Donnerstag, 18. Mai 2006

Auf Klärung aus: 2. Was ist "Poltical Correctness"?

Angeregt durch Che (Das "Scheitern der Multikultur"), Karan (Ausmisten) und Externspeicher (Klarstellung zum Fall Hirsi Ali) - eine Überlegung zum übel vernutzten "Kampfbegriff" Political Correctness (nicht zu trennen von der Idee des "Multikulturalismus").

Wie schon beim Antisemitismus kommt man mit Lexikondefinitionen nicht so recht weiter.
Political Correctness, kurz PC, kann mitlerweile so ziemlich alles zwischen "Widerstand gegen Diskriminierung" und "euphemistische Sprachregelung" ("Personen mit Migrationshintergrund", "vertically challenged" usw.) bedeuten.
Das trifft den Kern der Sache jedoch nicht, z. B. steckt hinter der mitunter grostesken Sprachkosmetik längst nicht immer Rücksicht oder vermeindliche Rücksicht auf diskriminierte oder sich diskriminiert fühlende Gruppen, also PC. Und oft ist das, was als PC bezeichnet wird, in Wirklichkeit Feigheit (vor "einflußreichen" oder "gewalttätigen" Gruppen), Scheu vor politischen Auseinandersetzungen, Opportunismus, Schmeichelei, Imagekosmetik, "falsche Toleranz" oder schlicht übersteigertes Harmoniebedürfnis.

Seit einige Jahren wird der Begriff überwiegend ablehnend verwendet, "politically incorrect" ist zumindest in den USA schon ein Synonym für "Klartext" und "schonungslose Ehrlichkeit" geworden. (Ob das auch auf das gleichnamige deutsche konservative Blog zutrifft, mag jeder selbst beurteilen: politically incorrect - immerhin: übertrieben rücksichtsvoll ist man dort mit Sicherheit nicht).
Es entbehrt nicht der Ironie, dass vor allem Rechtskonservative das Schlagwort von der political correctness gegen das "liberale Meinungskartell" (bzw. "linkes Meinungkartell" bzw. "68-er Meinungskartell") anbringen. Sie werfen ihren liberalen und linken Gegnern vor, sie wollten unliebsame Themen im Sinne der political correctness tabuisieren. Zumindest was die PC-Bewegung in den USA angeht, ist das widersinnig, und auch in Deutschland sind "typische" PC-Anhänger alles andere als liberal und höchsten verbal links.
Ich knüpfe inhaltlich an Ches Kritik des Multikulturalismus an. Es heißt nämlich oft, der Begriff der "political correctness" stamme aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Das ist nur bedingt richtig. Er wurde in der radikal multikulturalistischen Szene geprägt. Die - sich meistens "links" gebende - radikale Multikulturalisten behaupten von sich, sie stünden auf der Seite der Opfer von Imperialismus, Kapitalismus, Rassismus und männlicher Dominanz. Typisch ist eine "verkürzte Kolonialismus / Imperialismuskritik": wenn sich Angehörige der unterdrückten Kulturen gegen die eurozentrische bzw. "westliche" Dominanz zu behaupten versuchen, dann sind sie automatisch im Recht. Es gelte daher, alle nicht in den "Metropolen" (den wirtschaftlichen und kulturellen Zentren des "Westens" bzw. "Nordens") beheimateten ethnischen Gruppen und alle ethnischen und sonstigen Minderheiten in den "Metropolen" zu unterstützen, die sich vom schädlichen Einfluß der universalistischen Ideologie befreien und zu einer eigenen "kulturellen Identität" finden wollen. Die Ähnlichkeit des radikalen Multikulturalimus zum neurechten Konzept des "Ethnopluralismus" ist verblüffend, trotz des höchst unterschiedlichen politischen Stallgeruchs der Vertreter der jeweiligen Lehre. "Links" wie "Rechtsaußen" lehnt man Interkulturalität ab, voneinander Lernen, Austausch der Kulturen untereinander, wechselseitiges Wachstum usw. werden zugunsten der "authentischen" bzw. "reinen" kulturellen Identität beargwöhnt. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass der rechte "Ethnopularismus" außerdem noch die Komponente "Heimaterde" umfasst - Motto: "Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken und die USA teil man am Besten in ethnisch bestimmte Teilnationen auf". Multikulti-Fans sind mehr für das "Modell Flickenteppich" - unterschiedliche Kulturen leben nebeneinander her. Dennoch ist Che zuzustimmen, wenn er schon 1990 das grüne Konzept des Multikulturalismus als Multitrassismus kritisierte.

