Mittwoch, 5. Juli 2006

Positives Element in der "Gesundheits"-"Reform"

Andere habe es schon gesagt und geschrieben: Die Gesundheitsreform ist ein Musterbeispiel eines faulen Kompromisses, eine wenig funktionale "Minimallösung".

Trotzdem: es gibt tatsächlich eine wenige beachtete sinnvolle Regelung in , wenig beachtet, weil sie ein gern verdrängtes Problem betrifft: Es soll eine Versicherungspflicht für alle Bürger eingeführt werden.
Für einen Liberalen klingt das Wort "Versicherungspflicht" erst einmal grausig. Aber diese Einschränkung der Freiheit bringt ein sehr positives Element mit sich: eine "Pflicht" ist nur dann zu verwirklichen, wenn wirklich jeder in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen wird. Das ist bisher in Deutschland nicht der Fall. Mit erschreckenden Folgen:

Vor knapp einem Jahr wurde die Zahl der nicht krankenversicherten Deutschen auf ca. 300 000 geschätzt.

Ich konnte mir das auch nicht so recht vorstellen, da ja die Krankenversicherung von Sozialhilfeempfängern vom Sozialamt übernommen wird, aber es gibt eine klaffende Lücke im vielgelobten "sozialen Netz".
Man fällt aus dem Versicherungssystem heraus, wenn man noch zuviel Vermögen oder Einkommen hat, um sozialhilfeberechtig zu sein, aber nicht genug Geld für eine private Versicherung oder die extrem teure freiwillige Versicherung bei einer Krankenkasse hat und und nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist bzw. kein Arbeitslosengeld erhält.
Bei Freiberuflern und Kleingewerbetreibende ist dieser Risiko stehts vorhanden, bei "gescheiterten" Selbstständigen - unter ihnen nicht wenige, die die Selbstständigkeit der Arbeitslosigkeit vorgezogen haben - sehr groß. Die viel geforderte Eigenverantwortung wird so de facto bestraft - und die weit verbreitete Kultur der Risikoscheu gradezu systematisch gefördert. Es kann aber auch "ganz normalen" Arbeitnehmern passieren, wie dem Familienvater, der durch einen Unfall und die anschließende längere Arbeitsunfähigkeit aus der Versicherung rutschte und sich die jetzt dringend notwendige Folgeoperation nicht leisten kann - mit verheerenden Folgen für seine Gesundheit und seine finanzielle Situation. Ihm bleibt eigentlich nur die zynische Möglichkeit, möglichst schnelll arm zu weden, damit das Sozialamt die Krankenversicherung übernimmt. Auch eine Form der "steuerfinanzierten Krankenversicherung". Aber eine, auf die alle Beteiligten gern verzichten würden.

Besonders schlimm ist, dass die Kinder der nicht versicherten bisher ebenfalls nicht unversichert waren. Dieser skandalöse Mißstand wird tatsächlich durch die Steuerfinanzierung der Kinderversicherung beseitigt.

Es hängt jetzt sehr viel davon ab, wie die "Versicherungspflicht für alle" umgesetzt wird. Eine sinnvolle Möglichkeit wäre, dass Geringverdiener - egal, wo und wie sie ihr geringes Einkommen verdienen - zu einem niedrigen Satz einer ganz normalen Krankenkasse beitreten können. Auch muß es erheblich leichter werden, bei Bedarf wieder von der Privaten in die gesetzliche Kasse zu wechseln.
Zur Freiheit: sicherlich gibt es Menschen, die sich, weil rundum gesund, gern die Krankenversicherung sparen. Allerdings: niemand ist vor Krankheit und Unfall gefeit. Pasierte so einem "Sparsamen" Menschen etwas Ernstliches, dann liegt er kurz oder lang dem Sozialamt auf der Tasche. Auch keine Lösung.

"Schutzbund Deutschland" verboten

Gestern, am 4. Juli 2006, hat das brandenburgische Innenministerium nun den Verein "Schutzbund Deutschland" verboten. Eine Plakataktion, mit der die Neonazis während der WM versucht hatten, Angst unter Ausländern zu sähen, dürfte der hauptsächliche Anlaß des Verbots gewesen sein: In mehreren brandenburgischen Städten, darunter Cottbus, tauchten vom "Schutzbund" verbreitete Warnschilder mit dem Slogan "Stop! No go area!" auf.

