - davon wusste ich schon früher. Über "Kommerzhexen" und autoritäre "Heidenfürsten" konnte ich nur bitter lachen.

Nein, es war eine spezielle, bei modernen Hexen und Magiern leider nicht seltene Auffassung von Magie, die mich sehr ernüchterte. Eine Auffassung, die auch in dem, was gemeinhin als Esoterik bezeichnet wird, ziemlich weit verbreitet ist. (Für Satanisten ist sie, den Eindruck hatte ich, sogar obligatorisch.) Es ist eine extrem egozentrische und deutlich egoistische Haltung, die sich gut mit dem Satz: "Ich und der Rest des Universum" skizzieren lässt.

Es geht diesen "hochspirituellen" Menschen nur um die Beziehung des Ichs (wahlweise auch des Selbsts, was in diesen Zusammenhang wenig bedeutet) mit ihrer Umwelt (oder dem, was sie dafür halten).
Im harmlosen Fall kreist dann ihr Denken nur noch um ihre eigene Lebenssinnproblematik. Das sind jene Leute, über die ich gern spotte, sie würden sich ganz entspannt am Leben vorbei meditieren.

Erstaunlich viele Hexen und "Hexen" versuchten mit großem Eifer Wunschmagie, im Eso-Jargon auch Gesetz der Anziehung genannt (um der Göttin der Weisheit willen nicht zu verwechseln mit dem Gesetz der Massenanziehung / dem Gravitationsgesetz) zu praktizieren. Obwohl diese Form der Magie manchmal funktioniert (für Skeptiker: zu funktionieren scheint), führt sie bei den Wunschmagie Praktizierenden offensichtlich oft zu einer manchmal grotesken Verzerrung der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Größenwahn, oft in Verbindung mit Beziehungswahn und Verfolgungswahn und die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, sind die typischen Eigenschaften solcher ganz doll magischer Wunschdenker, pardon, Magier. (Das könnte, nebenbei, die Mentalität typischer "Heidenfürsten" und vergleichbarer Möchtegern-Gurus auf keltisch oder germanisch erklären.)
In milderen Fällen verstärkt die "einfache Bestellung beim Universum" die ohnehin weit verbreitete "jeder ist seines Glückes Schmied"-Mentalität, und zwar so, dass grundsätzlich das Opfer selbst schuld an seinem Unglück sei. Wenn die Magie nicht funzt, dann hat Hex was falsch gemacht.
Egal, ob weltfremder Dauermeditierer, von der "Machtzentrale Wohnzimmer" aus die Geschicke des Universums bestimmender Meister der Zeremonialmagie oder vernagelter Mochtegern-Papst: die "ich und der Rest des Universum"-Mentalität führt dazu, dass diese Menschen, auch wenn sie viel von "kosmischem Bewusstsein" und "alles hängt mit allem zusammen" reden, übergeordnete Perspektiven nicht mehr einnehmen wollen oder können. Alles wird gnadenlos aus der persönliche Froschperspektive gesehen, was durch den häufig bei solchen Menschen anzutreffenden ideologischen Tunnelblick zu fast völliger Realitätsblindheit führt.

Als ich so die heidnischen und hexischen Websites und Foren absurfte (auch so eine heute aus Mode gekommene Metapher), verstärkte sich ein Eindruck, den ich auch bei der Begegnung mit Hex und Heid im echte Leben hatte. Damals brandete eine Hexenwelle auf, es war (in geneigten Kreisen) chic, Hexe zu sein oder wenigstens auf Hexe zu machen. Es begann die Zeit der Kommerz-Hexen auf dem Esoterikmarkt, zum Teil direkt an die vorausgegangene Schamanen-Wellen anknüpfend.
Von spiritueller Harmonie und Toleranz war in den Internet-Trollhöhlen wenig zu spüren, eher die Lust auf einen gepflegten Flamewar. Manche Internet-Hexen erinnern sich gewiss an ein bestimmtes Forum, das allgemein als "die Grüne Kampfwiese" bekannt war.

Es gab für meinen Geschmack zu viele Möchtergerns und zu wenig Macher. Träumen ist wichtig, aber wie heißt es so schön und treffend: "Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum!"