Die in den USA entstandene, von radikalen Multikulturalisten und Kulturrelativisten getragene PC-Bewegung vertritt den Vorrang von Partikularinteressen vor dem liberalen Gerechtigkeitsprinzip (und auch der traditionelle Universalismus der "Linken" steht ihnen fern). In einem Satz zusammengefaßt lautet der Standpunkt der political correctness:
Nur Angehörige einer bestimmten "Gemeinschaft" (Minderheit, Religion, Rasse usw.) können über ihre eigenen Angelegenheiten wahre Aussagen treffen.
Eine politische oder sogar eine wissenschaftliche Aussage ist nach den Maßstäben der PC nur dann statthaft, wenn sich die Mitglieder unterdrückter (und sich unterdückt fühlender) Gruppen nicht von ihr herabgesetzt fühlen. Unter dieser Maßgabe kann alles geistige Leben nach dem Belieben politischer oder intellektueller Wortführer manipuliert werden, wenn sie nur vorgeben, im Namen ihrer "Gemeinschaft" zu sprechen. Der besonders in Deutschland weit verbreitete Hang, gerne einen einheitlichen Ansprechpartner haben zu wollen, der alle Angehörigen "seiner" Gruppe vertritt, begünstigt diese fatale Tendenz zusätzlich: der "Moslemrat" sprich dann für "die" Muslime oder der Zentralrat der Sinti und Roma für die Zigeuner (ein Wort, dass der Zentralrat als diskriminierend ablehnt - im Gegensatz z. B. zur Sinti Allianz Deutschland oder diversen Roma-Gruppen).
Political correctness geht von einem ausdrücklich anti-liberalen Weltbild aus: Sie bestreitet, dass es universal gültige Kriterien für die Verständigung zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen gibt. Sie mißtraut der Redefreiheit, die sie durch sprachliche und soziale Verhaltensvorschriften regulieren will. Faktisch unterbinden die Vertreter der political correctness den offenen Meinungsstreit, indem sie bestimmte Ideen - sofern sie von "unterdrückten", besonders schutzwürdigen Gruppen bzw. ihren "Sprechern" geäußert werden - der Kritik entziehen.

(Ich beziehe mich hier, der Deutlichkeits halber sei es ausdrücklich vermerkt, auf die ideologische political correctness. Nicht alles, was gemeinhin politisch korrekt gennant wird, fällt darunter.

Auf den Ausgangspunkt der "politisch korrekten" Sprachregelungen, nämlich die Annahme, dass das Bewußtsein ziemlich direkt durch den Sprachgebrauch bestimmt wird, gehe ich nicht näher ein - weil diese Sprachregelungen im Zusammenhang mit der PC/Multikulti-Ideologie nur ein Aspekt unter vielen sind.)

Auf Klärung aus: 1. Woran erkennt man einen Antisemiten?

"Antisemit" ist ein politisch vernutzter Kampfbegriff. Antisemit ist immer nur "der Andere". Wer Antisemit ist, ist oft nur eine Frage der Definition. (Je nachdem, ob man unter "Antisemitismus" eine geschlossene Ideologie oder "nur" antijüdische Ressentiments versteht, kommt man auf 5% oder 30% Antisemiten in Deutschland. Wie auch immer, es sind jedenfalls zu viele.)
Irrig ist die verbreitete Aufassung, als "Linker", Liberaler und / oder als überzeugter Demokrat könne man kein Antisemit sein. Es gibt ja sogar antisemitische Juden.

Durchaus praxisnah erscheint mir diese Begriffsklärung von Henryk M. Broder (aus Woran man Antisemiten erkennt:
Woran erkennt man einen Antisemiten? Wie merkt man, daß man selbst ein Antisemit ist?
Die Sache ist recht einfach. Man ist nicht Antisemit, wenn man die israelische Politik kritisiert, gefillte Fish nicht mag oder Artur Brauner und Rolf "Shimon" Eden unsympathisch findet. Man ist auch kein Antisemit, wenn man Klezmer-Konzerte meidet, noch nie in Auschwitz war oder keinen Kurs für koscheres Kochen besucht hat. Man ist aber Antisemit, wenn man den Juden etwas übel nimmt, das man anderen nicht übel nimmt, wenn man sich über Juden aufregt und empört, während das gleiche Verhalten von Nichtjuden keine Aufregung und keine Empörung zur Folge hat. Das ist schon alles.
Das heißt auch, wenn ich den Gedanken weitführe, dass betontes Interesse an jüdischer Kultur kein sicheres Merkmal für fehlenden Antisemitismus ist. Oder auch, dass Antisemitismus nicht ganz dasselbe ist wie "Vorurteile gegen Juden haben". Oder das zum Antisemitismus immer Hass gehört.
Die idiotische Frage: "Wie können die Juden, die so gelitten haben, anderen das antun, was sie selbst erlebt haben?" ist ein Beweis für den Antisemitismus des Fragestellers, weil er von Juden moralische Leistungen einfordert, die er Nicht-Juden nicht abverlangt, schon gar nicht, wenn sie in ihrem früheren Leben Täter waren, die anderen Leiden zugefügt haben.
Hier sehe ich das Problem vieler Philosemiten, die "die Juden" ob ihrer Leiden verklären, in sie eine gradezu "übermenschliche" Moral hineinprojezieren. Halten real existierende Juden diesen übergroßen Ansprüchen nicht stand, kippt schwärmerischer Philosemitismus gern in Antisemitismus um.
Wer sich über die israelische Besatzung von Judäa und Samaria aufregt, aber keine Ahnung hat, wie lange die Chinesen schon Tibet besetzt halten, der ist ein Antisemit.
Wenn sich ein paar auf Juden fixierte Bruchpiloten zusammenrotten, um einander zu bestätigen, daß sie keine Antisemiten sind, obwohl sie auf Juden fixiert sind, dann liefern sie gleich den Beweis, daß sie nicht nur Antisemiten sind, sondern auch ahnen, daß sie es sind.
Und wer sich über den "Boykott" des palästinensischen Volkes, das im Ganzen und pro Kopf mehr Hilfe bekommen hat als die Deutschen durch den Marshall-Plan, echauffiert, aber noch nie ein Wort über die Aufrufe zum Boykott israelischer Produkte und israelischer Wissenschaftler verloren hat, der ist so antisemitisch wie die Hostie heilig ist. Amen
Im Rückblick auf: Antisemtismus auf Schwedisch - trifft Broders Defition die schwedische Haltung genau.

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