Orwell wußte schon, wovon er schrieb
Bettina Winsemann merkt in einem "telelepolis"-Artikel an, dass bemerkenswert viele Pläne der britischen Regierung an Dystopien wie "Demolition Man", "V for Vendetta" und "Die Klapperschlange" erinnnern. Subkutane RFID-Chips für Straftäter wären hierfür nur ein Beispiel. Von Filmen lernen, heißt überwachen lernen.
Ich vermute nicht, dass die britische Regierung oder ihre Berater ihre Ideen aus dem Kino beziehen. Vermutlich gibt es für die verblüffende Übereinstimmung einen anderen Grund, und dieser liegt in der Tradion der britischen literarischen Dystopien.
Aldous Huxley , George Orwell, aber auch Alan Moore und David Lloyd, die Schöpfer des Comics "V", ferner dystopische Science Fiction Autoren wie John Brunner - und nicht zu vergessen Science Fiction und Fantasy schreibende Moralisten wie C. S. Lewis - sie alle waren Kenner der Abgründe der britischen Gesellschaft. Zu diesen Abgründen gehört neben einer nie richtig überwundene Klassengesellschaft eine Art übergroßes puritanisches Ich-Ideal. Zur Erläuterung: das reale Victorianische Zeitalter war z. B. längst nicht so "sittenstreng", wie wir uns das heute vorstellen: in dieser Zeit des rapiden technischen und gesellschaflichen Wandels blühten die Pornographie, der Drogengebrauch, eine vorher und später beispiellose Sucht nach dem Abenteuer, aber es entstanden auch die Grundlagen der Frauenemanzipation und Ansätze zur sexuellen Befreiung. Die "Victorianische Prüderie" war nur eine konservative Gegenströmung gegen den vorherrschenden Zeitgeist dieser Epoche. Da diese Gegenströmung aber sehr stark verklärt wurde, vor allem in der Literatur, und sie dem "offiziellen" (nach außen hin vertretenen) puritanischen und auf selbstverleugnende Pflichterfüllung gerichteten Idealen der "Upper Class" entsprach, prägte sie das Bild späterer Generationen über das sittenstrenge Victorianische Zeitalter.
(Auf diese Idee bringt mich ein Buch, dass ich gerade lese: "Inventing the Victorians" by Matthew Sweet. Wenn ich es ausgelesen habe, mehr dazu.)
Dem "Ich-Ideal" der "Sittenstrenge" entspricht der - von den oben genannten Dystopisten ausnahmslos beobachtete - britische Hang, moralische Vorschriften durch die "Staatsmacht" durchzusetzen. Im Extrem führt das zur "Diktatur des Anständigen".
Folglich liegt vielen Dystopien der "britischen Schule" (auch einige Autoren in anderen englischsprachigen Ländern folgen ihr, und Epigonen gibt es sogar in Deutschland) die selbe ethische Grundstruktur zugrunde, die auch britische Regierungen und britische Politik-Experten, Juristen, Journalisten antreibt.
In us-amerikanischen Dystopien, z. B. denen Phillip K. Dicks (der die Vorlagen mehrerer dystopischer SF-Filme schrieb: "Blade Runner", "Total Recall", "Minority Report") tritt ein Aspekt ins Zentrum, der bei britischen Dystopien meistens "nur" Teil des staatlichen Unterdrückungs- und Überwachungsapparates ist: die Manipulation des Bewusstsein des Einzelnen. Und auch hier lassen sich Parallelen zur politisch-gesellschaftlichen Realität finden: Manipulation als wichtigste Machttechnik.
Es sind aber eher marginiale Unterschiede in der Gewichtung, denn auch in den US gibt es eine überhöhte puritanische Anstandsregeln-Moral (wenn auch mit anderen Schwerpunkten als die Großbritanniens).
Wie sieht es aber in Deutschland aus? Leider gibt es hierzulande nur wenige einigermaßen erfolgreiche dystophische Autoren, und diese sind meistens britischen und amerikanischen Vorbildern verpflichtet. (Was nicht ausschließt, dass es den britischen ähnliche Strukturen auch hierzulande gibt.)
Einige Unterschiede sowohl zur britischen wie auch zur amerikanischen "Anstandsstruktur" sind auffällig: in Deutschland ist die öffentliche Sexualangst (alias Prüderie) weniger ausgeprägt und im Vergleich sind auch die liberalen Traditionen (sowohl die Wirtschaftsliberalen wie die Bürgerrechtsliberalen) hierzulande weniger ausgeprägt - Deutschland ist vom Denken her staatbezogener, "etaistischer". Damit ist die Akzeptanz für eine "gerechte" Diktatur größer als in den "angelsächsischen" Ländern.
