Samstag, 20. Mai 2006

Bitterkeit

Ich möchte es vermeiden, zu viele zu private Details in dieses Blog zu stellen, deshalb schildere ich die Lage, in der ich mich befinde, nicht. Ich verrate aber sicher nicht zuviel, wenn ich sie als "präkär" bzw. ungesichert beschreibe.
Ich verrate auch nicht zuviel, wenn ich durchblicken lasse, dass ich mich in dieser präkären Lage nicht wohl fühle und dass ich durch Faktoren, die ich kurzfristig nicht ändern kann, nicht in der Lage bin, einfach die "Ärmel aufzukrempeln und loszulegen", um mich aus dieser unangehmen Lage herauszuarbeiten. Ich verrate auch nicht zuviel, wenn ich bei allen Versuchen, meine Situation zu verbessern, in erste Linie auf meine eigenen Initiative setze. Und auf die Hilfe von Freunden und Bekannten. Mein Vertrauen in staatliche Institutionen in leider schwer erschüttert.

Hermann Ritter hat eine Situation, bei der Bundesagentur für Arbeit, erlebt und beschrieben, die viele sicher in ähnlicher Form auch erlebt haben: Irrsinn hat Methode. Wobei: den einzelnen Mitarbeiter bei der BA oder bei den ARGEs mache ich für diesen Irrsinn nicht verantwortlich. Der ist oft genug selbst ein armes, überfordertes Schwein. Der Irrsinn steckt tief in der Struktur.

Ja, und dann gibt es dann Zeitungskommentare, die sich aufällig mit der von der derzeitigen Bundesregierung bevorzugten Linie ("Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" Münte) gegenüber Sozialsschmarotzer Arbeitslosen, Rentnern und Studenten decken, aber dankenswerterweise Klartext schreibt.
Die mir unmißverständlich klar machen, was ich bin und wie ich mich gefälligst zu verhalten habe: “Warum soll ich für Sie zahlen?”
Bitte lesen - und als Betroffener die Kotztüte nicht vergessen! Kotz!
(via: Lawblog:Merkeln Sie Nix?)
Im besagten Kommentar steht:
Wie immer sind die Finanziers des Ganzen - gewöhnliche, rechts- und gesetzestreue Steuer- und Beitragszahler - die Dummen. Damit sie das nicht ewig bleiben, sollten sie sich ein Herz fassen und es genauso machen wie die Gegenseite, die Anonymität also durchbrechen und ihre Klagen nicht länger ans System richten, sondern an Personen. Jeder von ihnen könnte und sollte jeden Arbeitslosen, jeden Rentner und jeden Studenten danach fragen, mit welchem Recht er davon ausgeht, daß er ihm den Lebensunterhalt, die Rente oder das Studium bezahlt. Das könnte etwas Licht ins Dunkel bringen.
Mit welchen Recht bezahlt "der Steuerzahler" meinen Lebensunterhalt? Ich könnte natürlich darauf antworten: Weil ich in der Zeit, in der ich noch Arbeit hatte, mittels meiner Steuern und Beiträge auch - und übrigens gerne - den Lebensunterhalt anderer mitbezahlt habe, die nicht arbeiten konnten. Nur wenn man derIllusionen anhängt, dass a) eigentlich genügend bezahlte Arbeit da ist, dass jeder, der ernsthaft Arbeit sucht, auch welche findet und b) das eigentlich jeder jeden Job erledigen kann (von hochspezialisierten Tätigkeiten auf der einen Seite und Schwerbehinderten auf der anderen Seite mal abgesehen), macht die vorwurfsvolle Frage Sinn. An Rentner gestellt, macht sie übrigens sowieso nicht viel Sinn, denn die haben ja mal gearbeitet, und Steuern und Beiträge gezahlt, und an Studenten erst recht nicht, denn die werden, wen sie (hoffentlich) Arbeit finden, einmal Steuern und Beiträge zahlen.