Der Verein "Schutzbund Deutschland" ist eine rechts von der NPD stehende Neonazi-Propagandaorganisation, die sich an organisierte und nicht-organisierte, offen rasstische Rechtsextremisten wendet. Im Vorfeld der Fußball-WM machte der "Schutzbund" mit der Kampagne "Du bist nicht Deutschland, Du bist BRD" von sich reden. Schlagzeilen machten die Plakate und Aufkleber, die mit einer gehässigen Karrikatur und dem Spruch "Nein Gerald, Du bist nicht Deutschland" den deutschen Nationalspieler Gerald Asamoah verunglimpften.
Inhaltlich und in der Gestaltung des Propagandamaterials lehnt sich der "Schutzbund" eng an die Propaganda der NSDAP an. Weil sich der "Schutzbund" lange Zeit im Feld des "gerade noch nicht Strafbaren" bewegte, galt er, obwohl die Propaganda deutlich "nazimäßiger" und in ihrem Rassismus brutaler ist als z. B. die der NPD, als "schwer angreifbar". Allerdings wurde der "Schutzbund" in letzter Zeit "mutiger" - und damit nachlässiger.

Die Verbotsverfügung sei am Dienstagmorgen 13 Personen zugestellt worden, sagte Innenminister Jörg Schönbohm in Potsdam. Polizeikräfte hätten das Verbot anschließend vollzogen und 13 Objekte in Brandenburg sowie ein Haus in Halle/Saale durchsucht. Das Vermögen des Vereins sei beschlagnahmt und eingezogen worden. Insgesamt waren mehr als 250 Polizisten im Einsatz.
ngo-online: Ministerium verbietet "Schutzbund Deutschland"
taz: Schönbohm stellt Nazis vom Platz

Nicht überrascht, dass die Polizei bei den Hausdurchsuchungen auf eine professionelle Druckerwerkstatt stieß, nebst einem Auslieferungslager mit zehntausenden Flyern, Plakaten und Aufklebern. Schlecht für die Neonazis, dass sich darunter auch offen nationalsozialistisches Propagandamaterial mit verbotenen NSDAP-Zeichen ist, nebst Material der seit 2000 verbotenen Organisation "Blood & Honor".

Führender Kopf des 13 Mitglieder zählenden "Schutzbundes" war laut Innenministerium der frühere NPD-Landeschef Mario Schulz, der als parteiloser Politiker im Prignitzer Kreistag sitzt. Ihm sei - ebenso wie anderen Exmitgliedern des NPD-Kreisverbandes Prignitz-Ruppin - die NPD zu "lau", sprich nicht rassistisch genug gewesen.

Obwohl der "Schutzbund" augenscheinlich bisher finanziell gut ausgestattet war, bat er den vergangenen Wochen in rechtsextremen Internetforen und per Massen-Email um Spenden, weil er offensichtlich durch Gerichtsverfahren gegen die rassistische Kampagne gegen Asamoah in Geldnot geraten war. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte erfolgreich gegen die "Du bist nicht Deutschland"-Kampagne geklagt.

Trotz seiner kleinen Mitgliederzahl war der "Schutzbund" ein Kristallisationskern der Neonazi-Szene nicht nur in Brandenburg.

Einige Anmerkungen: Anscheinend ist der "Schutzbund" eine kleine "Frontorganisation" - um es im "rechtsaußen" gängigen Militärjargon zu sagen: Eine vorgeschobene Kampfgruppe, bei der Verluste, einschließlich einiger Zeit im Knast für einige exponierte "Kämpfer", einkalkuliert sind. Das heißt, er ist ohne Weiteres ersetzbar. Am meisten dürfte die Neonazis noch der Verlust an Vermögen treffen. Somit ist das Verbot zwar notwendig und richtig, aber eine reine Verbotsstrategie weniger effektiv, als es Schönbohm nun verkündet.
Außerdem war es wieder einmal allein der Leichtsinn der Nazis, die einen Zugriff ermöglichten. Einer Organisation, die wie lange Zeit auch der "Schutzbund", sorgfältig am Rande des nicht ausdücklich Verbotenen agiert, ist so nicht beizukommen. (Ich denke da u. A. an die "Artgemeinschaft".)
Bezeichnend auch, dass das Verbot erst erfolgte, nachdem der "Schutzbund" bereits beinahe weltweit Schlagzeilen geliefert hatte. Rein inhaltlich hatte sich der "Schutzbund" nämlich schon bei Beginn der "Du bist nicht Deutschland"-Kampagne vor gut einem halben Jahr weit genug aus dem Fenster gelehnt, um ein Verbot zu rechtfertigen.

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