Obwohl es in Deutschland ein sehr ausgeprägtes soziales Gefälle gibt, sehen die Klassenstruktur wie aus die Mechanismen, mit denen sie auffrecht erhalten wird, anders aus.
Einen gemeinsamen Nenner der deutschsprachigen dystopischen Autoren (z. B. Herbert W. Franke, Arno Schmidt, Carl Amery oder der DDR-Autor Rainer Fuhrmann) , der in englischen und amerikanischen Dystopien weniger hervortritt und sozusagen chrarakteristisch ist, ist das "ethik-blinde Expertentum": Experten, die die Dinge zum funktionieren bringen, egal, was da funktioniert. Der Typ des technokratischen Schreibtischtäters. (Er fand auch Eingang in die Dystopien der Biten und Nordamerikaner: als "Mad Scientist", der im Klischee einen schnarrenden deutschen Akzent hat - und weniger klischeehaft als treffend als "Dr. Strangelove" karikiert wurde. (Das deutet an, dass der "deutsche Geist" des a-moralischen Technokraten auch in den USA anzutreffen ist - mit Nazi-Experten fand auch Nazi-Geist Einzug; vor allem in den Geheimdiensten und im militärisch-industriellen Komplex.)
Da die westliche Welt nun einmal sehr eng vernetzt ist, fürchte ich, dass sich ein gemeinsames "Modell" der Überwachungsgesellschaft herausbilden wird: so auf das Durchsetzen und die Kontrolle "moralischer Normen" versessen, wie das britische, so manipulativ wie die amerikanische und so menschenfeindlich-perfektionistisch wie das Deutsche.
(Die schrecklichste aller Dystopien wäre übrigens ein Nazi-Deutschland, dass seine erklärten Ziele verwirklich hätte: Ausrottung der Juden und der "Geistesjuden" auf der gesamten Welt, Mord an mindestens 14 Millionen Osteuropäern (nicht primär aus "Rassenwahn" - nach der Rassenlehre wäre die meisten der gemäß "Generalplan Ost" zu Ermordenden "Arier" gewesen - sondern als Landraub ("Lebensraum im Osten") Erziehung der Deutschen zum "Hammer", der unerbittlich und willig auf den "Amboss" der unterdrückten Völker einschlägt.)
Ich vermute nicht, dass die britische Regierung oder ihre Berater ihre Ideen aus dem Kino beziehen. Vermutlich gibt es für die verblüffende Übereinstimmung einen anderen Grund, und dieser liegt in der Tradion der britischen literarischen Dystopien.
Aldous Huxley , George Orwell, aber auch Alan Moore und David Lloyd, die Schöpfer des Comics "V", ferner dystopische Science Fiction Autoren wie John Brunner - und nicht zu vergessen Science Fiction und Fantasy schreibende Moralisten wie C. S. Lewis - sie alle waren Kenner der Abgründe der britischen Gesellschaft. Zu diesen Abgründen gehört neben einer nie richtig überwundene Klassengesellschaft eine Art übergroßes puritanisches Ich-Ideal. Zur Erläuterung: das reale Victorianische Zeitalter war z. B. längst nicht so "sittenstreng", wie wir uns das heute vorstellen: in dieser Zeit des rapiden technischen und gesellschaflichen Wandels blühten die Pornographie, der Drogengebrauch, eine vorher und später beispiellose Sucht nach dem Abenteuer, aber es entstanden auch die Grundlagen der Frauenemanzipation und Ansätze zur sexuellen Befreiung. Die "Victorianische Prüderie" war nur eine konservative Gegenströmung gegen den vorherrschenden Zeitgeist dieser Epoche. Da diese Gegenströmung aber sehr stark verklärt wurde, vor allem in der Literatur, und sie dem "offiziellen" (nach außen hin vertretenen) puritanischen und auf selbstverleugnende Pflichterfüllung gerichteten Idealen der "Upper Class" entsprach, prägte sie das Bild späterer Generationen über das sittenstrenge Victorianische Zeitalter.
(Auf diese Idee bringt mich ein Buch, dass ich gerade lese: "Inventing the Victorians" by Matthew Sweet. Wenn ich es ausgelesen habe, mehr dazu.)
