Mittwoch, 4. Juli 2007

Herr von Randow ist doch Krimi-Leser?

Auf "Zeit-online" erschien ein skeptischer Artikel von Falk Lüke der mit den Fazit schloss:
"Innenpolitiker und Sicherheitsexperten wollen die Freiheit zu Tode sichern."
Darauf schrieb Gero von Randow eine Entgegnung, deren Schlusssatz ebenfalls bemerkenswert ist:
Es kommt, alles in allem, auf die Details an. Falk Lüke freilich schreibt: „Innenpolitiker und Sicherheitsexperten wollen die Freiheit zu Tode sichern.“ Ein derart grobes Raster lässt die Details verschwinden, und zurück bleibt - der Generalverdacht.
Stimmt, allerdings würde ich in diesem Falle eher von "gesundem Misstrauen" sprechen - den "Generalverdacht" hegen ganz andere (siehe die Vorkommnisse um den G8-Gipfel).

Mir fiel auf, dass von Randow nach meinem Gefühl etwas weltfremd argumentiert:
Außerdem soll ja nicht nur der Selbstmordattentäter rechtzeitig erkannt werden. Als Element der Polizeitaktik kann auch die Videoüberwachung den Fahndungsdruck auf Verdächtige erhöhen, dem sich potenzielle Täter nur durch zusätzlichen Aufwand entziehen können - was sie wiederum zu Fehlern verleiten kann.
Dass Videoüberwachung gegen Selbstmordattentäter einigermaßen sinnlos sind, erkennt er auch. Ob zu allem entschlossene Täter durch den durch Kameras ausgeübten "Fahndungsdruck" nervös werden und Patzer machen, ist eher zu bezweifeln. (Bei Ladendieben und Handtaschenräubern mag das so sein, nicht aber bei Tätern, die die Überwachung vorher eingeplant hatten. Und es mag die Frage erlaubt sein, ob jene Sorte Fahndungsdruck, die Terroristen nervös macht, nicht äußerst ungesund wäre.) Kommen wir zum Computer:
Technisch ist es möglich, die Verbindungsdaten eines Nutzers auszuspionieren, ohne dass er es merkt, und anschließend die Verbindungsdaten sowie die Inhalte seiner Netzkommunikation zu überwachen. Gewitzte User können sich dem entziehen, wenn sie am ewigen Wettkampf der Offensiv- und Defensivkräfte teilnehmen. Das aber bringt Aufwand mit sich und verleitet zu Fehlern; die Fahndungslogik ist die gleiche wie im Fall der Videokameras.
Zuerst einmal ist der "Wettlauf" bei den in Rede stehenden Fragen längst entschieden: jedenfalls solange es keine Wundercomputer (etwa einen Quantencomputer) gibt, der eine mit PGP oder einem anderen RSA-Kryptosystem
verschlüsseltes Dokument mit ausreichender Schlüssellänge "knacken" könnte - und das auch noch in sinnvoll kurzer Zeit. Außerdem kann mittels Steganographie jede sensible Botschaft so "verschleiert" werden, dass sie selbst mit enormem Aufwand nicht zu finden ist.
Im Prinzip geeignet ist das Mittel also, und durch ein anderes nicht zu ersetzen, denn Kommunikation via Internet ist der Lebensnerv des organisierten Terrorismus.
Das ist eine unbewiesene Behauptung, die außerdem für den "unorganisierten" Terrorismus ohnehin nicht gilt. Wenn ich für nächste Woche etwa einen Autobombenanschlag planen würde, bräuchte ich dazu weder eine Bauanleitung noch einen Befehl.
Im Falle des Anschlags auf die Vorortzüge in Madrid lief ein Teil der Kommunikation tatsächlich über das Internet. Aber die "Mails" wurden mittels eines elektronischen "toten Briefkastens" übermittelt: Der Absender richtete einen Freemailer-Account ein, z. B. bei Yahoo (um einen besonders überwachungsfreudigen Dienst zu nennen). Er teilte den Empfängern sein Zugangs-Passwort mit. Nun schrieb er seine Mail, speicherte ihn aber nur als Entwurf. Die Empfänger griffen, wohlweislich von Internet-Cafes aus, auf den Account des Senders zu und lasen den "Entwurf". Die Überwachung des E-Mail-Verkehrs wäre ergebnislos geblieben, weil nie eine E-Mail herausgegangen ist. Natürlich wäre es, mit entsprechendem Aufwand, möglich gewesen, die (codierten) Botschaften auf dem Yahoo-Server zu finden. Was allerdings einer Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen gleicht - bei Entdeckung wäre das Attentat wahrscheinlich längst passiert.
(Ich kann mir ohne Mühe weitere Methoden vorstellen, die noch schwerer zu überwachen sind, aber ich will ja niemanden auf böse Gedanken bringen.)

An anderer Stelle zeigt von Randow mehr Phantasie:
Ein paar Probleme indes sind vertrackt. Wie soll die Forderung des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden, dass der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ vor Überwachung geschützt wird? Darüber ist zu diskutieren. Vielleicht ist gar nicht ausgemacht, ob die Kommunikation übers Netz, selbst wenn sie verschlüsselt wurde, zu diesem Kernbereich gehört. Da muss man auch ein bisschen auf die soziale Wirklichkeit gucken: Wer, der ins Netz geht, weiß denn nicht, dass darin letztlich alles öffentlich ist?
Selbstverständlich ist das Internet und alles, was darin veröffentlicht ist, öffentlich zugänglich. Aber der Computer des Besucher ist nicht öffentlich. Es geht ja nicht um die Überwachung "des Internets" - auch wenn einige Politiker etwas merkwürdige Vorstellungen von dessen Struktur haben. Es geht darum, dass alle Festplatten durchsucht werden dürfen sollen, die über das Internet erreichbar sind. Mein Computer gehört genau so zu meiner Wohnung wie mein Schreibtisch, und wenn es im Zuge einer polizeilichen Ermittlung gegen mich erforderlich sein sollte, den Inhalt meiner Festplatten auszuwerten, dann ginge das nur auf dem Wege einer ordnungsgemäßen Hausdurchsuchung.