Damals fragte ich mich oft selbstkritisch, ob ich auch zu den Möchtegerns gehören würde. Leider hieß es auch bei mir auf heidnisch-spirituellen Gebiet zu oft: "ich würde gerne" und zu selten "ich mach's".
Die Frage: "Bin ich es?" konnte ich mit "Ja" beantworten. (Ob die Antwort jeden zufrieden gestellt hätte, wage ich zu bezweifeln. Es gibt erstaunlich viele Menschen, die nicht einmal akzeptieren, dass Warzen-Besprechen geht. Auch wenn es dafür mit dem Placeboeffekt ein akzeptiertes Erklärungsmodell gibt. Damals akzeptierte ich - endlich - dass ich, wenn ich ehrlich zu mir und zu anderen bin, unweigerlich zwischen den Stühlen sitze. Oder auf dem Zaun.) Leider hat die "spirituelle Öffnung" ihren Preis: erhöhte psychische Verwundbarkeit. Hinzu kam, dass der "Zaun" zwischen skeptisch-rationalem Denken und "magischem" Denken sozusagen mitten durch mein Gehirn verläuft. Also, dass ein Teil von mir genau weiß, dass z. B. Rutengehen funktioniert (sogar aus eigener Erfahrung) und ein andere ebenso genau weiß, dass Rutengehen wissenschaftlich solide falsifiziert ist. Der Weg aus diesem Dilemma ist schwierig.
Ich lernte erst langsam, mich selbst zu schützen. Zu langsam. Aber genug gejammert.

Denn in mancher Hinsicht hatte ich es geschafft, meine Träume zu leben. Es ist im Rückblick gerade erstaunlich, wie viele Jugendträume ich nach 1989 (dem entscheidenden Wendejahr - auch für mein Verhalten) verwirklichte, wenn auch nicht die "bürgerlichen" Träume von beruflicher Karriere und materiellem Wohlstand. Besonders wichtig war es für mich, dass ich nicht mehr der kontaktarme Außenseiter von früher war, sondern "wichtige Leute" kannte - und diese Leute mich kannten. Dass ich vernetzt war. Freunde hatte.
Oder dass ich, um ein anderes Beispiel zu nennen, nicht mehr, wie viele, davon redete, mal ein Buch zu schreiben. Sondern es einfach machte.

Was ich suchte, waren Heiden, die nicht zur typischen "Heidenszene" gehörten. Die sich nicht darauf hinausredeten, "unpolitisch" zu sein. Die nicht kritiklos an angebliche "uralte Traditionen", bis zur Steinzeit und noch drei Steine weiter, glaubten. Die sich mit Magie beschäftigten, ohne den kritischen Verstand und 2500 Jahre Wissenschaft über Bord zu werfen.
Die ökofemistischen Hexen im Sinne Starhawks imponierten mir und zeigten, dass Neopaganismus politisch und emanzipatorisch sein konnte.
Was ich suchte, war eine Organisation oder Gemeinschaft, in der ich mich politische und aufklärerisch engagieren konnte, und das mit authentischer heidnischer Spiritualität zu verbinden.

Mein Problem dabei war, dass Worte billig sind, und besonders billig sind sie im Internet. Wem konnte ich glauben? Die Antwort war klar: ich kannte da jemanden, der sich "heidnischer Magier" nannte, politisch dachte, ein enormes Wissen hatte, klug war, geistreich spöttisch war - und vor allem: nicht nur redete.

Kennengelernt hatte ich ihn nicht über einen Hexen- oder Heidenstammtisch oder bei einem öffentlichen Ritual, sondern 1999 auf einem Science-Fiction-Con, genauer gesagt, einem "Perry-Rhodan"-Con, dem Thorecon in Braunschweig.