Was in mir Bitterkeit hervorruft, ist der immer mitschwingende Vorwurf, der Sozialstaat ginge finanziell kaputt, weil es den "Unpoduktiven" (die, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen, gerne produktiv wären) es sich auf Kosten der Allgemeinheit gut gehen ließen. Dankenswerterweise schreibt Konrad Adam Klartext bzw. er holt die ganz große Keule raus.
Die Nebenfolgen dieses sozialen Klimawandels zeigen sich auf der Empfängerseite in einer zunehmenden Neigung zu Tätlichkeiten. Nach der alten Sponti-Parole, die dazu einlädt, kaputtzumachen, was einen kaputtmacht, gehen Leute, die Hartz IV für eine normale Einkommensquelle halten, auf jene los, die Ernst machen mit dem Versuch, Förderung mit Forderungen zu verbinden. Ihr Unmut richtet sich gegen Beamte, die nicht länger auf fremde Kosten großzügig sein dürfen, gegen Umzugsbeauftragte, die Hartz-IV-Empfängern zu angemessenem Wohnraum verhelfen, und gegen Unternehmer, die ihre Geschäfte mit den Reichen machen.
Ich kann dem nur persönlich antworten: Ich halte "Hartz IV" (richtig wäre "Arbeitslosengeld 2") nicht für eine normale Einkommensquelle. Zumal es ja so knapp bemessen ist, dass ich selbst in einem schlecht bezahlten Job locker mehr verdienen würde. Um "Förderung" muß ich mich, nach meinen bisherigen Erfahrungen, selbst bemühen, es sein denn, es geht um irgendwelche merkwürdigen, nicht immer sinnvolle Kurse (wie Bewerbe ich mich nach der neuesten Mode usw). Gegen Beamte hege ich keinen persönlichen Groll - siehe oben, auch oft arme Schweine. Was das "Fordern" bzw. den Druck auf Arbeitslose angeht: Nichts dagegen. Unter der Vorrausetzung allerdings, dass das Umfeld so gut ist, dass dieser Druck zu mehr führt, als zu Frust bei Leuten, die mangels Angebot dennoch keine Arbeit finden können. du, du, du
Für Gewalt gegen Umzugsunternehmer (es gibt sogar Brandanschläge und ähnliches) habe ich nur eine Bezeichnng: blinde, aktionistische Gewaltakte, für die ich kein Mikrogramm Verständnis aufbringe.

In einem hat Konrad Adam, so wenig Realitätssinn er sonst zu haben scheint, vollkommen recht: So, wie er ist, kann der "Sozialstaat" nicht länger funktionieren.

Es kann aber nicht darum gehen, den Sozialstaat abzuschaffen. (Was Konrad Adam offensichtlich will - wahrscheinlich ist er privat gut abgesichert, sonst würde er nicht so schreiben.)
Es geht darum, ihn anders zu organisieren. Aber dass scheint irgendwie nicht mit deutschen Tradionen (die Idee von "wohltätigen Vater Staat" hüben, das "Modell Ausgrenzung" - "Schmarotzer raus" drüben) nicht zusammenzugehen. Und weil Spindocktoren, Lobbyisten und die famosen Experten (auch die vom Schlage eines Peter Hartz) viel zu viel geglaubt wird. Deshalb gibt es so viele "Verschlimmbesserungen" im Sozialbereich.
Typisches Beispiel: Hartz IV. Die Langzeitarbeitslosen haben eigentlich zu wenig Geld. (Gut, manche Politiker sind der Ansicht, dass er noch zu hoch ist, weil es ja Jobs gibt, in denen man auch nicht mehr verdient als ein Alg. 2-Empfänger. Übrigens halte ich das "ergänzende Alg. 2" für Geringverdiener für eine Fehlkonstruktion - oder eine Subventionierung von Teilzeitjobs zu lasten der Vollzeitstellen.)
Das Tolle ist aber: Nach der Hartz IV Reform ist das System teurer als vorher - bei schlechteren Leistungen.

Ich hoffe sehr, dass Konrad Adams Zynismus nur ein Stilmittel ist. Ansonsten kann ich meine Gefühle ihm gegenüber nicht mehr unter Kontrolle halten Barbar

Nachtrag: Unbedingt die hochinteressante Diskussion auf dem lawblog lesen! Ich empfehle auch die themenbezogenen Blogbeiträge von Distel und momo.

Stromlinie

Heute (20.Mai 2006) wird Cherilyn LaPiere Sarkisaian Bono Allman, besser bekannt als Cher, 60 Jahre alt. Oder, wie nicht nur Klatschkolumnisten kalauern, werden Teile von ihr 60. Cher, die Zeitlose. Was nicht ganz gerecht ist, auch wenn sie selbstironisch einräumt, "the poster girl of plastic surgery" zu sein. Die meisten der vielen haarsträubenden Schönheitsoperationen, die man ihr nachsagt, fanden nicht im OP, sondern in den Redaktionsräumen der Boulevardpresse statt. Urban Legends Reference Page: Claim: Cher had her lowest pair of ribs surgically removed to achieve an ultra-small waist.
Status: False.
Cher attempted to combat the story with common sense: "If that [rumor] were true," she said, "how could I do those health club commercials, in which I wear next to nothing? I'd be scarred all over. And could I wear the kind of clothes I do if I'd had all those many operations? Wouldn't there be visible scars everywhere?
Tatsächlich dürfte es zahlreiche Prominente geben, die ebenso so oft oder noch öfter unter dem Messer des Schönheitschirurgen lagen als Cher, ohne deshalb Daueropfer der Lästerkolumnisten zu werden. Selbst wenn die Ergebnisse unübersehbar und nicht immer gelungen sind: Awful Plastic Surgery.
Was den Klatsch antreibt, ist offensichtlich: Chers - jedenfalls für amerikanische Verhältnisse - extrem "gewagte" Kostüme. Agressive Erotik ruft immer zwiespältige Reaktionen, bis hin zur Doppelmoral, hervor: Gut für die Verkaufzahlen, schlecht für "Image".
Weil aber diese agressive Erotik, unter Showbiz-Bedingungen, nur mit einen attraktiven Aussehen funktioniert, und das knallharte körperliche Trainung, dem sich die Sängerin und Schauspielerin seit jeher unterwirft, auch keine ewige Jugend garantiert, war der Gang zum Schönheitschirurgen eine offensichtliche Option. Jedenfalls in einer vom "Jugendwahn" geprägten Umwelt.