Wunschdenken und Politikerangst

Nicht ganz überraschend: Bundesparanoikerinnenminister Wolfgang Schäuble
will nicht nur das Grundgesetz "ergänzen", nur er hat er auch die Wirksamkeit des Völkerrechts im Kampf gegen den Terrorismus in Frage gestellt und eine internationale Debatte darüber gefordert, wie z. B. Reuters gestern meldete. Überraschend aber doch, wie offen er einen der wesentlichen Gründe für den sicherheitspolitischen Aktionismus (beinahe) beim Namen nennt:
"Wenn dieser freiheitliche Verfassungsstaat nicht in der Lage ist, auch unter neuen Bedrohungen Sicherheit zu gewährleisten, ...läuft er in Zeiten der Krise Gefahr, die Legitimation in der Bevölkerung zu verlieren", sagte der Minister. Dies hätten die Deutschen im vergangenen Jahrhundert lernen müssen.
Legitimation, dass erkennt Schäuble völlig richtig, schöpft ein Staatsapparat (der von Schäuble offensichtlich mit dem von den Bürgern gebildeten Staatswesen verwechselt wird) vor allem daraus, dass er seinen Bürger in Notfällen Schutz bietet. In Krisensituationen, dass ist bekannt, wächst die Verbundenheit der Bürger mit dem Staatsapparat. Nun kann kein Staatsapparat der Welt - selbst ein totalitärer Überwachungsstaat - Sicherheit vor Attentätern bieten, die sich selbst in die Luft sprengen. Gerade ein Staatsapparat, der zuvor drastistische Eingriffe in die persönliche Freiheit seiner Bürger mit dem Schutz vor terroristischen Attacken gerechtfertigt hatte, würde bei einem größeren Terroranschlag in Erklärungsnöte kommen. Also baut Schäuble vor - einmal, indem er von Vornherein dafür sorgt, dass nach einen Anschlag der Schwarze Peter bei jenen liegt, die sich gegen die "notwendigen Sicherheitsmaßnahmen" gesperrt hätten, was einen gewissen Druck erzeugt, immer schärfere Sicherheitsmaßnahmen zu fordern. Zum anderen, indem er die Instrumente schafft, die die in diesem Falle befürchteten Unruhen gleich im Keim zu ersticken. Sehr viele der bereits beschlossenen oder vorgeschlagenen Maßnahmen währen gegen Terroristen nutzlos, im Falle bürgerkriegsähnliche Unruhen jedoch äußerst gut zu gebrauchen. Dass es in der Tat solche Unruhen sind, die Schäuble und andere Politiker fürchten, erkennt man schon daran, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren in der Tat nur in Bürgerkriegssituationen sinnvoll ist.

Mit der Frage, das dies die Deutschen im vergangenen Jahrhundert hätten lernen müssen, spielt Schäuble auf die Möglichkeit an, dass die Nazis gegen eine hart durchgreifende Polizei und Justiz und gegen eine im Inneren eingesetzten Reichswehr keine Chance gehabt hätten, die Straße für sich zu "erobern". Nur sind die Nazis nicht durch den Druck der Straße an die Macht gekommen, sondern durch die (bestenfalls!) Naivität jener, die sich von Hitler mehr Stabilität und Sicherheit versprachen.
Wobei sich vergangenen Jahrhundert herausgestellt hat, dass totalitäre Übrwachungsstaaten keineswegs besonders stabil und sicher vor Umstürzen sind.

Der Bundesregierung fehlt nach eigenem Bekunden jede Vorstellung davon, wie heimliche Onlinedurchsuchungen von Computern durch das Bundeskriminalamt (BKA) technisch am besten durchgeführt werden könnten. (Das ergab eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsabgeordneten Gisela Piltz.) Ich vermute, dass die nicht computer-kompetenten Politiker (allen voran Bundesinnenminister Schäuble, der nach eigenen Angaben die Computertechnik nicht einmal ansatzweise versteht) nicht nur mit Kontrollattacken aus Unsicherheit vor dem Unbekannten reagieren. Es ist auch offensichtlich, dass jene, die ständig Online-Überwachungen fordern und sich davon versprechen, terroristischen Anschläge im Vorfeld verhindern zu können, von Computerfachleuten Wunderdinge erwarten, etwa im Stil: “Wieso könnt Ihr das nicht, bei Mission Impossible geht das doch auch?”

Real dürfte Online-Durchsuchungen - vorsichtig gesagt - äußerst schwierig zu realisieren zu seinen, vor allem, wenn der Beschnüffelte nicht merken soll, dass da auf seinen Rechner etwas läuft, was er definitiv nicht dort installiert hat. (Ein Spionageprogramm, das seine Ergebnisse nicht "nach Hause" durchgeben kann, ist Unfug. Und diese Kommunikation fällt auf. Zumindest Menschen, die etwas mehr Ahnung von Computern haben, als unser Herr Minister.) Hierzu, in der Zeit: Hacken für den Staat

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