Dem "Ich-Ideal" der "Sittenstrenge" entspricht der - von den oben genannten Dystopisten ausnahmslos beobachtete - britische Hang, moralische Vorschriften durch die "Staatsmacht" durchzusetzen. Im Extrem führt das zur "Diktatur des Anständigen".
Folglich liegt vielen Dystopien der "britischen Schule" (auch einige Autoren in anderen englischsprachigen Ländern folgen ihr, und Epigonen gibt es sogar in Deutschland) die selbe ethische Grundstruktur zugrunde, die auch britische Regierungen und britische Politik-Experten, Juristen, Journalisten antreibt.
In us-amerikanischen Dystopien, z. B. denen Phillip K. Dicks (der die Vorlagen mehrerer dystopischer SF-Filme schrieb: "Blade Runner", "Total Recall", "Minority Report") tritt ein Aspekt ins Zentrum, der bei britischen Dystopien meistens "nur" Teil des staatlichen Unterdrückungs- und Überwachungsapparates ist: die Manipulation des Bewusstsein des Einzelnen. Und auch hier lassen sich Parallelen zur politisch-gesellschaftlichen Realität finden: Manipulation als wichtigste Machttechnik.
Es sind aber eher marginiale Unterschiede in der Gewichtung, denn auch in den US gibt es eine überhöhte puritanische Anstandsregeln-Moral (wenn auch mit anderen Schwerpunkten als die Großbritanniens).
Wie sieht es aber in Deutschland aus? Leider gibt es hierzulande nur wenige einigermaßen erfolgreiche dystophische Autoren, und diese sind meistens britischen und amerikanischen Vorbildern verpflichtet. (Was nicht ausschließt, dass es den britischen ähnliche Strukturen auch hierzulande gibt.)
Einige Unterschiede sowohl zur britischen wie auch zur amerikanischen "Anstandsstruktur" sind auffällig: in Deutschland ist die öffentliche Sexualangst (alias Prüderie) weniger ausgeprägt und im Vergleich sind auch die liberalen Traditionen (sowohl die Wirtschaftsliberalen wie die Bürgerrechtsliberalen) hierzulande weniger ausgeprägt - Deutschland ist vom Denken her staatbezogener, "etaistischer". Damit ist die Akzeptanz für eine "gerechte" Diktatur größer als in den "angelsächsischen" Ländern.
Obwohl es in Deutschland ein sehr ausgeprägtes soziales Gefälle gibt, sehen die Klassenstruktur wie aus die Mechanismen, mit denen sie auffrecht erhalten wird, anders aus.
Einen gemeinsamen Nenner der deutschsprachigen dystopischen Autoren (z. B. Herbert W. Franke, Arno Schmidt, Carl Amery oder der DDR-Autor Rainer Fuhrmann) , der in englischen und amerikanischen Dystopien weniger hervortritt und sozusagen chrarakteristisch ist, ist das "ethik-blinde Expertentum": Experten, die die Dinge zum funktionieren bringen, egal, was da funktioniert. Der Typ des technokratischen Schreibtischtäters. (Er fand auch Eingang in die Dystopien der Biten und Nordamerikaner: als "Mad Scientist", der im Klischee einen schnarrenden deutschen Akzent hat - und weniger klischeehaft als treffend als "Dr. Strangelove" karikiert wurde. (Das deutet an, dass der "deutsche Geist" des a-moralischen Technokraten auch in den USA anzutreffen ist - mit Nazi-Experten fand auch Nazi-Geist Einzug; vor allem in den Geheimdiensten und im militärisch-industriellen Komplex.)
Da die westliche Welt nun einmal sehr eng vernetzt ist, fürchte ich, dass sich ein gemeinsames "Modell" der Überwachungsgesellschaft herausbilden wird: so auf das Durchsetzen und die Kontrolle "moralischer Normen" versessen, wie das britische, so manipulativ wie die amerikanische und so menschenfeindlich-perfektionistisch wie das Deutsche.
(Die schrecklichste aller Dystopien wäre übrigens ein Nazi-Deutschland, dass seine erklärten Ziele verwirklich hätte: Ausrottung der Juden und der "Geistesjuden" auf der gesamten Welt, Mord an mindestens 14 Millionen Osteuropäern (nicht primär aus "Rassenwahn" - nach der Rassenlehre wäre die meisten der gemäß "Generalplan Ost" zu Ermordenden "Arier" gewesen - sondern als Landraub ("Lebensraum im Osten") Erziehung der Deutschen zum "Hammer", der unerbittlich und willig auf den "Amboss" der unterdrückten Völker einschlägt.)
MMarheinecke - Mittwoch, 16. Januar 2008