Es fällt aber, wenn man sich alte und neue Fotos aus ihrer 40 jährigen Karriere ansieht (z. B. hier) noch etwa auf: die Tochter eines Armeniers und einer Cheerokee wirkte am Anfang ihrer Karriere erheblich "nichtweißer" als später.
Nicht zufällig fiel ihrer ersten Schönheits-Op ihre markante Nase zum Opfer.
In den 70er Jahren, als sie sich noch rebellisch-hippiemäßig gab, thematisierte sie sogar ihre Abkunft. "Half Breed" aus dem Jahr 1973 ist ein eindrucksvolles Dokument jener Zeit, mit einem Text, der deutlichst auf ihre Herkunft anspielt:
My father married a pure Cherokee
My mother's people were ashamed of me
The indians said I was white by law
The White Man always called me "Indian Squaw"
cher - "half breed"
Der Titel war sehr erfolgreich, es gab sogar ein deutschsprachiges Cover, "Halbblut" von Joy Fleming.
(Nebenbei: als ich neulich "Half Breed" auf einem Oldie-Sender hörte, war ich überrascht, welch gute und interessante Musik "Plastik-Cher" mal gemacht hatte.)

Mit den Image-Wechsel von "rebellisch" zu "glamourös" änderte sich das das Schönheitsideal, dem sie nacheiferte, ins Barbiepuppenhafte, Stromlinienförmige.

Um einen etwas gewagten Bogen zum Thema Multikulti und PC zu schlagen: In den 70er spielte Cher, ob beabsichtig oder nicht, die Rolle einer "kulturellen Bereicherung" in Sinne der (damals noch nicht so genannte) Multikulturalität. Oder die der Exotin, die sich zu ihrer Exotik bekannte. "Politisch korrekt" waren die für Pop-Songs relativ kritischen Texte ohnedies. Etwas gefällige Empörung, die niemandem weh tut. Jedenfalls so lange, bis sich Ende der 70er Frauenrechtsgruppen wegen ihres (angeblichen) "Sex Sklaven"-Image einen Sturm der Empörung entfesselten - der bezeichnenderweise gerade von keineswegs feministische gesonnenen "Moralaposteln" unterstützt wurde.

Die Exoten-Rebellen-Nummer hatte sich als Sackgasse entpuppt. Kommerzieller Dauererfolg ist mit Außenseiter-Image wohl nicht zu machen. Also paßte sie sich an. Auch dem gängigen Schönheitsideal. Auch mittels Chirurgie.

Sie ist kein Einzelfall. Das spektakulärste und tragischte Beispiel im Show-Biz dürfte Michael Jackson sein, der versuchte, immer gefällig "hübscher" und immer "weißer" zu werden.

Nachtrag: Ich habe mich mal aus Neugier - und um mich abzulenken - auf diversen "Cher"-Websites umgegoogled. Einiges ist dabei ganz interessant.
Offenbar liegt der Hauptgrund, weshalb ausgerechnet über ihre Schönheis-OPs so viel gelästert wird, darin, dass Cher bei diesem Thema, bei dem anscheinend jeder heuchelt, eben nicht heuchelt. Sie gab ja auch in den 80er zu, dass sie mitunter mit (männlichen) Groupies in die Kiste steigt. Das darf "man" als Popstar - wenn man Mann ist und es bei eindeutigen Anspielungen beläßt. Die Folge: bösartiger Klatsch, "wenn die das schon zugibt, ist ihr alles zuzutrauen". Bisher war mir Cher eher unsympatisch, aber ich bin geneigt, mein Urteil über die Frau zu revidieren.
Eine weitere Sache, die ich ihr, weil sie mich sonst nicht wirklich interessiert, nicht zugetraut hätte: Ein nicht-kommerzielles Album namens not.com.mercial , das ausschließlich über das Internet vertrieben wird und das, glaubt man dieser Rezi, not.com.mercial von ihr selbst im Laufe von über 20 Jahren geschriebene, Songs enthält, die ich einer "lebenden Barbie-Puppe" wirklich nicht zugetraut hätte:
Hier wird zwar auch zum Teil über die Liebe gesungen, aber nicht im typischen Popgewand, zudem werden auch heikle Themen behandelt und kritisiert, beispielsweise der Vietnamkrieg, der Selbstmord von Curt Cobain (Nirvana), Patriotismus und die katholische Religion.

Kein Wunder also, dass die CD in Amerika sogar ein "Parental advisory"-Sticker bekam, eine Warnung, die sich sonst hauptsächlich auf den Werken von Künstlern wie 50 Cent, Marilyn Manson oder Slipknot finden lässt.
Nehme ich "alte 70er Hits" wie "Gypsies, Tramps And Thieves" und "Half Blood" hinzu, dann habe ich den Verdacht, dass ich eine respektable und eigenwillige Künstlerin auf die "Kunstfigur" Cher reduziert habe.

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