Ich setzte mich schon einige Zeit mit dem Denken und der Ideologie "moderner" Rechtsextremisten auseinander. Zwar sind "Durchschnittsnazis" geistig oft schlicht gestrickt und fast alle "Rechten" bis weit ins bürgerlich-rechtskonservative Lager klassische autoritäre Persönlichkeiten - aber es gibt auch Vordenker, deren Ideen im rechtsradikalen Kreisen nachgedacht werden. Einer dieser Neonazis mit Grips, Christian Worch, war auch Fantasy-Fan und hatte sogar einige recht lesbare Geschichten geschrieben. Erstaunlicherweise waren das, anders als man meinen könnte, keine ideologiedurchtränkten Propagandamachwerke, selbst die fantasy-üblichen Machtphantasien blieben im unteren fantasy-üblichen Bereich. Um diesen auffälligen Widerspruch zu klären, herauszubekommen wie Worch "tickt", führten Klaus N. Frick, Journalist, Punk, Antifaschist (und "Perry-Rhodan"-Chefredakteur) und ein gewisser Hermann Ritter ein ausführliches Interview mit ihm. Dieses Interview wurde vom SFCD e. V. (Senioren-Fischerei-Club "Donnerangel" Science-Fiction-Club Deutschland) in gedruckter Form herausgegeben. Ich hatte, nachdem ich dieses Interview gelesen hatte, noch einige Fragen. Und wie es sich so gut traf, traf ich Klaus N. Frick (den ich bereits persönlich kannte) und seinen Freund Hermann Ritter (den ich zwar mal irgendwo gesehen hatte, aber noch nicht kannte) auf dem "Thorecon", wo ich ihnen diese Fragen auch stellte.
Dabei bekam ich mit, dass Hermann aktiver Neuheide war - und zwar unter anderem einem in Verein, dessen Website ich bisher kaum beachtet hatte: dem Rabenclan e. V..

Ich sah mir die Website des Rabenclan ein wenig genauer an, und fand dort interessante, wenn auch oft in etwas verzopftem "Gelehrtendeutsch" gehaltene, Analysen über rechtsextreme Strukturen in der deutschen Heidenszene. Genau das hatte ich gesucht! Die gelehrten Abhandlungen stammten von einem gewissen Hans Schuhmacher, offensichtlich Sozialwissenschaftler und eben so offensichtlich "links". HaSchu schrieb für das "Ariosophieprojekt der Nornirs Ætt" - die "Nornirs Ætt", das waren, wie ich erfuhr, die Ásatrú im Rabenclan.
Ich hatte es auch mit den nordisch-germanischen Göttern (ohne Athena untreu zu werden), scheute mich allerdings davor, das nach außen hin allzu sehr zu betonen: wer nordisch-germanisches Neuheidentum öffentlich praktiziert, macht sich unter Umständen verdächtig, "völkisch" gestrickt zu sein, während man als "moderne Hexe" (auch männlichen Geschlechts) schlimmstenfalls in der "Spinner"-Ecke landet. (Außer bei religiösen Fundamentalisten, für die das satanistisch ist.) Dass da jemand aktiv daran ging, dieses Bild gerade zu rücken, imponierte mir.

Mein letzten Anstoß, mich dem Rabenclan zu nähern und schließlich beizutreten, war die Domain Asatru.de, die, wenn man damals nach "Asatru" suchte, in den Suchergebnissen ganz oben stand. Sie gehört (leider) der extrem rassistischen "Artgemeinschaft".
Es gibt auch Alpträume. Einer war, dass das "metapolitische" Konzept der "modernen" Rechtsextremisten funktionieren würde, und sie die Diskurse auch außerhalb ihrer Anhängerschaft bestimmen könnten. Aber schlechte Träume fordern zugleich auf, etwas zu tun, damit sie nicht Wirklichkeit werden.
Ich fühlte mich berufen, mitzuhelfen, den "Nazitrus" das Konzept zu verderben und die "Heidenszene" aus dem Dunstkreis des "deutsch-völkischen" zu befreien. Also wurde ich "Rabe".

Donnerstag, 23. September 2010

Einsparen und Symbol-Steuern

Es muss bekanntlich gespart werden - koste es, was es wolle! Wobei gern "vergessen" wird, wie die horrenden Staatsschulden zustanden kamen Bankenrettung macht aus Irland einen Pleitekandidat (telepolis) und dass der strikte Sparkurs auf die Dauer teuer kommen könnte: Geldpolitik: Wie die US-Notenbank die Deflation fürchten lernt (FTD).

Gern eingespart wird auf allen Ebenen bei der Kultur. Der Fall der beschlossenen Schließung des Altonaer Museums ist nur eines von zahllosen Beispielen von "schmerzvollen Einschnitten" in den Kulturetat. Was sich auch aus der (erworbenen) Tunnelblick-Mentalität und Selbstdenkunfähigkeit der "Ölprinzen", die ja einen wachsenden Teil unserer "Entscheider" in Politik und Wirtschaft ausmachen, resultiert: Kultur ist nun einmal nicht produktiv. Einige wenige Bereiche der Kulturindustrie sind, im privaten Sektor, eventuell profitabel, aber für den öffentlichen Bereich ist Kultur nur ein unproduktiver Kostenfaktor. Allenfalls einige prestigträchtige Image-Projekte sind staatsbetriebswirtschaftlich verantwortbar.

