Sonntag, 5. Februar 2006

Die Moschee im Dorf lassen 3

Vor Jahren las ich in einem Science Fiction Roman vom "Bananenschalen-Krieg" - einer Verkettung aberwitziger Fehlreaktionen, die damit anfangen, dass der Oberkommandierende der US-Airforce auf einer Bananenschale ausrutscht - und mit einem weltweiten Atomkrieg enden.
Im Moment läuft, scheint mir, ein ähnlicher Prozess ab - hoffentlich nicht bis zum beschrieben bitteren Ende.

Die Instrumentalisierung der an sich eher banalen Affäre um die Mohammed-Karrikaturen hat inzwischen ein abenteuerliches Niveau erreicht, dass ich mir vor einigen Wochen noch nicht hätte vorzustellen gewagt hätte.
Einen sehr lesenwerten Beitrag über die Hintergründe, die zur Veröffentlichung jener Karrikaturen in Jyllands Posten geführt hatten, fand ich bei Spindoctor -> Mohammed-Karikaturen: Provokation von allen Seiten.
Bedrückend die Tatsache, dass der Ausgangspunkt der in ihren Konsequenzen unabsehbaren Eskalation der Versuch des auch in Deutschland bekannten dänischen Kinderbuchautoren Kåre Bluitgen war, ein aufklärendes Kindersachbuch über den Islam zu veröffentlichen.
Im vergangenen Sommer war bekannt geworden, dass Bluitgen keinen Illustrator für sein jüngstes Buchprojekt finden konnte: das Leben des Propheten Mohammed, für Kinder erzählt. Den Propheten abzubilden ist im Islam untersagt, doch erstens ist Dänemark ein säkulares Land, zweitens hatte Bluitgen beste Absichten. Trotzdem hatten die angefragten Zeichner verängstigt abgewinkt. Der Mord an dem niederländischen Islamkritiker und Filmemacher Theo van Gogh durch einen islamischen Fundamentalisten hatte auch die dänische Künstlerszene verunsichert. So viel Zaghaftigkeit rief Flemming Rose auf den Plan, den Kulturchef der größten dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten. Rose bat die namhaftesten Karikaturisten des Landes, den Propheten Mohammed zu zeichnen. Er habe in Erfahrung bringen wollen, sagt Rose, »wie weit die Selbstzensur in der dänischen Öffentlichkeit geht«. Vierzig Zeichner wurden angefragt, zwölf sandten Karikaturen ein, die Ende September in der Wochenendausgabe der Zeitung veröffentlicht wurden. Die provokanteste Karikatur zeigte den Propheten mit einem Turban in Form einer Bombe. Auf einer anderen werden verdutzte Selbstmordattentäter beim Eingang ins Paradies mit den Worten abgewiesen: »Uns sind die Jungfrauen ausgegangen.« Wieder andere verspotteten die Motive der Zeitung. »Die Kulturredaktion der Jyllands-Posten ist ein Haufen konservativer Provokateure«, lautete eine Unterzeile.
(Aus dem "Zeit"-Artikel Allah und der Humor)

Neben all den fahrlässigen, mutwilligen und eiskalt berechnenden Provokateuren finde ich übrigens auch die "Appeasement-Experten", die für die "aufgebrachten Moslems" irgendwie Verständnis haben, zum kotzen.

Als ob a) die paar Fanatiker, die sich ursprünglich darüber aufregten, "die Muslime" seien (die Gemeinde des Iman Abu Laban, ohne die die Karrikaturen-Affäre schon September letzten Jahres von der Weltöffenkeit unbeachtet versandet wäre, hat nur einige hundert Mitglieder und war als "Hardliner" innerhalb der dänischen Muslime weitgehend isoliert) und b) die Botschaft solcher "verständnisvoller" Töne nicht wäre: "Je heftiger und gewaltiger man auf etwas reagiert, was einem nicht paßt, desto eher wird man respektiert, desto besser kann man seine Interessen durchsetzen"!

Noch etwa für all jene, die selbstgerecht mit dem Finger auf die "rassistische Politik" und den "den ideologischen Kulturkampf" der Dänen zeigen: Es trifft zu, seit der Regierungsübernahme vor 5 Jahren hat die Regierung Anders Fogh Rasmussen eine diskriminierende Sozialgesetzgebung für in Dänemark lebende Ausländer durchgesetzt, die europaweit (noch) nicht ihresgleichen hat. Und es stimmt auch, dass es in der dänischen konservative Presse seit Jahren ziemlich widerliche Kulturkampf-Kampagnen gegen die "rückständige" Moslems gibt. Aber: angesichts dessen, was deutsche Politiker, auch solche in höchsten Staatsämtern, in Sachen Einwanderpolitik so von sich geben und angesichts der in Deutschland mindestens so weit wie bei unseren nördlichen Nachbarn verbreiteten "Ausländerfeindlichkeit" möge man sich einmal vorstellen, im Bundestag säße eine rechtpopulistische Partei, vielleicht vom Schlage der glücklicherweise verblichenen "Schill-Partei", und die Regierung Merkel wäre darauf angewiesen, von den "Rechten" tolieriert zu werden.
Ich gehe jeder Wette ein, dass wir kurz über lang Ausländergesetze vom "dänischen Zuschnitt", wenn nicht noch schärfer, hätten - und diese Gesetze bei einer soliden Mehrheit der Deutschen durchaus populär wären.

(Die Hamburger PRO alias "Schill-Partei" orientierte sich stark am Vorbild der "Dansk Folkeparti" aus dem nicht allzu weit entfernten Dänemark. Das andere "große Vorbild" Schills war übrigens die bayrische CSU.)

Nachtrag: Fundsache bei "Fakten & Fiktionen": Sind diese Fotos aus Nahost? Nein, aus Londonistan! Nur was für starke Nerven!
Was leider auch für etliche der Kommentare gilt.

Und noch was: Ich schließe mich Distel an:Jeg elsker Danmark!

Und noch ´n Nachtrag - weil erst jetzt entdeckt: Ein Sturm der Empörung, gezielt entfesselt Süddeutsche Zeitung, vom 3. Februar
Sehr lesenswert!

Nachtrag, 6. Februar: Offensichtlich hatten sich doch Illustratoren für das Kinderbuch über das Leben Mohammed von Kåre Bluitgen gefunden. Auf einem dänischen Blog wurden einige der Zeichnungen online gestellt:
Billeder fra Kåre Bluitgens bog om Mohammed

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