Eine schier unglaubliche Geschichte: Eine 17-jährige wehrt sich mit einem Messer gegen drei Männer, die sie und ihre Cousine zuerst mit Steinen bewarfen und dann zu vergewaltigen versuchten. Dabei erstach sie unbeabsichtigt einen der Gewaltäter.
Ein klarer Fall von Notwehr? Nicht im Iran! Am 7. Januar wurde Nazazin zum Tode durch Erhängen verurteilt.
Die ganze Meldung hier: ->
Iran to hang teenage girl attacked by rapists
Bemerkenswert, dass diese Nachricht offensichtlich den "professionellen Medien" keine Meldung wert war. Ich fand sie auch nur als "Nebenergebnis" einer Recherche, zwei Tage nachdem sie auf ->
wadinet online gestellt wurde.
Das könnte bedeuten:
1. Es ist eine "Ente". (Das hoffe ich, glaube es aber nicht.)
2. Es gab in letzter Zeit so viele Horror-Meldungen aus dem Iran, dass die Nachricht glatt unterging. (Das halte ich für nicht unwahrscheinlich.)
3. Angesichts der angespannten politischen Lage ist allgemeine Leisetreterei gegenüber dem Mullah-Staat angesagt und haarsträubende Menschenrechtsverletzungen werden deshalb unter "Justizfolklore" ("deren Rechtsempfinden ist eben so!") abgeheftet. (Das befürchte ich.)
Via
fdog
MMarheinecke - Freitag, 13. Januar 2006
Meine „Hitliste“ der Bücher, durch deren Lektüre ich im laufe der letzten 10 Jahre um einige lieb gewonnene Illusionen ärmer geworden bin.
1. Henryk M. Broder: Der ewige Antisemit
Das Buch schlug seinerzeit wie eine Bombe in die heile, selbstgefällige Welt aufgeklärter, linker, liberaler „guter Deutscher“ (wie mir) ein. Es konzentrierte sich nicht den Antisemitismus aus konservativer, nationaler oder rechtsextremer Richtung, sondern auf den meist unter dem Deckmantel des Antizionismus verborgenen Antisemitismus „von links“ und in der „gesellschaftlichen Mitte“. Diese schon in den 80er Jahren geschriebene, aber immer noch aktuelle, Analyse befreite mich von der lieb gewonnenen Illusion, dass Antisemiten „irgendwie rechts“, „irgendwie von gestern“ und in der Regel „bildungsfern“ sein müssen. Und das Antisemitismus ein „Randgruppenphänomen“ sei – nein, er gehört zum kulturellen Mainstream. Und das man als „Antifaschist“ gegen Antisemitismus sowieso gefeit sei.
2. Bjørn Jagnow: Marketing für Autoren
„Marketing ist die Ausrichtung von Angeboten auf die Anforderungen des Marktes.“
Eines der wenigen wirklich brauchbaren Autoren-Handbücher. Zwischen dem Verkauf von „Kulturgütern“ wie Büchern und dem von Schuhen, Gummibärchen und Tupperware-Behältern besteht kein grundsätzlicher Unterschied. Nur die Eitelkeit des Autoren hindert ihn – hinderte auch mich – an der einfachen Schlussfolgerung, dass man auch ein Buch „marktgängig“ herstellen und richtig „kommunizieren“ muss. Jagnow beschreibt auch genau, wie man so was macht. Und wann man ein Manuskript besser in den Altpapiercontainer als adressiert an ein Lektorat in den Briefkasten steckt, auch wenn es nach Ansicht des Schreibers der „genialsten Roman aller Zeiten“ sein sollte.
3. Burkhard-Müller : Medienmärchen
Klar, allzu großes Vertrauen in die „Medien“ hatte ich auch vorher nicht, und dass schlampig recherchiert, verzerrt, weggelassen, aufgebauscht und lanciert wird, war wirklich nichts Neues. Erschreckt habe ich mich dann doch, als ich merkte, dass ich einige der im Buch vorgestellten „Medienmärchen“ bereitwillig geglaubt hatte – obwohl keines von ihnen auch nur einer oberflächlichen Recherche standhält. Müller entlarvt vor allem den „Gesinnungsjournalismus“, den Drang vor allem deutscher Journalisten, Betroffenheit zu zeigen und Betroffenheit herzustellen, Überzeugungsarbeit zu leisten, als schier unerschöpfliche Quelle des Nonsense. Die Nachrichten müssen sich halt nach der Gesinnung richten.
„Wer liberal denkt, fürchtet manchmal bei Missständen den Backlash am meisten“, schrieb Müller vor fast 10 Jahren. „(…) denn wenn es dem Verfasser vor etwas noch mehr graut als vor dem linksökologischen, multikulturellen, politisch korrekten Meinungsterror von heute, dann ist es derjenige von morgen mit den umgekehrten Vorzeichen“. Es hatte Recht. Der „autoritäre Backslash“ hat längst begonnen. Und zwar ohne, dass der „Gesinnungsschmus“ der „Guten“ nachgelassen hätte.
4. Katharina Rutschky: Erregte Aufklärung – Kindesmissbrauch: Fakten und Fiktionen
Ja, ich gebe es zu: Auch ich gehörte lange Zeit zu jenen, denen zum Thema „Kindesmissbrauch“ nichts Besseres als panische Angst angesichts „erschreckender Zahlen“ und die Forderung nach unnachsichtiger Strafverfolgung einfiel. Auch dank dieser Streitschrift über den „Missbrauch mit dem Missbrauch“ finde ich sexuellen Kindesmissbrauch nach wie vor entsetzlich, den öffentlichen Umgang mit Inzest, Kindesmisshandlung, sexueller Ausbeutung von Kindern, den „medialen Beißreflex“ nach immer härteren Strafen, „Hexenjagden“, Vorverurteilungen und Panikmache aber auch. Es war ein Anstoß zum Selbst denken, ein geistiger Sicherheitsgurt, der mich, als später panische Meldungen über die angeblich allgegenwärtige „Kinderpornographie im Internet“ kursierten, vor dem empörten Abheben bewahrte.
5. Rainer Eisfeld: Mondsüchtig
Wernher von Braun- und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei. Ein Schock für einen Raumfahrtenthusiasten. Die Trennung zwischen „Nazi-Barbarei“ hier und „technischem Pioniergeist“ dort lässt sich angesichts des skrupellosen Opportunismus des SS-Mannes und „Vaters der Mondrakete“, der von den zehntausenden sich im „Mittelwerk“ für die „Wunderwaffen“ zu Tode schuftenden KZ-Sklavenarbeitern sehr wohl wusste, nicht aufrechterhalten. Interessant – und unbequem! – finde ich Eisfelds Hinweis auf die „reaktionäre Moderne“. Interessant auch, dass Eisfeld, anders als andere Autoren, nicht in hypermoralische Technikfeindlichkeit fällt, sondern z. B. dem Handeln und Reden des „Raumfahrtlobbyisten“ von Brauns das völlig andere, nämlich von einer tiefen humanitären Ethik bestimmte, Handeln und Reden des „Raumfahrtlobbyisten“ Carl Sagans entgegen stellt.
MMarheinecke - Freitag, 13. Januar 2006