Das Prinzip, nach dem gekürzt wird, ist einfach: da, wo am wenigsten Widerstand zu erwarten ist.
Wer sich aber nicht nur gut wehren kann, sondern sogar in der Lage ist, zu erpressen, dem wird gegeben. Finanzpolitik kann ja so einfach sein - fast wie im Gangsterfilm.
Genau so ist es auf der Einnahmenseite. Man muss sich nur einmal die Einkommensteuersätze ansehen - oder die abgeschaffte Vermögenssteuer.
Aber das weiß ohnehin jeder - bis auf die, die es nicht wissen wollen.

Wie aber sieht das auf der Ebene der stets klammen Kommunen aus? Höhere Gewerbesteuern? Vertreib zuverlässig Investoren.
Größeren Anteil an Landes- und Bundessteuern? Land und erst recht Bund sitzen rein machttechnisch gesehen, am längeren Hebel.
Phantasie ist gefragt, wie sich Steuern und Gebühren so gestalten lassen, dass die Mehrheit des Wahlvolkes entweder meint, sie beträfen sie nicht - oder, noch besser, beträfen die, die es sowieso nicht besser verdient hätten.
Also führt man, wie in Hamburg vorgesehen, und in Österreich schon praktiziert, eine Kostenbeteiligung bei leichten Verkehrsunfällen ein: die Unfallverursacher zahlen 40 Euro pro Polizeieinsatz. Kostenfrei kommt die Polizei nur noch bei Verkehrsunfällen mit Verletzten oder bei Unfallflucht. Jedenfalls vorerst.
Oder man führt, wie in den bekannte Kurorten Köln, Weimar und demnächst auch Hamburg, eine verpflichtende Kurtaxe ein. Die Taxe in Höhe von etwa fünf Prozent wird für Übernachtungen in den Hotels erhoben. Die Einheimischen sind nicht betroffen - optimale Einnahmequelle! Jedenfalls, wenn die Realität der Übernachtungen sich daran hält.

Populär sind auch symbolträchtige Steuern - auf Dinge, die der Volksgesundheit schaden. Leider hat eine Kommune ja keine Möglichkeit, z. B. eine Abgabe auf ungesunde Lebensmittel einzuführen. Außerdem gäbe das bloß Ärger mit diversen starken Lobbys.
Aber wie wäre es z. B. mit einer Sonderabgabe auf Solarien?
Essener Stadtrat beschließt "Bräunungssteuer"
Besitzer von gewerblich betriebenen Solarien, Sonnenbänken und ähnlichem sollen monatlich 20 Euro pro Gerät an die Stadt zahlen. Natürlich ist das auch gut für die Gesundheit der dummen Bürger, die ja nicht wissen, was für sie gut ist:
"Neben der Einnahmeerzielung hat diese Steuer jedoch auch den Zweck, aus Gründen der Volksgesundheit die Anzahl der in Essen betriebenen Geräte zu begrenzen."

Der Bund der Steuerzahler (übrigens auch eine Interessenvertretung - nicht aller Steuerzahler, sondern der gut Verdienenden, die an einem "schlanker Staat" und niedrige Steuersätze interessiert sind - notfalls auf Kosten des Sozialstaates), also der BdS, hat sich gegen die Steuer ausgesprochen. Und er hat recht, denn: "Bei einem voraussichtlichen Aufkommen von 150.000 Euro pro Jahr trägt die neue Steuer nur unwesentlich zur Haushaltskonsolidierung bei."
Wenn die Steuereinahmen überhaupt so groß sind - im Ruhrgebiet liegen die Städte bekanntlich dicht an dicht.

Aber sie hat Symbolkraft: Wir tun was! Wir tun sogar was für die Gesundheit! Und wenn der "Photomed Bundesfachverband Solarien und Besonnung" angekündigt, Klage einzureichen, wenn die Steuer beschlossen wird - soll er doch. Außerdem ist er eine eher schwache Lobby. Da es um die Gesundheit geht, bleiben wir moralischer Sieger! Popularität!
Die Frage, ob UV-Bestrahlung vielleicht auch positive gesundheitliche Wirkungen hat, verdrängen wir besser.


Zu diesem Thema gab es neulich in der 3Sat "Kulturzeit" einen netten, unterhaltsamen Beitrag, über den sich "Photomed" freuen
dürfte. Jedenfalls freuen würde, wenn er weniger ironisch wäre:



Stammt übrigens aus der Reihe Die zehn Verbote - womit wir fast wieder beim neuen Puritanismus wären.

Mittwoch, 22. September 2010

Kahlschlag: Hamburg schließt Altonaer Museum

Das Altonaer Museum in Hamburg wird nach einem Beschluss des schwarz-grünen Senates (der Hamburger Landesregierung) geschlossen! Schwarz-Grün in Hamburg vereinbart Einsparungen von 510 Millionen Euro.

Nach einer dpa-Meldung sprach Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus von einem schmerzlichen, aber notwendigen Einschnitt.

Das "Altonaer Museum für Kunst- und Kulturgeschichte", früher "Norddeutsches Landesmuseum" ist eines der größten und traditionsreichsten Museen in Hamburg. Neben den Kunstsammlungen enthält es Sammlungen für Nordeutschland typischer Bauten und Gebrauchgegenstände, vom Mittelalter bis zur Moderne, mit den Schwerpunkten: Schiffbau und Schiffstypen, Fischerei, Bauernhaustypen und Bauernstuben, und Trachten.

Außer dem Haupthaus gehören zum "Altonaer Museum":
  • das Jenisch-Haus (Museum großbürgerlicher Wohnkultur)
  • das Heine-Haus: Das 1835 erbaute Gartenhaus Salomon Heines, des Onkels des Dichters Heinrich Heine, dient für Sonderausstellungen und anderen Veranstaltungen.
  • der Lühe-Ewer "Elfriede", Liegeplatz: Museumshafen Övelgönne
  • das Rieck-Haus, ein historisches Bauernhaus, mit dem "Vierländer Freilichtmuseum"
Insgesamt präsentiert das "Altona Museum" mit seinen Außenstellen rund 640 000 Objekte. Der Etat für dieses Jahr umfasst 3,5 Millionen Euro.

Es fällt mir, angesichts dieses Beschlusses, schwer, nicht sarkastisch zu werden. Zumal die Sparzwänge, der sich die Hamburger Regierung gegenübersieht, zum Teil selbstgemacht bzw. fahrlässig verursacht sind. (Stichwort: Elbphilharmomie - Gesamtkosten: Etwa eine halbe Milliarde Euro, rund zwei Drittel davon sind Steuergelder - ursprünglich waren nur 115 Millionen öffentliches Geld eingeplant.)

Nachtrag und Demo-Aufruf:

Wir sind das Altonaer Museum! Helfen Sie mit, die Schließung zu verhindern!

Demotermine:
Morgen, 25.9. ab 11 Uhr, Treffpunkt Altonaer Bahnhof vor Burger King!

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Donnerstag, 16. September 2010

Im Gedenken an eine Verteidigerin der "kleinen Sünden"

Wie "New York Times" am 13. September berichtete, starb vor kurzem die (außer bei Puritanern und Gesundheits-Fanatikern) beliebte us-amerikanische Schriftstellerin Barbara Holland - "Barbara Holland, Defender of Small Vices, Dies at 77"
“Joy has been leaking out of our life. We have let the new Puritans take over, spreading a layer of foreboding across the land until even ignorant small children rarely laugh anymore. Pain has become nobler than pleasure; work, however foolish or futile, nobler than play; and denying ourselves even the most harmless delights marks the suitably somber outlook on life.”
Die Freude ist aus unserem Leben entwichen. Wir ließen die neuen Puritaner an die Macht kommen, die eine Decke der Drohungen über das Land legen, bis sogar unwissende kleine Kindern nur noch selten lachen. Schmerz wurde edler als Vergnügen; Arbeit, selbst dumme oder sinnlose, edler als das Spiel; und dass wir uns sogar die harmlosesten Freuden versagen kennzeichnet die angemessene düstere Lebensanschauung.
Sie hat leider so recht, nicht nur für die USA, sondern vielleicht mehr noch für Deutschland. Zwar ist die puritanische fixe Idee, dass Genuss Sünde sei, hierzulande nicht so weit verbreitet wie im Mutterland des modernen Puritanismus, aber Vorwürfe an Kranke, sie seien doch "selber schuld" und schadeten so der Gemeinschaft, machen das ohne weiteres wett. Wie in den USA herrscht bei uns (auch in den katholischen Gegenden) eine "protestantische Ethik" im Sinne von Webers Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus vor:
„Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen [glückseligen] oder gar hedonistischen [lustorientierten] Gesichtspunkten entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem ‚Glück‘ oder dem ‚Nutzen‘ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint“
Warum gewinnt diese in mancherlei Hinsicht fragwürdige "Ethik des Geizes" wieder an Boden, obwohl in den vom Massenkonsum geprägten kapitalistischen Gesellschaften in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ein gemäßigter Hedonismus durchaus gesellschaftsfähig war und zum Teil noch ist? Vereinfacht lässt sich sagen, dass die protestantische Ethik die klassische kapitalistische Gesellschaft ermöglichte. Umgekehrt begünstigt eine Rückkehr zu "klassisch kapitalistischen Verhältnissen" - also: strickte Klassengrenzen, "industrielle Reservearmeen", mit deren Hilfe Löhne gedrückt werden, Abbau des staatlichen und gemeinwirtschaftlichen Sektors, "Herr im Haus"-Politik der Kapitalisten, "Reproletarisierung" der Unterschicht usw. - auch die sie legitimierende Ideologie: die "protestantische Ethik" im Sinne Webers (deren extremste Form der vom Calvinismus abgeleitete "moderne Puritanismus"ist).
Ein weiterer Faktor, der den religiös begründeten Puritanismus (der sich auch bei Katholiken finden lässt) erstarken lässt, ist die Gegnerschaft zum Islam. "Dem Islam" bzw. dem neopuritanischen Zerrbild des Islams mangelt es an der nötigen Arbeitsethik. Aber dafür hätte "der Islam" andere Tugenden, die der "dekadente Westen" nicht mehr hätte: Opferbereitschaft, unbedingte Loyalität, Familiensinn, die Bereitschaft, viele Kinder aufzuziehen, und (selten offen ausgesprochen) eine Ordnung, die Frauen, Schwule, "Säufer", "Asoziale" "an ihren Platz" weist. Der Islam hat also alle "Tugenden", die einst "das christliche Abendland" stark gemacht hätten, bis auf die Arbeitsethik, hingegen hätte das Abendland von seinen "alten Tugenden" fast nur die Arbeitsethik behalten, und auch mit der ginge es bergab. (Von den "Sieben Todsünden" würde "die Moderne" alle bis auf die Faulheit "freudig umarmen".)
Folgerung: damit die "Musels" uns nicht erobern, müssen "wir" wieder so werden, wie die westlichen Industrienationen mal im 19. Jahrhundert gewesen waren (zumindest in der Vorstellungswelt der neuen Puritaner).

Wie das in der Praxis bei den heute Heranwachsenden funktioniert, lässt sich an der neuesten Shell-Studie und an der Rheingold-Studie ablesen, die sich hinsichtlich der Ergebnisse wenig unterscheiden - die Interpretation ist drastisch verschieden: wenn die Shell-Studie die Jugend als optimistisch und pragmatisch schildert, schilde die Rheingold-Studie sie als angstvoll und ungeheuer anpassungswillig. Beiden Studien zufolge gewinnt eine konservative, im Kern protestantische Ethik, verbunden mit neospießigem Verhalten, unter den jungen Leuten an Boden. Aus Panik angepasst und unter Selbstkontrolle (telepolis).

Zurück zu Barbara Holland. Sie trank mit Lust Alkohol und qualmte wie ein Schlot. "Natürlich" starb sie an Lungenkrebs - aber mit 77 kann das sogar abstinenten Nichtrauchern blühen.
Zwar möchte ich sie nicht als Vorbild darstellen. Rauchen ist nicht nur extrem ungesund, sondern ein höchst unbefriedigendes Laster, weshalb ich es mir abgewöhnte. (Ich war zwar nur "Genussraucher" - abends mal ´ne Pfeife zur Entspannung - aber irgendwann merkte ich dann auch tagsüber den "Nikotinjieper" - sicheres Zeichen, dass es Zeit war, aufzuhören.) Ich denke aber nicht daran, meinen (mäßigen) Alkoholkonsum und meinen (seltenen) Gebrauch anderer Drogen einzustellen.

Nichts gegen Sport - solange er Spaß macht. Nichts gegen gesunde Ernährung - aber gut schmecken muss sie schon.
Ein viel erstrebenswerteres und wie ich finde, gesünderes, Ideal als das der Askese ist die Mäßigung, das Einhalten der "rechten Maßes".

Es ist immer ein Alarmzeichen, wenn die kleinen Sünden mit großen Aufwand bekämpft werden.

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